Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

wie weit er jedesmal in der Berührung gewisser Zweifel und Einwände zu
gehen habe." --

Es bleibt uns noch übrig, von einigen hervorragenden und berühmten
Schülern zu reden, welche aus der Anstalt, deren Einrichtungen wir soeben in
verschiedenen Zeitaltern kennen gelernt haben, hervorgegangen sind, vor Allem
von Lessing als Afraner. Bekannt ist das Urtheil seines Rektors über ihn,
daß er ein Pferd sei, das doppeltes Futter brauche. Aber es scheint ihm auch
nicht jedes Futter recht gewesen zu sein, denn in einer Konferenz vom März
1745 führt der gelehrte, aber pedantische Korrektor Höre Klage über ihn, weil
er seit dem 23. Dezember keine lateinische Arbeit eingegeben habe. Lessing
kommt mit einer scharfen Reprimande davon, "da er sonst fleißig genug ge¬
wesen". Auch was ihm derselbe Korrektor in seiner deutschen Chrestomathie
darbot, mochte dem nachmaligen Reformator der deutscheu Literatur nicht be¬
sonders zusagen. Aber nicht auf diesen Lehrer allein, sondern auf die ganze
damals herrschende umständliche und steife Unterrichtsmethode bezieht sich wohl
die spätere briefliche Aeußerung Lessings, daß man in Meißen Vieles lernen
müsse, was man in der Welt nicht brauchen könne. Am meisten Anregungen
hat er auf der Fürstenschule von dem Mathematiker Klima erhalten, dessen
Unterricht ebenso geistvoll war, wie seine Disziplin schlecht, und der die streb¬
samsten und selbständigsten unter seinen Schülern oft bis Mitternacht auf seiner
Stube um sich versammelt hielt; und so handelte denn Lessings Abgangsrede
(1746) gewiß nicht zufällig alö lliÄtKkiQÄtios, varviMruiu. Ueberhaupt behielt
Lessing gerade von dem Selbststudium, an das die Fürstenschule ihre Zöglinge
zu gewöhnen sucht, den reichsten Ertrag und das beste Andenken, wie seine
Aeußerung aus späterer Zeit beweist: "Theophrast, Plautus und Terenz waren
meine Welt, die ich in dem engen Bezirk einer klostermüßigen Schule mit aller
Bequemlichkeit studirte. Wie gern wünschte ich mir diese Jahre zurück, die
einzigen, in denen ich glücklich gelebt habe!" Ebenso bekannt wie jenes eben
erwähnte Urtheil seines Rektors über seine wissenschaftliche Leistungsfähigkeit
ist das seiner Inspektoren über sein Betragen: "Ein guter Knabe, aber etwas
moquant". Doch hat ihn dieser kritisch-satirische Zug, der für den Schrift¬
steller Lessing so charakteristisch ist, niemals in ernstlichere Konflikte mit der
Schulordnung gebracht. "Auch an ihm," bemerkt Flathe, "scheint sich be¬
währt zu haben, daß wissenschaftlicher Sinn und fleißiges Streben die sicherste
Schutzwehr gegen sittliche Verirrungen sind." So hat denn auch das Kärzer
von Se. Afra keine stolze Erinnerung an den gefeiertsten seiner Schüler auf¬
zuweisen; vielmehr erscheint er in einem im Synodalprotokoll verzeichneten
Disziplinarfalle als der geschädigte Theil: "Heerwagen hat Lessings ?<zrrv.yv.s
in den Abtritt geschmissen und verspricht die Zahlung dafür auf vorstehende


wie weit er jedesmal in der Berührung gewisser Zweifel und Einwände zu
gehen habe." —

Es bleibt uns noch übrig, von einigen hervorragenden und berühmten
Schülern zu reden, welche aus der Anstalt, deren Einrichtungen wir soeben in
verschiedenen Zeitaltern kennen gelernt haben, hervorgegangen sind, vor Allem
von Lessing als Afraner. Bekannt ist das Urtheil seines Rektors über ihn,
daß er ein Pferd sei, das doppeltes Futter brauche. Aber es scheint ihm auch
nicht jedes Futter recht gewesen zu sein, denn in einer Konferenz vom März
1745 führt der gelehrte, aber pedantische Korrektor Höre Klage über ihn, weil
er seit dem 23. Dezember keine lateinische Arbeit eingegeben habe. Lessing
kommt mit einer scharfen Reprimande davon, „da er sonst fleißig genug ge¬
wesen". Auch was ihm derselbe Korrektor in seiner deutschen Chrestomathie
darbot, mochte dem nachmaligen Reformator der deutscheu Literatur nicht be¬
sonders zusagen. Aber nicht auf diesen Lehrer allein, sondern auf die ganze
damals herrschende umständliche und steife Unterrichtsmethode bezieht sich wohl
die spätere briefliche Aeußerung Lessings, daß man in Meißen Vieles lernen
müsse, was man in der Welt nicht brauchen könne. Am meisten Anregungen
hat er auf der Fürstenschule von dem Mathematiker Klima erhalten, dessen
Unterricht ebenso geistvoll war, wie seine Disziplin schlecht, und der die streb¬
samsten und selbständigsten unter seinen Schülern oft bis Mitternacht auf seiner
Stube um sich versammelt hielt; und so handelte denn Lessings Abgangsrede
(1746) gewiß nicht zufällig alö lliÄtKkiQÄtios, varviMruiu. Ueberhaupt behielt
Lessing gerade von dem Selbststudium, an das die Fürstenschule ihre Zöglinge
zu gewöhnen sucht, den reichsten Ertrag und das beste Andenken, wie seine
Aeußerung aus späterer Zeit beweist: „Theophrast, Plautus und Terenz waren
meine Welt, die ich in dem engen Bezirk einer klostermüßigen Schule mit aller
Bequemlichkeit studirte. Wie gern wünschte ich mir diese Jahre zurück, die
einzigen, in denen ich glücklich gelebt habe!" Ebenso bekannt wie jenes eben
erwähnte Urtheil seines Rektors über seine wissenschaftliche Leistungsfähigkeit
ist das seiner Inspektoren über sein Betragen: „Ein guter Knabe, aber etwas
moquant". Doch hat ihn dieser kritisch-satirische Zug, der für den Schrift¬
steller Lessing so charakteristisch ist, niemals in ernstlichere Konflikte mit der
Schulordnung gebracht. „Auch an ihm," bemerkt Flathe, „scheint sich be¬
währt zu haben, daß wissenschaftlicher Sinn und fleißiges Streben die sicherste
Schutzwehr gegen sittliche Verirrungen sind." So hat denn auch das Kärzer
von Se. Afra keine stolze Erinnerung an den gefeiertsten seiner Schüler auf¬
zuweisen; vielmehr erscheint er in einem im Synodalprotokoll verzeichneten
Disziplinarfalle als der geschädigte Theil: „Heerwagen hat Lessings ?<zrrv.yv.s
in den Abtritt geschmissen und verspricht die Zahlung dafür auf vorstehende


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0200" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143255"/>
          <p xml:id="ID_602" prev="#ID_601"> wie weit er jedesmal in der Berührung gewisser Zweifel und Einwände zu<lb/>
gehen habe." &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_603" next="#ID_604"> Es bleibt uns noch übrig, von einigen hervorragenden und berühmten<lb/>
Schülern zu reden, welche aus der Anstalt, deren Einrichtungen wir soeben in<lb/>
verschiedenen Zeitaltern kennen gelernt haben, hervorgegangen sind, vor Allem<lb/>
von Lessing als Afraner. Bekannt ist das Urtheil seines Rektors über ihn,<lb/>
daß er ein Pferd sei, das doppeltes Futter brauche. Aber es scheint ihm auch<lb/>
nicht jedes Futter recht gewesen zu sein, denn in einer Konferenz vom März<lb/>
1745 führt der gelehrte, aber pedantische Korrektor Höre Klage über ihn, weil<lb/>
er seit dem 23. Dezember keine lateinische Arbeit eingegeben habe. Lessing<lb/>
kommt mit einer scharfen Reprimande davon, &#x201E;da er sonst fleißig genug ge¬<lb/>
wesen". Auch was ihm derselbe Korrektor in seiner deutschen Chrestomathie<lb/>
darbot, mochte dem nachmaligen Reformator der deutscheu Literatur nicht be¬<lb/>
sonders zusagen. Aber nicht auf diesen Lehrer allein, sondern auf die ganze<lb/>
damals herrschende umständliche und steife Unterrichtsmethode bezieht sich wohl<lb/>
die spätere briefliche Aeußerung Lessings, daß man in Meißen Vieles lernen<lb/>
müsse, was man in der Welt nicht brauchen könne. Am meisten Anregungen<lb/>
hat er auf der Fürstenschule von dem Mathematiker Klima erhalten, dessen<lb/>
Unterricht ebenso geistvoll war, wie seine Disziplin schlecht, und der die streb¬<lb/>
samsten und selbständigsten unter seinen Schülern oft bis Mitternacht auf seiner<lb/>
Stube um sich versammelt hielt; und so handelte denn Lessings Abgangsrede<lb/>
(1746) gewiß nicht zufällig alö lliÄtKkiQÄtios, varviMruiu. Ueberhaupt behielt<lb/>
Lessing gerade von dem Selbststudium, an das die Fürstenschule ihre Zöglinge<lb/>
zu gewöhnen sucht, den reichsten Ertrag und das beste Andenken, wie seine<lb/>
Aeußerung aus späterer Zeit beweist: &#x201E;Theophrast, Plautus und Terenz waren<lb/>
meine Welt, die ich in dem engen Bezirk einer klostermüßigen Schule mit aller<lb/>
Bequemlichkeit studirte. Wie gern wünschte ich mir diese Jahre zurück, die<lb/>
einzigen, in denen ich glücklich gelebt habe!"  Ebenso bekannt wie jenes eben<lb/>
erwähnte Urtheil seines Rektors über seine wissenschaftliche Leistungsfähigkeit<lb/>
ist das seiner Inspektoren über sein Betragen: &#x201E;Ein guter Knabe, aber etwas<lb/>
moquant". Doch hat ihn dieser kritisch-satirische Zug, der für den Schrift¬<lb/>
steller Lessing so charakteristisch ist, niemals in ernstlichere Konflikte mit der<lb/>
Schulordnung gebracht. &#x201E;Auch an ihm," bemerkt Flathe, &#x201E;scheint sich be¬<lb/>
währt zu haben, daß wissenschaftlicher Sinn und fleißiges Streben die sicherste<lb/>
Schutzwehr gegen sittliche Verirrungen sind."  So hat denn auch das Kärzer<lb/>
von Se. Afra keine stolze Erinnerung an den gefeiertsten seiner Schüler auf¬<lb/>
zuweisen; vielmehr erscheint er in einem im Synodalprotokoll verzeichneten<lb/>
Disziplinarfalle als der geschädigte Theil: &#x201E;Heerwagen hat Lessings ?&lt;zrrv.yv.s<lb/>
in den Abtritt geschmissen und verspricht die Zahlung dafür auf vorstehende</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0200] wie weit er jedesmal in der Berührung gewisser Zweifel und Einwände zu gehen habe." — Es bleibt uns noch übrig, von einigen hervorragenden und berühmten Schülern zu reden, welche aus der Anstalt, deren Einrichtungen wir soeben in verschiedenen Zeitaltern kennen gelernt haben, hervorgegangen sind, vor Allem von Lessing als Afraner. Bekannt ist das Urtheil seines Rektors über ihn, daß er ein Pferd sei, das doppeltes Futter brauche. Aber es scheint ihm auch nicht jedes Futter recht gewesen zu sein, denn in einer Konferenz vom März 1745 führt der gelehrte, aber pedantische Korrektor Höre Klage über ihn, weil er seit dem 23. Dezember keine lateinische Arbeit eingegeben habe. Lessing kommt mit einer scharfen Reprimande davon, „da er sonst fleißig genug ge¬ wesen". Auch was ihm derselbe Korrektor in seiner deutschen Chrestomathie darbot, mochte dem nachmaligen Reformator der deutscheu Literatur nicht be¬ sonders zusagen. Aber nicht auf diesen Lehrer allein, sondern auf die ganze damals herrschende umständliche und steife Unterrichtsmethode bezieht sich wohl die spätere briefliche Aeußerung Lessings, daß man in Meißen Vieles lernen müsse, was man in der Welt nicht brauchen könne. Am meisten Anregungen hat er auf der Fürstenschule von dem Mathematiker Klima erhalten, dessen Unterricht ebenso geistvoll war, wie seine Disziplin schlecht, und der die streb¬ samsten und selbständigsten unter seinen Schülern oft bis Mitternacht auf seiner Stube um sich versammelt hielt; und so handelte denn Lessings Abgangsrede (1746) gewiß nicht zufällig alö lliÄtKkiQÄtios, varviMruiu. Ueberhaupt behielt Lessing gerade von dem Selbststudium, an das die Fürstenschule ihre Zöglinge zu gewöhnen sucht, den reichsten Ertrag und das beste Andenken, wie seine Aeußerung aus späterer Zeit beweist: „Theophrast, Plautus und Terenz waren meine Welt, die ich in dem engen Bezirk einer klostermüßigen Schule mit aller Bequemlichkeit studirte. Wie gern wünschte ich mir diese Jahre zurück, die einzigen, in denen ich glücklich gelebt habe!" Ebenso bekannt wie jenes eben erwähnte Urtheil seines Rektors über seine wissenschaftliche Leistungsfähigkeit ist das seiner Inspektoren über sein Betragen: „Ein guter Knabe, aber etwas moquant". Doch hat ihn dieser kritisch-satirische Zug, der für den Schrift¬ steller Lessing so charakteristisch ist, niemals in ernstlichere Konflikte mit der Schulordnung gebracht. „Auch an ihm," bemerkt Flathe, „scheint sich be¬ währt zu haben, daß wissenschaftlicher Sinn und fleißiges Streben die sicherste Schutzwehr gegen sittliche Verirrungen sind." So hat denn auch das Kärzer von Se. Afra keine stolze Erinnerung an den gefeiertsten seiner Schüler auf¬ zuweisen; vielmehr erscheint er in einem im Synodalprotokoll verzeichneten Disziplinarfalle als der geschädigte Theil: „Heerwagen hat Lessings ?<zrrv.yv.s in den Abtritt geschmissen und verspricht die Zahlung dafür auf vorstehende

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/200
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/200>, abgerufen am 26.05.2024.