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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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sried- und ruhmreiche Lande in dies von Kriegsgeräusch, Noth und Verwir¬
rung erfüllte zu kommen?" Darauf hätten sie in kurzen Zügen ihre Lehre
von Kirche und Staat vorgetragen, für welche sie leben und sterben wollten,
und auf die unerträglichen in der Kirche herrschenden Irrlehren hingewiesen, auf
deren Vernichtung als seine von Gott gegebene Aufgabe den König aufmerk¬
sam zu machen der Beweggrund ihrer Reise gewesen sei. Erfahrene Männer
hätten dann freilich dem Könige gerathen, die beiden Schriftsteller als Ketzer
zu bestrafen, um nicht durch Mitschuld an ihren Häresieen dem Papste neuen
Vorwand zu Gewaltmaßregeln zu geben; er habe sie aber bei sich behalten
und mit Ehren überhäuft. In der That blieben sie und verbreiteten ihr Buch
an allen Orten, in Wort und Schrift gegen den Papst und seine Maßnahmen
auftretend.

Mit der Ankunft des Marsiglio ist eine neue Phase in der Politik
Ludwigs eingeleitet. Marsiglio selbst war Oberitaliener von Geburt, er wird
auch ein Hauptanlaß gewesen sein, daß Ludwig jetzt wieder in bestimmter
Weise sein Augenmerk auf Italien richtete. Nach einer glänzenden Versamm¬
lung, die nach Trient die Häupter der Ghibellinen zusammenführte, betrat
Ludwig im März den Boden Italiens. Nachdem er die Huldigungen der
lombardischen Städte entgegengenommen und in Mailand die italienische Königs¬
krone empfangen hatte, überstieg er die Apenninen, verstärkte sein Heer durch
die Truppen feines mächtigen Bundesgenossen Castruccio Castracam, bezwang
Pisa und rückte gegen Rom vor. Ohne Widerstand zu finden, ja von jubelnden
Volksmcissen festlich geleitet, zog Ludwig am 7. Januar 1328 im Vatikan ein,
und nun drängten sich Schlag ans Schlag die extremsten Maßregeln. Die
kühnsten Theorieen des Ovtsusor xaeis, dessen Verfasser immer in der Nähe
Ludwigs weilte, sollten zur Verwirklichung gelangen. Im Widerspruch mit
aller Tradition seit Karl dem Großen nahm Ludwig am 17. Januar die Krone
aus den Händen des römischen Volkes, das die Quelle aller politischen Macht
sein sollte. "Welche Anmaßung von diesem Baier!" klagt der päpstlich gesinnte
Villani, "in keiner Chronik, alt oder neu, wirst du finden, daß sich ein Kaiser,
so feindlich er auch der Kirche gesinnt war, anders krönen ließ als vom Papst
oder dessen Legaten; nur dieser Baier -- das war sehr zu verwundern."

Aber Ludwig ging noch weiter. Zuerst wurden am 14. April in einer
Volksversammlung auf dem Se. Petersplatze in Gegenwart des Kaisers selbst
drei Gesetze erlassen, von denen das erste Ludwig auch die Sorge für das christ¬
liche Gemeinwesen zuspricht. Wenn Jemand wegen Ketzerei angeklagt sei, so
habe er vor seinem Gerichte zu erscheinen. Diese Gesetze, die wiederum den Prin¬
zipien des vstMsor xavis entsprechen, waren nur die Vorbereitung zu einem
lange geplanten Schlage. In einer Volksversammlung am 18. April 1328


sried- und ruhmreiche Lande in dies von Kriegsgeräusch, Noth und Verwir¬
rung erfüllte zu kommen?" Darauf hätten sie in kurzen Zügen ihre Lehre
von Kirche und Staat vorgetragen, für welche sie leben und sterben wollten,
und auf die unerträglichen in der Kirche herrschenden Irrlehren hingewiesen, auf
deren Vernichtung als seine von Gott gegebene Aufgabe den König aufmerk¬
sam zu machen der Beweggrund ihrer Reise gewesen sei. Erfahrene Männer
hätten dann freilich dem Könige gerathen, die beiden Schriftsteller als Ketzer
zu bestrafen, um nicht durch Mitschuld an ihren Häresieen dem Papste neuen
Vorwand zu Gewaltmaßregeln zu geben; er habe sie aber bei sich behalten
und mit Ehren überhäuft. In der That blieben sie und verbreiteten ihr Buch
an allen Orten, in Wort und Schrift gegen den Papst und seine Maßnahmen
auftretend.

Mit der Ankunft des Marsiglio ist eine neue Phase in der Politik
Ludwigs eingeleitet. Marsiglio selbst war Oberitaliener von Geburt, er wird
auch ein Hauptanlaß gewesen sein, daß Ludwig jetzt wieder in bestimmter
Weise sein Augenmerk auf Italien richtete. Nach einer glänzenden Versamm¬
lung, die nach Trient die Häupter der Ghibellinen zusammenführte, betrat
Ludwig im März den Boden Italiens. Nachdem er die Huldigungen der
lombardischen Städte entgegengenommen und in Mailand die italienische Königs¬
krone empfangen hatte, überstieg er die Apenninen, verstärkte sein Heer durch
die Truppen feines mächtigen Bundesgenossen Castruccio Castracam, bezwang
Pisa und rückte gegen Rom vor. Ohne Widerstand zu finden, ja von jubelnden
Volksmcissen festlich geleitet, zog Ludwig am 7. Januar 1328 im Vatikan ein,
und nun drängten sich Schlag ans Schlag die extremsten Maßregeln. Die
kühnsten Theorieen des Ovtsusor xaeis, dessen Verfasser immer in der Nähe
Ludwigs weilte, sollten zur Verwirklichung gelangen. Im Widerspruch mit
aller Tradition seit Karl dem Großen nahm Ludwig am 17. Januar die Krone
aus den Händen des römischen Volkes, das die Quelle aller politischen Macht
sein sollte. „Welche Anmaßung von diesem Baier!" klagt der päpstlich gesinnte
Villani, „in keiner Chronik, alt oder neu, wirst du finden, daß sich ein Kaiser,
so feindlich er auch der Kirche gesinnt war, anders krönen ließ als vom Papst
oder dessen Legaten; nur dieser Baier — das war sehr zu verwundern."

Aber Ludwig ging noch weiter. Zuerst wurden am 14. April in einer
Volksversammlung auf dem Se. Petersplatze in Gegenwart des Kaisers selbst
drei Gesetze erlassen, von denen das erste Ludwig auch die Sorge für das christ¬
liche Gemeinwesen zuspricht. Wenn Jemand wegen Ketzerei angeklagt sei, so
habe er vor seinem Gerichte zu erscheinen. Diese Gesetze, die wiederum den Prin¬
zipien des vstMsor xavis entsprechen, waren nur die Vorbereitung zu einem
lange geplanten Schlage. In einer Volksversammlung am 18. April 1328


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/17>, abgerufen am 17.06.2024.