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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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licher Abweichung von der rechtgläubigen Lehre willen seines Amtes entsetzt
wurde. Ueberladen mit religiösen Uebungen waren vor allem die Sonntage.

Das Bedürfniß nach einer Reformation dieser Praxis machte sich denn
auch mit der Zeit immer fühlbarer. Anfangs war es z. B. Gesetz, daß die
Vormittagspredigt von den Schülern nachgeschrieben und nachmittags von einem
Lehrer mit ihnen repetirt wurde. Da sie aber doch nicht immer dem Bedürf¬
niß und dem Ideenkreise der Jugend entsprechen mochte, traten später an die
Stelle dieser RePetitionen Vorträge der Religionslehrer über moralische Themata.
Dieselben erhielten freilich im Schülermunde den ominösen Namen "Sonntags¬
nachmittagsmoral", der ebenso sehr an den bekannten Begriff der vielgeschwänzten
und wenig fruchtbaren "Sommerlogik" der Universitäten wie an den "Sonntags-
nachmittagsausgeherock", jene Bezeichnung des bürgerlichen Humors für das
selten getragene, vielleicht auch nicht immer recht auf den Leib passende Staats¬
gewand erinnert. Diese Erbauungsstnnden, wie sie seit 1835 wenigstens offiziell
heißen, sind in neuester Zeit, gewiß zum Vortheil ihrer Weihe und Wirkung,
auf die wichtigsten Tage des Schullebens beschränkt worden. Daß diese
quantitative Verringerung der religiösen Uebungen nicht etwa auf eine religions¬
feindliche Gesinnung auch nur der nichttheologischen Mitglieder des Lehrer¬
kollegiums schließen läßt, sondern nur auf die immer stärker sich aufdrängende
Einsicht, daß das "Reich Gottes" nicht mit äußerlichen Geberden kommt, das
sehen wir mit besonderer Freude aus der begeisterten Schilderung, welche Flathe
von dem Morgengebet auf dem Götterfelsen entwirft, mit dem das jährliche
Stiftungsfest der Schule (am 3. Juli) zu beginnen Pflegt. Aus der Initiative
der Schüler hervorgegangen (zu Anfang der 20 er Jahre unseres Jahrhunderts),
hat es denn auch seine Popularität ungeschwächt behauptet. "Welcher alte
Afraner zählte nicht noch in späten Jahren das Schmettern der früh nach
2 Uhr die Schläfer weckenden Trompete, den -- später in militärischer Ord¬
nung stattfindenden -- Auszug durch die dämmernde Morgenstille und vor
Allem den Choral und das Gebet selbst bei dem ersten Strahle der aufgehenden
Sonne zu den erhebendsten Augenblicken seines Schülerlebens!" Und auch der
gewöhnliche Religionsunterricht wird gewiß heutzutage weder seine Wirkung
bei den Schülern verfehlen, noch ohne Würdigung von Seiten des Lehrer¬
kollegiums bleiben, wenn er nach jenen weisen Grundsätzen des Organisations¬
planes von 1812 ertheilt wird: "In den Religionsstunden soll nicht gelehrte
Theologie, sondern nur das vorgetragen werden, was eigentlich gemeinnützig
und brauchbar zur Belehrung, Besserung und Beruhigung des Menschen ist,
wobei der Lehrer über streitige Punkte sich mit ebensoviel Schonung und Vor¬
sicht als Wahrheitsliebe und Redlichkeit zu erklären und wohl zu bedenken hat,


licher Abweichung von der rechtgläubigen Lehre willen seines Amtes entsetzt
wurde. Ueberladen mit religiösen Uebungen waren vor allem die Sonntage.

Das Bedürfniß nach einer Reformation dieser Praxis machte sich denn
auch mit der Zeit immer fühlbarer. Anfangs war es z. B. Gesetz, daß die
Vormittagspredigt von den Schülern nachgeschrieben und nachmittags von einem
Lehrer mit ihnen repetirt wurde. Da sie aber doch nicht immer dem Bedürf¬
niß und dem Ideenkreise der Jugend entsprechen mochte, traten später an die
Stelle dieser RePetitionen Vorträge der Religionslehrer über moralische Themata.
Dieselben erhielten freilich im Schülermunde den ominösen Namen „Sonntags¬
nachmittagsmoral", der ebenso sehr an den bekannten Begriff der vielgeschwänzten
und wenig fruchtbaren „Sommerlogik" der Universitäten wie an den „Sonntags-
nachmittagsausgeherock", jene Bezeichnung des bürgerlichen Humors für das
selten getragene, vielleicht auch nicht immer recht auf den Leib passende Staats¬
gewand erinnert. Diese Erbauungsstnnden, wie sie seit 1835 wenigstens offiziell
heißen, sind in neuester Zeit, gewiß zum Vortheil ihrer Weihe und Wirkung,
auf die wichtigsten Tage des Schullebens beschränkt worden. Daß diese
quantitative Verringerung der religiösen Uebungen nicht etwa auf eine religions¬
feindliche Gesinnung auch nur der nichttheologischen Mitglieder des Lehrer¬
kollegiums schließen läßt, sondern nur auf die immer stärker sich aufdrängende
Einsicht, daß das „Reich Gottes" nicht mit äußerlichen Geberden kommt, das
sehen wir mit besonderer Freude aus der begeisterten Schilderung, welche Flathe
von dem Morgengebet auf dem Götterfelsen entwirft, mit dem das jährliche
Stiftungsfest der Schule (am 3. Juli) zu beginnen Pflegt. Aus der Initiative
der Schüler hervorgegangen (zu Anfang der 20 er Jahre unseres Jahrhunderts),
hat es denn auch seine Popularität ungeschwächt behauptet. „Welcher alte
Afraner zählte nicht noch in späten Jahren das Schmettern der früh nach
2 Uhr die Schläfer weckenden Trompete, den — später in militärischer Ord¬
nung stattfindenden — Auszug durch die dämmernde Morgenstille und vor
Allem den Choral und das Gebet selbst bei dem ersten Strahle der aufgehenden
Sonne zu den erhebendsten Augenblicken seines Schülerlebens!" Und auch der
gewöhnliche Religionsunterricht wird gewiß heutzutage weder seine Wirkung
bei den Schülern verfehlen, noch ohne Würdigung von Seiten des Lehrer¬
kollegiums bleiben, wenn er nach jenen weisen Grundsätzen des Organisations¬
planes von 1812 ertheilt wird: „In den Religionsstunden soll nicht gelehrte
Theologie, sondern nur das vorgetragen werden, was eigentlich gemeinnützig
und brauchbar zur Belehrung, Besserung und Beruhigung des Menschen ist,
wobei der Lehrer über streitige Punkte sich mit ebensoviel Schonung und Vor¬
sicht als Wahrheitsliebe und Redlichkeit zu erklären und wohl zu bedenken hat,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/199>, abgerufen am 17.06.2024.