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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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nicht blos in Philosophie und Pädagogik, anch in Religion, Geschichte, Geogra¬
phie und Sprachen, die nicht sein Spezialfach siud, nachweisen. Bei manchem,
dessen Abiturientenzeugniß das Prädikat "Gut" oder selbst "Vorzüglich" in der
Religion schmückt, wird dann im Staatsexamen die allgemeine Bildung in der
Religion für ungenügend erfunden, er erhält eine niedrigere Zeugnißnummer
und muß vor seiner Anstellung als Lehrer sich einer Nachprüfung unterziehen.
Die Studirenden der Jurisprudenz sind somit die einzigen, denen der Nach¬
weis allgemeiner Bildung erlassen ist. Ob der gegenwärtige Zustand, wonach
für sie ein Semester oder höchstens ein Jahr mäßiger Anstrengung zur Vor¬
bereitung für das erste Examen ausreicht, ihnen selbst vortheilhaft ist, soll hier
nicht erörtert werden. Sicherlich haben die Erfahrungen der betreffenden Prü¬
fungskommissionen gelehrt, wie wünschenswerth für viele Theologen auch eine
äußere Nöthigung ist, ihre allgemeine Bildung nicht zu vernachlässigen, und
wie mangelhaft bei vielen die Kenntnisse in jenen Gegenständen sind, die sie
doch nicht entbehren können, um ihr Amt voll und ganz auszufüllen. Das
läßt sich auch durch Scherze uicht widerlegen, wie sie Herr Dr. Kögel vor¬
brachte: daß ja nicht die theologischen Fakultätsangehörigen allein das Recht
hätten, verwirrt zu antworten, und daß man auch eine Sammlung schiefer und
verwirrter Fragen der Examinatoren anlegen könne. Die Resultate der Prü¬
fungen zeigen einerseits, daß trotz aller Reglements und aller Beaufsichtigung
durch die Behörden die Leistungen unserer Gymnasien in Geschichte und Lite¬
raturgeschichte doch nicht die Gleichmäßigkeit und Gründlichkeit in der Durch¬
bildung haben, die wünschenswerth wäre; sie zeigen andrerseits, daß der
jugendliche Geist eine wahrhaft bewundernswerthe Fähigkeit hat, Gelerntes zu
vergessen. Je mehr die sich steigernden Anforderungen in den Spezialfächeru
die Thätigkeit der Studirenden in Anspruch nehmen, umsomehr hat der Staat
die Verpflichtung, darauf zu halten, daß die allgemeine Bildung nicht vernach¬
lässigt werde. Nun kann man sagen, daß ein großer Theil der Theologie-
studirenden später Hauslehrerstellen annimmt oder anderweitigen Unterricht
ertheilt und dadurch eine Nöthigung erhält, jene Lücken auszufüllen. Aber es
ist doch immer sehr mißlich, wenn jemand erst als Lehrer anfängt, das zu
lernen, was er als Lehrer braucht, und bei dem jetzigen Mangel an Theologen,
in Folge dessen jeder nach Absolvirung der vorgeschriebenen Prüfungen sofort
in das geistliche Amt eintritt, wird die Zahl der Theologen, welche zwischen
der Universitätszeit und dem Eintritt in das Amt als Lehrer thätig sind, wesent¬
lich geringer, als sie früher war. Auch die Schulaufsicht, welche die Geistlichen
zum Theil auszuüben haben, rechtfertigt die Forderung des Staates, daß sie
ihre pädagogische und allgemein wissenschaftliche Bildung nachweisen. Aus
diesen Gründen können wir der in der Generalsynode vielfach lautgewordenen


nicht blos in Philosophie und Pädagogik, anch in Religion, Geschichte, Geogra¬
phie und Sprachen, die nicht sein Spezialfach siud, nachweisen. Bei manchem,
dessen Abiturientenzeugniß das Prädikat „Gut" oder selbst „Vorzüglich" in der
Religion schmückt, wird dann im Staatsexamen die allgemeine Bildung in der
Religion für ungenügend erfunden, er erhält eine niedrigere Zeugnißnummer
und muß vor seiner Anstellung als Lehrer sich einer Nachprüfung unterziehen.
Die Studirenden der Jurisprudenz sind somit die einzigen, denen der Nach¬
weis allgemeiner Bildung erlassen ist. Ob der gegenwärtige Zustand, wonach
für sie ein Semester oder höchstens ein Jahr mäßiger Anstrengung zur Vor¬
bereitung für das erste Examen ausreicht, ihnen selbst vortheilhaft ist, soll hier
nicht erörtert werden. Sicherlich haben die Erfahrungen der betreffenden Prü¬
fungskommissionen gelehrt, wie wünschenswerth für viele Theologen auch eine
äußere Nöthigung ist, ihre allgemeine Bildung nicht zu vernachlässigen, und
wie mangelhaft bei vielen die Kenntnisse in jenen Gegenständen sind, die sie
doch nicht entbehren können, um ihr Amt voll und ganz auszufüllen. Das
läßt sich auch durch Scherze uicht widerlegen, wie sie Herr Dr. Kögel vor¬
brachte: daß ja nicht die theologischen Fakultätsangehörigen allein das Recht
hätten, verwirrt zu antworten, und daß man auch eine Sammlung schiefer und
verwirrter Fragen der Examinatoren anlegen könne. Die Resultate der Prü¬
fungen zeigen einerseits, daß trotz aller Reglements und aller Beaufsichtigung
durch die Behörden die Leistungen unserer Gymnasien in Geschichte und Lite¬
raturgeschichte doch nicht die Gleichmäßigkeit und Gründlichkeit in der Durch¬
bildung haben, die wünschenswerth wäre; sie zeigen andrerseits, daß der
jugendliche Geist eine wahrhaft bewundernswerthe Fähigkeit hat, Gelerntes zu
vergessen. Je mehr die sich steigernden Anforderungen in den Spezialfächeru
die Thätigkeit der Studirenden in Anspruch nehmen, umsomehr hat der Staat
die Verpflichtung, darauf zu halten, daß die allgemeine Bildung nicht vernach¬
lässigt werde. Nun kann man sagen, daß ein großer Theil der Theologie-
studirenden später Hauslehrerstellen annimmt oder anderweitigen Unterricht
ertheilt und dadurch eine Nöthigung erhält, jene Lücken auszufüllen. Aber es
ist doch immer sehr mißlich, wenn jemand erst als Lehrer anfängt, das zu
lernen, was er als Lehrer braucht, und bei dem jetzigen Mangel an Theologen,
in Folge dessen jeder nach Absolvirung der vorgeschriebenen Prüfungen sofort
in das geistliche Amt eintritt, wird die Zahl der Theologen, welche zwischen
der Universitätszeit und dem Eintritt in das Amt als Lehrer thätig sind, wesent¬
lich geringer, als sie früher war. Auch die Schulaufsicht, welche die Geistlichen
zum Theil auszuüben haben, rechtfertigt die Forderung des Staates, daß sie
ihre pädagogische und allgemein wissenschaftliche Bildung nachweisen. Aus
diesen Gründen können wir der in der Generalsynode vielfach lautgewordenen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/219>, abgerufen am 17.06.2024.