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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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die Examinanden herbeizuführen, so wurde der zweite Antrag zurückgezogen
und der Kögelsche fast einstimmig angenommen.

Die Generalsynode sah in dem Gesetze vom 11. Mai 1873 ein ungerecht¬
fertigtes Mißtrauen gegen den wissenschaftlichen Sinn der Theologen, eine
Zurücksetzung gegen die Studirenden anderer Fakultäten, an welche die gleiche
Anforderung nicht gestellt werde, eine Benachtheiligung der Kirche selbst, weil
faktisch durch das Gesetz eine vierjährige Studienzeit nöthig gemacht werde,
was bei dem herrschenden Mangel an Theologen und der Mittellosigkeit der
meisten, welche dies Studium ergreifen, große Nachtheile zur Folge habe.
Ueberdies sei das Gesetz wesentlich gerichtet gegen die katholischen Theologen,
über deren Mangel an allgemeiner wissenschaftlicher Bildung Klage erhoben
sei, treffe aber in Wahrheit nur die evangelischen Theologen, da sich bis jetzt
kein katholischer Student jener Prüfung unterzogen habe.

Wir wissen nicht, wie weit anch Universitätsprofessoren wie Beyschlag dem
Wunsche nach gänzlicher Beseitigung des "Knlturexcnuens" beistimmen. Jeden¬
falls hat die Generalsynode der in den zunächst betheiligten Kreisen herrschenden
Stimmung einen Ausdruck gegeben. Die Unzufriedenheit über das Gesetz ist
unter den Theologen der verschiedenen Richtungen allgemein. Sich prüfen lassen
ist nie angenehm, und jede Prüfung, auch die in allgemeiner Bildung, erfordert
ein gewisses Maß spezieller Vorbereitung, die auch für den wissenschaftlich
Strebsamen nicht erfreulich ist. Zu derselben Zeit, wo den Juristen die eine
Prüfung von dreien erlassen wird, wird den Theologen eine neue Prüfung
zugelegt. Der Vergleich erregt natürlich eine gewisse Erbitterung, zumal der
Gedanke nahe liegt, das Gesetz würde nicht gegeben sein, wenn nicht an lei¬
tender Stelle die Meinung herrschte, daß die Theologen mehr als andere
Studirende ihre Fortbildung in den Gegenständen der allgemeinen Bildung
vernachlässigten. Denn daß für Juristen Kenntniß der vaterländischen Geschichte
und Literatur ebenfalls wünschenswerth, ja nothwendig sei, werden doch die
Juristen selbst nicht in Abrede stellen.

Nun, so schlimm, wie man in theologischen Kreisen die Sache ansieht, liegt
sie nicht. Die Theologen sind nicht die einzigen, von denen eine solche Prü¬
fung gefordert wird. Auch der Mediziner muß nach dem vierten Semester
seiner Studienzeit in Gegenständen, welche für sein Fach nebensächlich, für
seine allgemeine Bildung von besonderer Wichtigkeit sind, in Chemie, Physik
und beschreibenden Naturwissenschaften, sich einer Prüfung unterziehen, die ge¬
wiß nicht minderen Zeitaufwand und wohl eingehendere Spezialftndien erfor¬
dert als jene Prüfung der Theologen. Auch der Mathematiker und Philo¬
log, der nur die Berechtigung, in seinem Fache zu unterrichten und dafür als
Lehrer angestellt zu werden, erlangen will, muß doch seiue allgemeine Bildung


die Examinanden herbeizuführen, so wurde der zweite Antrag zurückgezogen
und der Kögelsche fast einstimmig angenommen.

Die Generalsynode sah in dem Gesetze vom 11. Mai 1873 ein ungerecht¬
fertigtes Mißtrauen gegen den wissenschaftlichen Sinn der Theologen, eine
Zurücksetzung gegen die Studirenden anderer Fakultäten, an welche die gleiche
Anforderung nicht gestellt werde, eine Benachtheiligung der Kirche selbst, weil
faktisch durch das Gesetz eine vierjährige Studienzeit nöthig gemacht werde,
was bei dem herrschenden Mangel an Theologen und der Mittellosigkeit der
meisten, welche dies Studium ergreifen, große Nachtheile zur Folge habe.
Ueberdies sei das Gesetz wesentlich gerichtet gegen die katholischen Theologen,
über deren Mangel an allgemeiner wissenschaftlicher Bildung Klage erhoben
sei, treffe aber in Wahrheit nur die evangelischen Theologen, da sich bis jetzt
kein katholischer Student jener Prüfung unterzogen habe.

Wir wissen nicht, wie weit anch Universitätsprofessoren wie Beyschlag dem
Wunsche nach gänzlicher Beseitigung des „Knlturexcnuens" beistimmen. Jeden¬
falls hat die Generalsynode der in den zunächst betheiligten Kreisen herrschenden
Stimmung einen Ausdruck gegeben. Die Unzufriedenheit über das Gesetz ist
unter den Theologen der verschiedenen Richtungen allgemein. Sich prüfen lassen
ist nie angenehm, und jede Prüfung, auch die in allgemeiner Bildung, erfordert
ein gewisses Maß spezieller Vorbereitung, die auch für den wissenschaftlich
Strebsamen nicht erfreulich ist. Zu derselben Zeit, wo den Juristen die eine
Prüfung von dreien erlassen wird, wird den Theologen eine neue Prüfung
zugelegt. Der Vergleich erregt natürlich eine gewisse Erbitterung, zumal der
Gedanke nahe liegt, das Gesetz würde nicht gegeben sein, wenn nicht an lei¬
tender Stelle die Meinung herrschte, daß die Theologen mehr als andere
Studirende ihre Fortbildung in den Gegenständen der allgemeinen Bildung
vernachlässigten. Denn daß für Juristen Kenntniß der vaterländischen Geschichte
und Literatur ebenfalls wünschenswerth, ja nothwendig sei, werden doch die
Juristen selbst nicht in Abrede stellen.

Nun, so schlimm, wie man in theologischen Kreisen die Sache ansieht, liegt
sie nicht. Die Theologen sind nicht die einzigen, von denen eine solche Prü¬
fung gefordert wird. Auch der Mediziner muß nach dem vierten Semester
seiner Studienzeit in Gegenständen, welche für sein Fach nebensächlich, für
seine allgemeine Bildung von besonderer Wichtigkeit sind, in Chemie, Physik
und beschreibenden Naturwissenschaften, sich einer Prüfung unterziehen, die ge¬
wiß nicht minderen Zeitaufwand und wohl eingehendere Spezialftndien erfor¬
dert als jene Prüfung der Theologen. Auch der Mathematiker und Philo¬
log, der nur die Berechtigung, in seinem Fache zu unterrichten und dafür als
Lehrer angestellt zu werden, erlangen will, muß doch seiue allgemeine Bildung


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[0218] die Examinanden herbeizuführen, so wurde der zweite Antrag zurückgezogen und der Kögelsche fast einstimmig angenommen. Die Generalsynode sah in dem Gesetze vom 11. Mai 1873 ein ungerecht¬ fertigtes Mißtrauen gegen den wissenschaftlichen Sinn der Theologen, eine Zurücksetzung gegen die Studirenden anderer Fakultäten, an welche die gleiche Anforderung nicht gestellt werde, eine Benachtheiligung der Kirche selbst, weil faktisch durch das Gesetz eine vierjährige Studienzeit nöthig gemacht werde, was bei dem herrschenden Mangel an Theologen und der Mittellosigkeit der meisten, welche dies Studium ergreifen, große Nachtheile zur Folge habe. Ueberdies sei das Gesetz wesentlich gerichtet gegen die katholischen Theologen, über deren Mangel an allgemeiner wissenschaftlicher Bildung Klage erhoben sei, treffe aber in Wahrheit nur die evangelischen Theologen, da sich bis jetzt kein katholischer Student jener Prüfung unterzogen habe. Wir wissen nicht, wie weit anch Universitätsprofessoren wie Beyschlag dem Wunsche nach gänzlicher Beseitigung des „Knlturexcnuens" beistimmen. Jeden¬ falls hat die Generalsynode der in den zunächst betheiligten Kreisen herrschenden Stimmung einen Ausdruck gegeben. Die Unzufriedenheit über das Gesetz ist unter den Theologen der verschiedenen Richtungen allgemein. Sich prüfen lassen ist nie angenehm, und jede Prüfung, auch die in allgemeiner Bildung, erfordert ein gewisses Maß spezieller Vorbereitung, die auch für den wissenschaftlich Strebsamen nicht erfreulich ist. Zu derselben Zeit, wo den Juristen die eine Prüfung von dreien erlassen wird, wird den Theologen eine neue Prüfung zugelegt. Der Vergleich erregt natürlich eine gewisse Erbitterung, zumal der Gedanke nahe liegt, das Gesetz würde nicht gegeben sein, wenn nicht an lei¬ tender Stelle die Meinung herrschte, daß die Theologen mehr als andere Studirende ihre Fortbildung in den Gegenständen der allgemeinen Bildung vernachlässigten. Denn daß für Juristen Kenntniß der vaterländischen Geschichte und Literatur ebenfalls wünschenswerth, ja nothwendig sei, werden doch die Juristen selbst nicht in Abrede stellen. Nun, so schlimm, wie man in theologischen Kreisen die Sache ansieht, liegt sie nicht. Die Theologen sind nicht die einzigen, von denen eine solche Prü¬ fung gefordert wird. Auch der Mediziner muß nach dem vierten Semester seiner Studienzeit in Gegenständen, welche für sein Fach nebensächlich, für seine allgemeine Bildung von besonderer Wichtigkeit sind, in Chemie, Physik und beschreibenden Naturwissenschaften, sich einer Prüfung unterziehen, die ge¬ wiß nicht minderen Zeitaufwand und wohl eingehendere Spezialftndien erfor¬ dert als jene Prüfung der Theologen. Auch der Mathematiker und Philo¬ log, der nur die Berechtigung, in seinem Fache zu unterrichten und dafür als Lehrer angestellt zu werden, erlangen will, muß doch seiue allgemeine Bildung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/218>, abgerufen am 26.05.2024.