Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

denn dasselbe kann höhere Strafe verhängen: es darf die Betreffenden aus
seiner Mitte ausstoßen, womit früher Entziehung der Wählbarkeit verbunden
war. Jetzt ist dieses exorbitante Recht des Parlamentes, das im Oberhause
niemals üblich war, soweit es sich um Aberkennung der Befugniß, sich wieder
wählen zu lassen handelt, beseitigt, und die Ausstoßung bleibt in der Regel
für solche Vergehen vorbehalten, welche Mitglieder unfähig machen, einen Sitz
im Parlamente einzunehmen und, falls sie straflos blieben, das Ansehen des
Parlamentes untergraben würden. Man stieß Mitglieder z. B. wegen Be¬
theiligung an offenem Aufruhr, wegen Fälschung, Meineid, Betrug, Veruntreu¬
ung öffentlicher Gelder, wegen Bestechlichkeit, wegen unehrenhaften Betragens,
wegen Schmähschriften und anderer Vergehungen gegen das Haus selbst aus.
In Bezug auf letztere verfuhr man in der jüngsten Zeit sehr mild. 1838
wurde Daniel O'Connell, als er einige seiner Kollegen in öffentlicher Rede des
Meineids geziehen, nur ein Verweis ertheilt. 1875 sagte Plimsoll in gerechter
Entrüstung über das gewissenlose Benehmen von Schiffsrhedern, die als seine
Kollegen im Unterhause saßen, er wolle diese "Schurken" entlarven, und als
der Sprecher ihn aufforderte, dies zurückzunehmen, weigerte er sich, worauf
aber nicht Ausstoßung, sondern nur ein Verweis beantragt wurde. Die wieder¬
holt nahe an Hochverrath streifenden Reden, welche mehrere von den soge¬
nannten Hom'ernlers noch im vorigen Jahre im Unterhause hielten, führten
nicht zu deren Entfernung ans dem Parlamente.

Wie die seit 1845 üblich gewordene Öffentlichkeit der Sitzungen des Par¬
lamentes niemals gesetzlich anerkannt worden ist, und wie es jedem Mitgliede
jeder Zeit freisteht, durch die Bemerkung, er erblicke Fremde auf der Galerie,
die Wegweisung der Zuhörer zu veranlassen, so ist auch die Veröffentlichung
der Verhandlungen durch die Presse, die einst als Privilegienbruch scharf ver¬
folgt wurde, seit 1771 zwar gestattet, aber nur durch stillschweigende Zustim¬
mung des Parlamentes. Dasselbe ist völlig befugt, der Presse mit den alten
Gesetzen Stillschweigen aufzuerlegen, wenn bei den Verhandlungen ungebühr¬
liche Aeußerungen fallen, indeß würde dies, wie Schleiden meint, nur durch
einen förmlichen Beschluß des Hauses anzuordnen sein, und dieser würde im
Zeitalter der Schnellpressen und Telegraphen jedesmal zu spät kommen.

Strenge Gesetze also und milde Handhabung ist hier, wie in allen diesen
Dingen, die Regel des englischen Parlamentes, das vorläufig freilich keine
sozialistischen Revolutionäre in seiner Mitte sieht.

Im Kongreß der Vereinigten Staaten gibt es nur wenige positive
Regeln für dessen Strafgewalt über seine Mitglieder. Die Verfassung besagt:
"Jedes Hans kann seine Geschäftsordnung selbst feststellen, seine Mitglieder
wegen ordnungswidrigen Benehmens bestrafen, auch mit Zustimmung von zwei


denn dasselbe kann höhere Strafe verhängen: es darf die Betreffenden aus
seiner Mitte ausstoßen, womit früher Entziehung der Wählbarkeit verbunden
war. Jetzt ist dieses exorbitante Recht des Parlamentes, das im Oberhause
niemals üblich war, soweit es sich um Aberkennung der Befugniß, sich wieder
wählen zu lassen handelt, beseitigt, und die Ausstoßung bleibt in der Regel
für solche Vergehen vorbehalten, welche Mitglieder unfähig machen, einen Sitz
im Parlamente einzunehmen und, falls sie straflos blieben, das Ansehen des
Parlamentes untergraben würden. Man stieß Mitglieder z. B. wegen Be¬
theiligung an offenem Aufruhr, wegen Fälschung, Meineid, Betrug, Veruntreu¬
ung öffentlicher Gelder, wegen Bestechlichkeit, wegen unehrenhaften Betragens,
wegen Schmähschriften und anderer Vergehungen gegen das Haus selbst aus.
In Bezug auf letztere verfuhr man in der jüngsten Zeit sehr mild. 1838
wurde Daniel O'Connell, als er einige seiner Kollegen in öffentlicher Rede des
Meineids geziehen, nur ein Verweis ertheilt. 1875 sagte Plimsoll in gerechter
Entrüstung über das gewissenlose Benehmen von Schiffsrhedern, die als seine
Kollegen im Unterhause saßen, er wolle diese „Schurken" entlarven, und als
der Sprecher ihn aufforderte, dies zurückzunehmen, weigerte er sich, worauf
aber nicht Ausstoßung, sondern nur ein Verweis beantragt wurde. Die wieder¬
holt nahe an Hochverrath streifenden Reden, welche mehrere von den soge¬
nannten Hom'ernlers noch im vorigen Jahre im Unterhause hielten, führten
nicht zu deren Entfernung ans dem Parlamente.

Wie die seit 1845 üblich gewordene Öffentlichkeit der Sitzungen des Par¬
lamentes niemals gesetzlich anerkannt worden ist, und wie es jedem Mitgliede
jeder Zeit freisteht, durch die Bemerkung, er erblicke Fremde auf der Galerie,
die Wegweisung der Zuhörer zu veranlassen, so ist auch die Veröffentlichung
der Verhandlungen durch die Presse, die einst als Privilegienbruch scharf ver¬
folgt wurde, seit 1771 zwar gestattet, aber nur durch stillschweigende Zustim¬
mung des Parlamentes. Dasselbe ist völlig befugt, der Presse mit den alten
Gesetzen Stillschweigen aufzuerlegen, wenn bei den Verhandlungen ungebühr¬
liche Aeußerungen fallen, indeß würde dies, wie Schleiden meint, nur durch
einen förmlichen Beschluß des Hauses anzuordnen sein, und dieser würde im
Zeitalter der Schnellpressen und Telegraphen jedesmal zu spät kommen.

Strenge Gesetze also und milde Handhabung ist hier, wie in allen diesen
Dingen, die Regel des englischen Parlamentes, das vorläufig freilich keine
sozialistischen Revolutionäre in seiner Mitte sieht.

Im Kongreß der Vereinigten Staaten gibt es nur wenige positive
Regeln für dessen Strafgewalt über seine Mitglieder. Die Verfassung besagt:
„Jedes Hans kann seine Geschäftsordnung selbst feststellen, seine Mitglieder
wegen ordnungswidrigen Benehmens bestrafen, auch mit Zustimmung von zwei


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0007" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141962"/>
          <p xml:id="ID_7" prev="#ID_6"> denn dasselbe kann höhere Strafe verhängen: es darf die Betreffenden aus<lb/>
seiner Mitte ausstoßen, womit früher Entziehung der Wählbarkeit verbunden<lb/>
war. Jetzt ist dieses exorbitante Recht des Parlamentes, das im Oberhause<lb/>
niemals üblich war, soweit es sich um Aberkennung der Befugniß, sich wieder<lb/>
wählen zu lassen handelt, beseitigt, und die Ausstoßung bleibt in der Regel<lb/>
für solche Vergehen vorbehalten, welche Mitglieder unfähig machen, einen Sitz<lb/>
im Parlamente einzunehmen und, falls sie straflos blieben, das Ansehen des<lb/>
Parlamentes untergraben würden. Man stieß Mitglieder z. B. wegen Be¬<lb/>
theiligung an offenem Aufruhr, wegen Fälschung, Meineid, Betrug, Veruntreu¬<lb/>
ung öffentlicher Gelder, wegen Bestechlichkeit, wegen unehrenhaften Betragens,<lb/>
wegen Schmähschriften und anderer Vergehungen gegen das Haus selbst aus.<lb/>
In Bezug auf letztere verfuhr man in der jüngsten Zeit sehr mild. 1838<lb/>
wurde Daniel O'Connell, als er einige seiner Kollegen in öffentlicher Rede des<lb/>
Meineids geziehen, nur ein Verweis ertheilt. 1875 sagte Plimsoll in gerechter<lb/>
Entrüstung über das gewissenlose Benehmen von Schiffsrhedern, die als seine<lb/>
Kollegen im Unterhause saßen, er wolle diese &#x201E;Schurken" entlarven, und als<lb/>
der Sprecher ihn aufforderte, dies zurückzunehmen, weigerte er sich, worauf<lb/>
aber nicht Ausstoßung, sondern nur ein Verweis beantragt wurde. Die wieder¬<lb/>
holt nahe an Hochverrath streifenden Reden, welche mehrere von den soge¬<lb/>
nannten Hom'ernlers noch im vorigen Jahre im Unterhause hielten, führten<lb/>
nicht zu deren Entfernung ans dem Parlamente.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_8"> Wie die seit 1845 üblich gewordene Öffentlichkeit der Sitzungen des Par¬<lb/>
lamentes niemals gesetzlich anerkannt worden ist, und wie es jedem Mitgliede<lb/>
jeder Zeit freisteht, durch die Bemerkung, er erblicke Fremde auf der Galerie,<lb/>
die Wegweisung der Zuhörer zu veranlassen, so ist auch die Veröffentlichung<lb/>
der Verhandlungen durch die Presse, die einst als Privilegienbruch scharf ver¬<lb/>
folgt wurde, seit 1771 zwar gestattet, aber nur durch stillschweigende Zustim¬<lb/>
mung des Parlamentes. Dasselbe ist völlig befugt, der Presse mit den alten<lb/>
Gesetzen Stillschweigen aufzuerlegen, wenn bei den Verhandlungen ungebühr¬<lb/>
liche Aeußerungen fallen, indeß würde dies, wie Schleiden meint, nur durch<lb/>
einen förmlichen Beschluß des Hauses anzuordnen sein, und dieser würde im<lb/>
Zeitalter der Schnellpressen und Telegraphen jedesmal zu spät kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_9"> Strenge Gesetze also und milde Handhabung ist hier, wie in allen diesen<lb/>
Dingen, die Regel des englischen Parlamentes, das vorläufig freilich keine<lb/>
sozialistischen Revolutionäre in seiner Mitte sieht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_10" next="#ID_11"> Im Kongreß der Vereinigten Staaten gibt es nur wenige positive<lb/>
Regeln für dessen Strafgewalt über seine Mitglieder. Die Verfassung besagt:<lb/>
&#x201E;Jedes Hans kann seine Geschäftsordnung selbst feststellen, seine Mitglieder<lb/>
wegen ordnungswidrigen Benehmens bestrafen, auch mit Zustimmung von zwei</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0007] denn dasselbe kann höhere Strafe verhängen: es darf die Betreffenden aus seiner Mitte ausstoßen, womit früher Entziehung der Wählbarkeit verbunden war. Jetzt ist dieses exorbitante Recht des Parlamentes, das im Oberhause niemals üblich war, soweit es sich um Aberkennung der Befugniß, sich wieder wählen zu lassen handelt, beseitigt, und die Ausstoßung bleibt in der Regel für solche Vergehen vorbehalten, welche Mitglieder unfähig machen, einen Sitz im Parlamente einzunehmen und, falls sie straflos blieben, das Ansehen des Parlamentes untergraben würden. Man stieß Mitglieder z. B. wegen Be¬ theiligung an offenem Aufruhr, wegen Fälschung, Meineid, Betrug, Veruntreu¬ ung öffentlicher Gelder, wegen Bestechlichkeit, wegen unehrenhaften Betragens, wegen Schmähschriften und anderer Vergehungen gegen das Haus selbst aus. In Bezug auf letztere verfuhr man in der jüngsten Zeit sehr mild. 1838 wurde Daniel O'Connell, als er einige seiner Kollegen in öffentlicher Rede des Meineids geziehen, nur ein Verweis ertheilt. 1875 sagte Plimsoll in gerechter Entrüstung über das gewissenlose Benehmen von Schiffsrhedern, die als seine Kollegen im Unterhause saßen, er wolle diese „Schurken" entlarven, und als der Sprecher ihn aufforderte, dies zurückzunehmen, weigerte er sich, worauf aber nicht Ausstoßung, sondern nur ein Verweis beantragt wurde. Die wieder¬ holt nahe an Hochverrath streifenden Reden, welche mehrere von den soge¬ nannten Hom'ernlers noch im vorigen Jahre im Unterhause hielten, führten nicht zu deren Entfernung ans dem Parlamente. Wie die seit 1845 üblich gewordene Öffentlichkeit der Sitzungen des Par¬ lamentes niemals gesetzlich anerkannt worden ist, und wie es jedem Mitgliede jeder Zeit freisteht, durch die Bemerkung, er erblicke Fremde auf der Galerie, die Wegweisung der Zuhörer zu veranlassen, so ist auch die Veröffentlichung der Verhandlungen durch die Presse, die einst als Privilegienbruch scharf ver¬ folgt wurde, seit 1771 zwar gestattet, aber nur durch stillschweigende Zustim¬ mung des Parlamentes. Dasselbe ist völlig befugt, der Presse mit den alten Gesetzen Stillschweigen aufzuerlegen, wenn bei den Verhandlungen ungebühr¬ liche Aeußerungen fallen, indeß würde dies, wie Schleiden meint, nur durch einen förmlichen Beschluß des Hauses anzuordnen sein, und dieser würde im Zeitalter der Schnellpressen und Telegraphen jedesmal zu spät kommen. Strenge Gesetze also und milde Handhabung ist hier, wie in allen diesen Dingen, die Regel des englischen Parlamentes, das vorläufig freilich keine sozialistischen Revolutionäre in seiner Mitte sieht. Im Kongreß der Vereinigten Staaten gibt es nur wenige positive Regeln für dessen Strafgewalt über seine Mitglieder. Die Verfassung besagt: „Jedes Hans kann seine Geschäftsordnung selbst feststellen, seine Mitglieder wegen ordnungswidrigen Benehmens bestrafen, auch mit Zustimmung von zwei

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/7
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/7>, abgerufen am 21.05.2024.