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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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ab. Wie ein echter deutscher Bürger betrachtet er mit der Heirath und der
Gründung eines Hausstandes sein Leben innerlich und äußerlich für abge¬
schlossen. Was weiter sich ereignet, ist Geschäft, Arbeit oder gehört in das
innere Leben der Familie, das vor dem Einblick der Außenwelt sorgfältig ver¬
schlossen bleiben muß.

Lucas Geizkofler wurde am 18. März 1550 zu Sterzing in Tyrol ge¬
boren, als der zwölfte und jüngste Sohn seines Vaters, der dort als Bürger,
Gutsbesitzer und Gewerke ansässig war. Die Geizkofler gehörten zu den alten
Geschlechtern des Landes. Zwar machten sie später, als sie sich zu dem Stande
der Ritterbürtigen hinaufgearbeitet hatten, den Versuch, diesem ihren neuen
Adel eine solidere geschichtliche Basis zu geben, indem sie ihr Geschlechtsregister
bis in's zwölfte Jahrhundert, wo sie als ritterliche Mannen in der Oberpfalz
und im Nordgau seßhaft gewesen sein wollten, hinaufrückten: für den Einge¬
weihten hat ein solches Verfahren ungefähr denselben Werth wie jene An¬
nahme der Augsburger Chronisten des fünfzehnten Jahrhunderts, daß ihre
Vaterstadt in direkter Linie von den Amazonen oder gar von Paris dem
Trojaner herrühre. Die Wahrheit ist die, daß die Vorfahren der Geizkofler
einfache, ehrenwerthe Bauern der Stadt Sterzing gewesen sind. Hierauf deutet
schon ihre Name hin, dessen erste Silbe ja nichts anderes als "Ziege" bedeutet.
Schon während des fünfzehnten Jahrhunderts mögen sie dann allgemach ans
der Stufenleiter der gesellschaftlichen Rangklassen höher emporgestiegen sein:
die alten Sterzinger Stadtbücher nennen mehrere ihres Namens als Kirchen¬
pröpste, Rathsherren und Bürgermeister, bis sie dann im Jahre 1518 von
Kaiser Maximilian I. einen Wappenbrief -- eine springende Gemse, zu der
später in einem zweiten Felde ein schreitender Löwe hinzukam -- erhielten.
Es war dies zu der Zeit, als unseres Lucas Vater, Hans Geizkofler (1498
bis 1563), noch minderjährig sich des Studirens halber in Padua und Bologna
aufhielt. Als er in seine Vaterstadt zurückgekehrt war, Heirathete er im Jahre
1525 die reiche Erbin Barbara Kugler.

Dieser Hans Geizkofler wird uns in den Familienaufzeichnungen als ein
kluger, fleißiger und charakterfester Mann geschildert. Als ihm seine Frau
den ersten Sohn gebar, gelobte er, die folgenden auf die Namen der vier
Erzengel, der vier Evangelisten und der heiligen drei Könige taufen zu lassen,
und er hatte die Genugthuung, daß er diesem Gelöbniß genau auf die Zahl
nachkommen konnte: nicht weniger als zwölf Söhne und vier Töchter ent¬
sprossen nach und nach der gesegneten Ehe. Lucas war der jüngste. Bei dem
großen Kinderreichthum mochte den Eltern die Unterbringung der Söhne schwer
auf dem Herzen liegen, und so ist es leicht erklärlich, daß bei den Verwandten
der Gedanke laut wurde, einen von ihnen für den geistlichen Stand zu be-


ab. Wie ein echter deutscher Bürger betrachtet er mit der Heirath und der
Gründung eines Hausstandes sein Leben innerlich und äußerlich für abge¬
schlossen. Was weiter sich ereignet, ist Geschäft, Arbeit oder gehört in das
innere Leben der Familie, das vor dem Einblick der Außenwelt sorgfältig ver¬
schlossen bleiben muß.

Lucas Geizkofler wurde am 18. März 1550 zu Sterzing in Tyrol ge¬
boren, als der zwölfte und jüngste Sohn seines Vaters, der dort als Bürger,
Gutsbesitzer und Gewerke ansässig war. Die Geizkofler gehörten zu den alten
Geschlechtern des Landes. Zwar machten sie später, als sie sich zu dem Stande
der Ritterbürtigen hinaufgearbeitet hatten, den Versuch, diesem ihren neuen
Adel eine solidere geschichtliche Basis zu geben, indem sie ihr Geschlechtsregister
bis in's zwölfte Jahrhundert, wo sie als ritterliche Mannen in der Oberpfalz
und im Nordgau seßhaft gewesen sein wollten, hinaufrückten: für den Einge¬
weihten hat ein solches Verfahren ungefähr denselben Werth wie jene An¬
nahme der Augsburger Chronisten des fünfzehnten Jahrhunderts, daß ihre
Vaterstadt in direkter Linie von den Amazonen oder gar von Paris dem
Trojaner herrühre. Die Wahrheit ist die, daß die Vorfahren der Geizkofler
einfache, ehrenwerthe Bauern der Stadt Sterzing gewesen sind. Hierauf deutet
schon ihre Name hin, dessen erste Silbe ja nichts anderes als „Ziege" bedeutet.
Schon während des fünfzehnten Jahrhunderts mögen sie dann allgemach ans
der Stufenleiter der gesellschaftlichen Rangklassen höher emporgestiegen sein:
die alten Sterzinger Stadtbücher nennen mehrere ihres Namens als Kirchen¬
pröpste, Rathsherren und Bürgermeister, bis sie dann im Jahre 1518 von
Kaiser Maximilian I. einen Wappenbrief — eine springende Gemse, zu der
später in einem zweiten Felde ein schreitender Löwe hinzukam — erhielten.
Es war dies zu der Zeit, als unseres Lucas Vater, Hans Geizkofler (1498
bis 1563), noch minderjährig sich des Studirens halber in Padua und Bologna
aufhielt. Als er in seine Vaterstadt zurückgekehrt war, Heirathete er im Jahre
1525 die reiche Erbin Barbara Kugler.

Dieser Hans Geizkofler wird uns in den Familienaufzeichnungen als ein
kluger, fleißiger und charakterfester Mann geschildert. Als ihm seine Frau
den ersten Sohn gebar, gelobte er, die folgenden auf die Namen der vier
Erzengel, der vier Evangelisten und der heiligen drei Könige taufen zu lassen,
und er hatte die Genugthuung, daß er diesem Gelöbniß genau auf die Zahl
nachkommen konnte: nicht weniger als zwölf Söhne und vier Töchter ent¬
sprossen nach und nach der gesegneten Ehe. Lucas war der jüngste. Bei dem
großen Kinderreichthum mochte den Eltern die Unterbringung der Söhne schwer
auf dem Herzen liegen, und so ist es leicht erklärlich, daß bei den Verwandten
der Gedanke laut wurde, einen von ihnen für den geistlichen Stand zu be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/190>, abgerufen am 22.05.2024.