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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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es angezeigt, einen Blick ans die Heere zu werfen, welche ans den verschiedenen
Kriegsschauplätzen handelnd aufzutreten berufen waren. Es ist auf der
einen Seite das türkische Heer mit den Hilfstruppen der osmanischen Vasal¬
lenstaaten, auf der andern das russische Heer mit den Truppen der christlichen
Vasallenstaaten auf der Balkanhalbinsel, welche durch diesen Krieg die Ober-
Lehnsherrlichkeit der Pforte endgiltig abschütteln sollten.

Die türkische Armee bestand nach dem Organisationsplane von 1869,
der seitdem nur in Aeußerlichkeiten abgeändert worden war, aus dem stehen¬
den Heere (Nizam), der Landwehr (Redif) und dem Landsturm (Mustcchsiz).
Wehrpflichtig waren nach dem Gesetz alle männlichen Unterthanen der Pforte;
zum Dienst wurden jedoch nur herangezogen die Mohamedaner; von den
Christen wurde, und zwar gleich bei der Geburt jedes Knaben, eine Kriegssteuer
von 3000--5000 Piaster (600--1000 Mark) erhoben. Auch sür die Moha-
medaner galten eine Reihe lokaler Befreiungen, so für die Bewohner der Haupt¬
stadt, der Insel Creo, des Vilajet Skutari in Albanien, einiger Landstriche im
Taurus-Gebirge, eiues großen Theiles von Kurdistan u. f. w. Die Dienst¬
pflicht dauerte 20 Jahre, davon 4 (bei Kavallerie und Artillerie 5) im stehen¬
den Heere, 2 in dessen Reserve, 6 in der Landwehr und 8 im Landsturm. Bei
einer jährlichen Aushebung von planmäßig circa 50,000 Mann, welche die
Geldverhältnisse der Türkei aber auf weniger als 30,000 Mann eingeschränkt
hatten, sollte die Streitmacht auf Kriegsfuß zählen im stehenden Heere einschlie߬
lich der Reserve 220,000, in der Landwehr 300,000 Mann und ebenso viel
im Landsturm, zusammen 820,000 Köpfe. Diese Stärke sollte 1878 erreicht
werden. Ende 1875 betrug die Stärke nach dem damaligen Standpunkte der
Organisation 220,000 Mann im stehenden Heere und 115,000 Mann in der
Landwehr. Der Landsturm war noch nicht organisirt; dafür traten in der
Folgezeit in immer zunehmender Anzahl Freiwillige und Irreguläre auf, die
zu Fuß (Baschibozuks) und zu Pferde (Spahis) zunächst mit rund 70,000
Mann zu veranschlagen waren, so daß der Türkei zu Lande 405,000 Mann
mit beiläufig 672 Geschützen zu Gebote standen.

Formirt war das Heer in 7 Armeekorps, deren Stäbe der Nummer¬
folge nach ihren Sitz hatten in Konstantinopel, Schnmla, Monastir, Erzerum,
Damascus Bagdad und Sanaa, und deren Ergänzungsbezirke umfaßten: für
das I. Korps das nördliche Kleinasien, für das II. Bulgarien, Rumelien und
einen Theil von Kleinasien, für das III. Bosnien, Herzegowina, Albanien,
Thessalien, und den südwestlichen Theilvon Kleinasien, für das IV. Armenien und
Theile von Kurdistan und Aramauien, für das V. Syrien und Palästina, für das
VI. das südliche Kurdistan, El Dshesireh oder Mesopotamien und Irak Arabi, und
für das VII. Jemen und Hedshas, während in der Hauptsache dieses Korps sich


es angezeigt, einen Blick ans die Heere zu werfen, welche ans den verschiedenen
Kriegsschauplätzen handelnd aufzutreten berufen waren. Es ist auf der
einen Seite das türkische Heer mit den Hilfstruppen der osmanischen Vasal¬
lenstaaten, auf der andern das russische Heer mit den Truppen der christlichen
Vasallenstaaten auf der Balkanhalbinsel, welche durch diesen Krieg die Ober-
Lehnsherrlichkeit der Pforte endgiltig abschütteln sollten.

Die türkische Armee bestand nach dem Organisationsplane von 1869,
der seitdem nur in Aeußerlichkeiten abgeändert worden war, aus dem stehen¬
den Heere (Nizam), der Landwehr (Redif) und dem Landsturm (Mustcchsiz).
Wehrpflichtig waren nach dem Gesetz alle männlichen Unterthanen der Pforte;
zum Dienst wurden jedoch nur herangezogen die Mohamedaner; von den
Christen wurde, und zwar gleich bei der Geburt jedes Knaben, eine Kriegssteuer
von 3000—5000 Piaster (600—1000 Mark) erhoben. Auch sür die Moha-
medaner galten eine Reihe lokaler Befreiungen, so für die Bewohner der Haupt¬
stadt, der Insel Creo, des Vilajet Skutari in Albanien, einiger Landstriche im
Taurus-Gebirge, eiues großen Theiles von Kurdistan u. f. w. Die Dienst¬
pflicht dauerte 20 Jahre, davon 4 (bei Kavallerie und Artillerie 5) im stehen¬
den Heere, 2 in dessen Reserve, 6 in der Landwehr und 8 im Landsturm. Bei
einer jährlichen Aushebung von planmäßig circa 50,000 Mann, welche die
Geldverhältnisse der Türkei aber auf weniger als 30,000 Mann eingeschränkt
hatten, sollte die Streitmacht auf Kriegsfuß zählen im stehenden Heere einschlie߬
lich der Reserve 220,000, in der Landwehr 300,000 Mann und ebenso viel
im Landsturm, zusammen 820,000 Köpfe. Diese Stärke sollte 1878 erreicht
werden. Ende 1875 betrug die Stärke nach dem damaligen Standpunkte der
Organisation 220,000 Mann im stehenden Heere und 115,000 Mann in der
Landwehr. Der Landsturm war noch nicht organisirt; dafür traten in der
Folgezeit in immer zunehmender Anzahl Freiwillige und Irreguläre auf, die
zu Fuß (Baschibozuks) und zu Pferde (Spahis) zunächst mit rund 70,000
Mann zu veranschlagen waren, so daß der Türkei zu Lande 405,000 Mann
mit beiläufig 672 Geschützen zu Gebote standen.

Formirt war das Heer in 7 Armeekorps, deren Stäbe der Nummer¬
folge nach ihren Sitz hatten in Konstantinopel, Schnmla, Monastir, Erzerum,
Damascus Bagdad und Sanaa, und deren Ergänzungsbezirke umfaßten: für
das I. Korps das nördliche Kleinasien, für das II. Bulgarien, Rumelien und
einen Theil von Kleinasien, für das III. Bosnien, Herzegowina, Albanien,
Thessalien, und den südwestlichen Theilvon Kleinasien, für das IV. Armenien und
Theile von Kurdistan und Aramauien, für das V. Syrien und Palästina, für das
VI. das südliche Kurdistan, El Dshesireh oder Mesopotamien und Irak Arabi, und
für das VII. Jemen und Hedshas, während in der Hauptsache dieses Korps sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/64>, abgerufen am 12.06.2024.