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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Vogesenlande hören, doch unter der Voraussetzung, daß Sie keinen Stimmungs-
bericht im gewöhnlichen Sinne von mir erwarten. Politische Stimmung ist
nicht wie eine Spargelpflanze, die so üppig schießt, daß sie ein geduldiger
Beobachter beinahe wachsen sehen kann. Wo sie ja üppiger wuchert, da läßt
sich allerdings auf die Mistbeetnatur des Bodens ein Schluß ziehen, aber aus
dem einzelnen Vorkommniß ein Vegetationsgesetz nicht ableiten. Unter manchem
Unrecht, das unsere Berichterstatter dem Elsaß angethan haben, ist das nicht
das kleinste, daß sie in ihrer kindlichen Freude über manche deutsche Spur,
die sich noch auffinden ließ, dem gebildeten elsässtschen Mittelstand so oft den
Puls gefühlt haben, ob derselbe nicht endlich einen regelmäßigen Gang verriethe.
Oefteres Pulsfühlen kann aber einen Patienten schauderhaft quälen und macht
ihn doch nicht gesund. Wir sollten uns dabei beruhigen, daß der Kern unserer
ländlichen Bevölkerung uns gehört, daß aber alles, was Anspruch auf Bildung
macht unter den altheimischen Einwohnern, so tief von französischer Bildung
durchdrungen ist, daß diese Leute sich sehr schwer umdenken können, und wenn
das Umdenken auch gelingt, so ist es doch dafür mit dem Umändern der
Empfindung um so übler bestellt. Nos skutiuWiits alsALlöns sind allerdings
bei der Beamtenwelt im Elsaß beinahe sprichwörtlich geworden, denn diese
inkommensurable Größe erscheint in der Regel dann, wenn die Praxis des
Lebens eine klipp und klare Antwort auf eine klare Frage fordert, aber die
Empfindung gehört nun einmal auch zu dem Menschen. Das beste darüber
hat jedenfalls der Reichskanzler gesagt, als er aufforderte, doch nicht in den
Bibliotheken aufzustöbern, was vor längerer Zeit einmal gesagt worden sei;
aber sehr berechtigt war daneben der Wunsch, daß Aeußerungen, die einer
vorübergegangenen Periode der ersten Erregung angehören, sich nicht in zu
später Zeit wiederholen mögen. Die Stimmungen selbst ließ der Reichskanzler
unberührt: Empfindungen sind zollfrei. Anders aber steht die Frage, ob man
mit empfindsamen Leuten in der schneidenden Luft des öffentlichen Lebens etwas
anfangen kann. Herr v. Stauffenberg würde es mit Freuden begrüßen,
wenn es dem Reichskanzler gelänge, aus dem Lande selbst und aus den Reihen
der im Lande voranstellenden Männer bei der Rekonstruktion der Regierung
in Straßburg Kräfte zu gewinnen, welche in diese hineingezogen werden können.
Wir auch, aber -- wenn! Die Liebe zum Mutterlande, zur Heimat, zur Scholle
ist bei dem Elsässer in reichem Maße vorhanden (der Abgeordnete Schneegans
hat in der Presse ausdrücklich darauf hingewiesen, was er unter dem Mutter¬
lande verstanden wissen wolle, um jeder Mißdeutung seiner Rede im allzudeutschen
Sinne zu entgehen), aber der Begriff des Vaterlandes, d. i. der Heimat mit
all' den Institutionen staatlicher Art, die sich auf dem theuern Boden entwickelt
haben, der ist im Elsaß noch wenig vorhanden. Und gesetzt, es fänden sich


Vogesenlande hören, doch unter der Voraussetzung, daß Sie keinen Stimmungs-
bericht im gewöhnlichen Sinne von mir erwarten. Politische Stimmung ist
nicht wie eine Spargelpflanze, die so üppig schießt, daß sie ein geduldiger
Beobachter beinahe wachsen sehen kann. Wo sie ja üppiger wuchert, da läßt
sich allerdings auf die Mistbeetnatur des Bodens ein Schluß ziehen, aber aus
dem einzelnen Vorkommniß ein Vegetationsgesetz nicht ableiten. Unter manchem
Unrecht, das unsere Berichterstatter dem Elsaß angethan haben, ist das nicht
das kleinste, daß sie in ihrer kindlichen Freude über manche deutsche Spur,
die sich noch auffinden ließ, dem gebildeten elsässtschen Mittelstand so oft den
Puls gefühlt haben, ob derselbe nicht endlich einen regelmäßigen Gang verriethe.
Oefteres Pulsfühlen kann aber einen Patienten schauderhaft quälen und macht
ihn doch nicht gesund. Wir sollten uns dabei beruhigen, daß der Kern unserer
ländlichen Bevölkerung uns gehört, daß aber alles, was Anspruch auf Bildung
macht unter den altheimischen Einwohnern, so tief von französischer Bildung
durchdrungen ist, daß diese Leute sich sehr schwer umdenken können, und wenn
das Umdenken auch gelingt, so ist es doch dafür mit dem Umändern der
Empfindung um so übler bestellt. Nos skutiuWiits alsALlöns sind allerdings
bei der Beamtenwelt im Elsaß beinahe sprichwörtlich geworden, denn diese
inkommensurable Größe erscheint in der Regel dann, wenn die Praxis des
Lebens eine klipp und klare Antwort auf eine klare Frage fordert, aber die
Empfindung gehört nun einmal auch zu dem Menschen. Das beste darüber
hat jedenfalls der Reichskanzler gesagt, als er aufforderte, doch nicht in den
Bibliotheken aufzustöbern, was vor längerer Zeit einmal gesagt worden sei;
aber sehr berechtigt war daneben der Wunsch, daß Aeußerungen, die einer
vorübergegangenen Periode der ersten Erregung angehören, sich nicht in zu
später Zeit wiederholen mögen. Die Stimmungen selbst ließ der Reichskanzler
unberührt: Empfindungen sind zollfrei. Anders aber steht die Frage, ob man
mit empfindsamen Leuten in der schneidenden Luft des öffentlichen Lebens etwas
anfangen kann. Herr v. Stauffenberg würde es mit Freuden begrüßen,
wenn es dem Reichskanzler gelänge, aus dem Lande selbst und aus den Reihen
der im Lande voranstellenden Männer bei der Rekonstruktion der Regierung
in Straßburg Kräfte zu gewinnen, welche in diese hineingezogen werden können.
Wir auch, aber — wenn! Die Liebe zum Mutterlande, zur Heimat, zur Scholle
ist bei dem Elsässer in reichem Maße vorhanden (der Abgeordnete Schneegans
hat in der Presse ausdrücklich darauf hingewiesen, was er unter dem Mutter¬
lande verstanden wissen wolle, um jeder Mißdeutung seiner Rede im allzudeutschen
Sinne zu entgehen), aber der Begriff des Vaterlandes, d. i. der Heimat mit
all' den Institutionen staatlicher Art, die sich auf dem theuern Boden entwickelt
haben, der ist im Elsaß noch wenig vorhanden. Und gesetzt, es fänden sich


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[0282] Vogesenlande hören, doch unter der Voraussetzung, daß Sie keinen Stimmungs- bericht im gewöhnlichen Sinne von mir erwarten. Politische Stimmung ist nicht wie eine Spargelpflanze, die so üppig schießt, daß sie ein geduldiger Beobachter beinahe wachsen sehen kann. Wo sie ja üppiger wuchert, da läßt sich allerdings auf die Mistbeetnatur des Bodens ein Schluß ziehen, aber aus dem einzelnen Vorkommniß ein Vegetationsgesetz nicht ableiten. Unter manchem Unrecht, das unsere Berichterstatter dem Elsaß angethan haben, ist das nicht das kleinste, daß sie in ihrer kindlichen Freude über manche deutsche Spur, die sich noch auffinden ließ, dem gebildeten elsässtschen Mittelstand so oft den Puls gefühlt haben, ob derselbe nicht endlich einen regelmäßigen Gang verriethe. Oefteres Pulsfühlen kann aber einen Patienten schauderhaft quälen und macht ihn doch nicht gesund. Wir sollten uns dabei beruhigen, daß der Kern unserer ländlichen Bevölkerung uns gehört, daß aber alles, was Anspruch auf Bildung macht unter den altheimischen Einwohnern, so tief von französischer Bildung durchdrungen ist, daß diese Leute sich sehr schwer umdenken können, und wenn das Umdenken auch gelingt, so ist es doch dafür mit dem Umändern der Empfindung um so übler bestellt. Nos skutiuWiits alsALlöns sind allerdings bei der Beamtenwelt im Elsaß beinahe sprichwörtlich geworden, denn diese inkommensurable Größe erscheint in der Regel dann, wenn die Praxis des Lebens eine klipp und klare Antwort auf eine klare Frage fordert, aber die Empfindung gehört nun einmal auch zu dem Menschen. Das beste darüber hat jedenfalls der Reichskanzler gesagt, als er aufforderte, doch nicht in den Bibliotheken aufzustöbern, was vor längerer Zeit einmal gesagt worden sei; aber sehr berechtigt war daneben der Wunsch, daß Aeußerungen, die einer vorübergegangenen Periode der ersten Erregung angehören, sich nicht in zu später Zeit wiederholen mögen. Die Stimmungen selbst ließ der Reichskanzler unberührt: Empfindungen sind zollfrei. Anders aber steht die Frage, ob man mit empfindsamen Leuten in der schneidenden Luft des öffentlichen Lebens etwas anfangen kann. Herr v. Stauffenberg würde es mit Freuden begrüßen, wenn es dem Reichskanzler gelänge, aus dem Lande selbst und aus den Reihen der im Lande voranstellenden Männer bei der Rekonstruktion der Regierung in Straßburg Kräfte zu gewinnen, welche in diese hineingezogen werden können. Wir auch, aber — wenn! Die Liebe zum Mutterlande, zur Heimat, zur Scholle ist bei dem Elsässer in reichem Maße vorhanden (der Abgeordnete Schneegans hat in der Presse ausdrücklich darauf hingewiesen, was er unter dem Mutter¬ lande verstanden wissen wolle, um jeder Mißdeutung seiner Rede im allzudeutschen Sinne zu entgehen), aber der Begriff des Vaterlandes, d. i. der Heimat mit all' den Institutionen staatlicher Art, die sich auf dem theuern Boden entwickelt haben, der ist im Elsaß noch wenig vorhanden. Und gesetzt, es fänden sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/282>, abgerufen am 15.05.2024.