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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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katholischen Christen dieser Landestheile übergingen, dessen ausgesprochenes Ziel
die Lostrennung von der Pfvrtenherrschcift war. Die Pforte bekämpfte diesen
Aufstand erst lau und mit unzureichenden Mitteln, dann zeitweis energischer;
zeitweis schien sie, völlig erlahmt, ihn ganz seinem Schicksale zu überlassen
Montenegro und Serbien unterstützten den Aufstand erst heimlich dann immer
offener, bis im Frühjahr 1876 seitens beider Staaten eine förmliche Kriegser¬
klärung an die Türkei erfolgte, indem zugleich Serbien sich von der Oberherr¬
schaft der Pforte völlig unabhängig erklärte. Der Aufstand trat damit in den
Hintergrund.

Die Pforte, nun offen erklärten Feinden gegenüber, raffte mit wachsender
Energie Streitkräfte zusammen, und während der Monate Juli bis Oktober
1876 gelang es ihr nicht nur, die Gegner erfolgreich abzuwehren, sondern so¬
gar, wenn auch sehr langsam und mit großen Verlusten, in Serbien einzu¬
dringen und das serbische Heer ernstlich zu schlagen. Der Erfolg der Tage
von Alexinatz (1. September) und Dyunis (23. Oktober), verbunden mit dem
kräftigen Auftreten des damaligen Großveziers Midhat-Pascha ließ sogar die
öffentliche Meinung Europa's wieder ein günstigeres Urtheil über die Kräfte
des türkischen Reiches fällen, und auch die Großmächte schienen von dieser un¬
erwarteten Kraftentwickelung zum Theil überrascht. Sie vermittelten zunächst
einen Waffenstillstand mit Serbien, um dieses vor völliger Eroberung und Be¬
setzung durch die Türken zu schützen; freilich mußte am 30. Oktober ein russisches
Ultimatum dieser Vermittelung erst den gehörigen Nachdruck geben. Mehr aber noch
als die Unruhen in Bosnien und der Krieg mit Serbien hatte ein Aufstand der
Bulgaren das Eingreifen der Großmächte herausgefordert. Die Pforte jedoch
hatte diesen Aufstand blutig unterdrückt und antwortete auf die Forderung von
Reformen, welche eine Konferenz von Vertretern der Großmächte in Konstan¬
tinopel für die aufständischen Völkerschaften als nothwendig festgesetzt hatte,
mit einem selbstbewußten "non xossumris". Das durch die Rundreise des
General Jgncitieff, russischen Botschafters in Konstantinopel, zu Stande ge¬
brachte Londoner Protokoll formulirte nur aufs neue die Wünsche der Gro߬
mächte, deren Erfüllung wiederum die Pforte in vornehmer Haltung, als mit
ihrer Souveränetät unvereinbar, versagte. Da trat Rußland nochmals für
dieses Programm drohend ein, und die erneute Ablehnung seitens der Türkei
führte zum Kriege.

Rußland hatte schon unterm 13. November 1876 die Mobilmachung von
6 Armeekorps angeordnet und seitdem seine Rüstungen vervollständigt; das tür¬
kische Heer stand noch vom serbischen Kriege her versammelt und bereit. Den
ernsten Worten konnten also die Thaten auf dem Fuße folgen.

Ehe wir aber die Ereignisse selbst an uns vorüberziehen lassen, scheint


katholischen Christen dieser Landestheile übergingen, dessen ausgesprochenes Ziel
die Lostrennung von der Pfvrtenherrschcift war. Die Pforte bekämpfte diesen
Aufstand erst lau und mit unzureichenden Mitteln, dann zeitweis energischer;
zeitweis schien sie, völlig erlahmt, ihn ganz seinem Schicksale zu überlassen
Montenegro und Serbien unterstützten den Aufstand erst heimlich dann immer
offener, bis im Frühjahr 1876 seitens beider Staaten eine förmliche Kriegser¬
klärung an die Türkei erfolgte, indem zugleich Serbien sich von der Oberherr¬
schaft der Pforte völlig unabhängig erklärte. Der Aufstand trat damit in den
Hintergrund.

Die Pforte, nun offen erklärten Feinden gegenüber, raffte mit wachsender
Energie Streitkräfte zusammen, und während der Monate Juli bis Oktober
1876 gelang es ihr nicht nur, die Gegner erfolgreich abzuwehren, sondern so¬
gar, wenn auch sehr langsam und mit großen Verlusten, in Serbien einzu¬
dringen und das serbische Heer ernstlich zu schlagen. Der Erfolg der Tage
von Alexinatz (1. September) und Dyunis (23. Oktober), verbunden mit dem
kräftigen Auftreten des damaligen Großveziers Midhat-Pascha ließ sogar die
öffentliche Meinung Europa's wieder ein günstigeres Urtheil über die Kräfte
des türkischen Reiches fällen, und auch die Großmächte schienen von dieser un¬
erwarteten Kraftentwickelung zum Theil überrascht. Sie vermittelten zunächst
einen Waffenstillstand mit Serbien, um dieses vor völliger Eroberung und Be¬
setzung durch die Türken zu schützen; freilich mußte am 30. Oktober ein russisches
Ultimatum dieser Vermittelung erst den gehörigen Nachdruck geben. Mehr aber noch
als die Unruhen in Bosnien und der Krieg mit Serbien hatte ein Aufstand der
Bulgaren das Eingreifen der Großmächte herausgefordert. Die Pforte jedoch
hatte diesen Aufstand blutig unterdrückt und antwortete auf die Forderung von
Reformen, welche eine Konferenz von Vertretern der Großmächte in Konstan¬
tinopel für die aufständischen Völkerschaften als nothwendig festgesetzt hatte,
mit einem selbstbewußten „non xossumris". Das durch die Rundreise des
General Jgncitieff, russischen Botschafters in Konstantinopel, zu Stande ge¬
brachte Londoner Protokoll formulirte nur aufs neue die Wünsche der Gro߬
mächte, deren Erfüllung wiederum die Pforte in vornehmer Haltung, als mit
ihrer Souveränetät unvereinbar, versagte. Da trat Rußland nochmals für
dieses Programm drohend ein, und die erneute Ablehnung seitens der Türkei
führte zum Kriege.

Rußland hatte schon unterm 13. November 1876 die Mobilmachung von
6 Armeekorps angeordnet und seitdem seine Rüstungen vervollständigt; das tür¬
kische Heer stand noch vom serbischen Kriege her versammelt und bereit. Den
ernsten Worten konnten also die Thaten auf dem Fuße folgen.

Ehe wir aber die Ereignisse selbst an uns vorüberziehen lassen, scheint


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[0063] katholischen Christen dieser Landestheile übergingen, dessen ausgesprochenes Ziel die Lostrennung von der Pfvrtenherrschcift war. Die Pforte bekämpfte diesen Aufstand erst lau und mit unzureichenden Mitteln, dann zeitweis energischer; zeitweis schien sie, völlig erlahmt, ihn ganz seinem Schicksale zu überlassen Montenegro und Serbien unterstützten den Aufstand erst heimlich dann immer offener, bis im Frühjahr 1876 seitens beider Staaten eine förmliche Kriegser¬ klärung an die Türkei erfolgte, indem zugleich Serbien sich von der Oberherr¬ schaft der Pforte völlig unabhängig erklärte. Der Aufstand trat damit in den Hintergrund. Die Pforte, nun offen erklärten Feinden gegenüber, raffte mit wachsender Energie Streitkräfte zusammen, und während der Monate Juli bis Oktober 1876 gelang es ihr nicht nur, die Gegner erfolgreich abzuwehren, sondern so¬ gar, wenn auch sehr langsam und mit großen Verlusten, in Serbien einzu¬ dringen und das serbische Heer ernstlich zu schlagen. Der Erfolg der Tage von Alexinatz (1. September) und Dyunis (23. Oktober), verbunden mit dem kräftigen Auftreten des damaligen Großveziers Midhat-Pascha ließ sogar die öffentliche Meinung Europa's wieder ein günstigeres Urtheil über die Kräfte des türkischen Reiches fällen, und auch die Großmächte schienen von dieser un¬ erwarteten Kraftentwickelung zum Theil überrascht. Sie vermittelten zunächst einen Waffenstillstand mit Serbien, um dieses vor völliger Eroberung und Be¬ setzung durch die Türken zu schützen; freilich mußte am 30. Oktober ein russisches Ultimatum dieser Vermittelung erst den gehörigen Nachdruck geben. Mehr aber noch als die Unruhen in Bosnien und der Krieg mit Serbien hatte ein Aufstand der Bulgaren das Eingreifen der Großmächte herausgefordert. Die Pforte jedoch hatte diesen Aufstand blutig unterdrückt und antwortete auf die Forderung von Reformen, welche eine Konferenz von Vertretern der Großmächte in Konstan¬ tinopel für die aufständischen Völkerschaften als nothwendig festgesetzt hatte, mit einem selbstbewußten „non xossumris". Das durch die Rundreise des General Jgncitieff, russischen Botschafters in Konstantinopel, zu Stande ge¬ brachte Londoner Protokoll formulirte nur aufs neue die Wünsche der Gro߬ mächte, deren Erfüllung wiederum die Pforte in vornehmer Haltung, als mit ihrer Souveränetät unvereinbar, versagte. Da trat Rußland nochmals für dieses Programm drohend ein, und die erneute Ablehnung seitens der Türkei führte zum Kriege. Rußland hatte schon unterm 13. November 1876 die Mobilmachung von 6 Armeekorps angeordnet und seitdem seine Rüstungen vervollständigt; das tür¬ kische Heer stand noch vom serbischen Kriege her versammelt und bereit. Den ernsten Worten konnten also die Thaten auf dem Fuße folgen. Ehe wir aber die Ereignisse selbst an uns vorüberziehen lassen, scheint

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/63>, abgerufen am 16.05.2024.