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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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gegen. Wir würden ein Bild der tiefen Bewegung ihrer Seele in dieser Zeit
besitzen, wenn sie damals lyrische Dichterin gewesen wäre. Dies ist sie aber
erst viel später geworden, im letzten Dezennium ihres Lebens; ihre anfängliche
poetische Production lag auf epischem Gebiete. Wenn sie aber im Tone der
schmerzlichsten, wehmuthsvvllsten Stimmung später auf jene Zeit zurückblickt, so
dürfen wir darin einen Beweis erkennen, daß die Wunde, die sie damals
empfangen, sich nicht geschlossen hatte. Und darin wird uns nicht beirren, daß
sie vermöge der Klarheit ihres Geistes und der Energie ihres Willens der
Außenwelt ein heiteres Angesicht zeigte. Wie traurig klingt uns die Klage aus
dem Gedichte "spätes Erwachen" entgegen:


Ich sah der Liebe Engel lächeln,
Und hatte doch kein Paradies.

Und dann die ergreifende rückschauende Erinnerung in der "Taxuswand" und
der "Nadel im Baum". Wir können es uns nicht versagen, diese beiden Ge¬
dichte, in denen die ganze Tiefe ihres Gemüthslebens sich ausspricht, unverkürzt
hier mitzutheilen.


Die Taxuswand.
[Beginn Spaltensatz] Ich stehe gern vor dir.
Du Fläche schwarz und rauh,
Du schartiges Visir
Bor meines Liebsten Brau',
Gern mag ich vor dir stehen,
Wie vor grundirten Tuch,
Und drüber gleiten sehen
Den bleichen Krönungszug; Als mein die Krone hier,
Bon Händen, die nun kalt;
Als mau gesungen mir
In Weisen, die nun alt --
Vorhang am Heiligthume,
Mein Paradiesesthor,
Dahinter alles Blume
Und Alles Dorn davor. Denn jenseits weiß ich sie,
Die grüne Gartenbank,
Wo ich das Leben früh
Mit glühen Lippen trank,
Als mich mein Haar umwallte
Noch golden wie ein Strahl,
Als noch mein Ruf erschallte,
Ein Hornstoß, durch das Thal. [Spaltenumbruch] Das zarte Epheureis,
So Liebe pflegte dort,
Sechs Schritte -- und ich weiß,
Ich weiß dann, daß es fort.
So will ich immer schleichen
Nur an dein dunkles Tuch
Und achtzehn Jahre streichen
Aus meinem Lebensbuch. Du starrtest damals schon
So düster treu wie heut,
Du, unsrer Liebe Thron
Und Wächter manche Zeit;
Man sagt, daß Schlaf, ein schlimmer
Dir aus den Nadeln raucht --
Ach, wacher war ich nimmer,
Als rings von dir umhaucht!
Nun aber bin ich matt
Und möcht' an deinem Saum
Vergleitcn wie ein Blatt,
Gewebe vom nächsten Baum;
Du lockst mich wie ein Hafen,
Wo 'alle Stürme stumm,
O, schlafen möcht' ich, schlafen,
Bis meine Zeit herum! [Ende Spaltensatz] ,

Und das zweite Gedicht:


gegen. Wir würden ein Bild der tiefen Bewegung ihrer Seele in dieser Zeit
besitzen, wenn sie damals lyrische Dichterin gewesen wäre. Dies ist sie aber
erst viel später geworden, im letzten Dezennium ihres Lebens; ihre anfängliche
poetische Production lag auf epischem Gebiete. Wenn sie aber im Tone der
schmerzlichsten, wehmuthsvvllsten Stimmung später auf jene Zeit zurückblickt, so
dürfen wir darin einen Beweis erkennen, daß die Wunde, die sie damals
empfangen, sich nicht geschlossen hatte. Und darin wird uns nicht beirren, daß
sie vermöge der Klarheit ihres Geistes und der Energie ihres Willens der
Außenwelt ein heiteres Angesicht zeigte. Wie traurig klingt uns die Klage aus
dem Gedichte „spätes Erwachen" entgegen:


Ich sah der Liebe Engel lächeln,
Und hatte doch kein Paradies.

Und dann die ergreifende rückschauende Erinnerung in der „Taxuswand" und
der „Nadel im Baum". Wir können es uns nicht versagen, diese beiden Ge¬
dichte, in denen die ganze Tiefe ihres Gemüthslebens sich ausspricht, unverkürzt
hier mitzutheilen.


Die Taxuswand.
[Beginn Spaltensatz] Ich stehe gern vor dir.
Du Fläche schwarz und rauh,
Du schartiges Visir
Bor meines Liebsten Brau',
Gern mag ich vor dir stehen,
Wie vor grundirten Tuch,
Und drüber gleiten sehen
Den bleichen Krönungszug; Als mein die Krone hier,
Bon Händen, die nun kalt;
Als mau gesungen mir
In Weisen, die nun alt —
Vorhang am Heiligthume,
Mein Paradiesesthor,
Dahinter alles Blume
Und Alles Dorn davor. Denn jenseits weiß ich sie,
Die grüne Gartenbank,
Wo ich das Leben früh
Mit glühen Lippen trank,
Als mich mein Haar umwallte
Noch golden wie ein Strahl,
Als noch mein Ruf erschallte,
Ein Hornstoß, durch das Thal. [Spaltenumbruch] Das zarte Epheureis,
So Liebe pflegte dort,
Sechs Schritte — und ich weiß,
Ich weiß dann, daß es fort.
So will ich immer schleichen
Nur an dein dunkles Tuch
Und achtzehn Jahre streichen
Aus meinem Lebensbuch. Du starrtest damals schon
So düster treu wie heut,
Du, unsrer Liebe Thron
Und Wächter manche Zeit;
Man sagt, daß Schlaf, ein schlimmer
Dir aus den Nadeln raucht —
Ach, wacher war ich nimmer,
Als rings von dir umhaucht!
Nun aber bin ich matt
Und möcht' an deinem Saum
Vergleitcn wie ein Blatt,
Gewebe vom nächsten Baum;
Du lockst mich wie ein Hafen,
Wo 'alle Stürme stumm,
O, schlafen möcht' ich, schlafen,
Bis meine Zeit herum! [Ende Spaltensatz] ,

Und das zweite Gedicht:


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[0282] gegen. Wir würden ein Bild der tiefen Bewegung ihrer Seele in dieser Zeit besitzen, wenn sie damals lyrische Dichterin gewesen wäre. Dies ist sie aber erst viel später geworden, im letzten Dezennium ihres Lebens; ihre anfängliche poetische Production lag auf epischem Gebiete. Wenn sie aber im Tone der schmerzlichsten, wehmuthsvvllsten Stimmung später auf jene Zeit zurückblickt, so dürfen wir darin einen Beweis erkennen, daß die Wunde, die sie damals empfangen, sich nicht geschlossen hatte. Und darin wird uns nicht beirren, daß sie vermöge der Klarheit ihres Geistes und der Energie ihres Willens der Außenwelt ein heiteres Angesicht zeigte. Wie traurig klingt uns die Klage aus dem Gedichte „spätes Erwachen" entgegen: Ich sah der Liebe Engel lächeln, Und hatte doch kein Paradies. Und dann die ergreifende rückschauende Erinnerung in der „Taxuswand" und der „Nadel im Baum". Wir können es uns nicht versagen, diese beiden Ge¬ dichte, in denen die ganze Tiefe ihres Gemüthslebens sich ausspricht, unverkürzt hier mitzutheilen. Die Taxuswand. Ich stehe gern vor dir. Du Fläche schwarz und rauh, Du schartiges Visir Bor meines Liebsten Brau', Gern mag ich vor dir stehen, Wie vor grundirten Tuch, Und drüber gleiten sehen Den bleichen Krönungszug; Als mein die Krone hier, Bon Händen, die nun kalt; Als mau gesungen mir In Weisen, die nun alt — Vorhang am Heiligthume, Mein Paradiesesthor, Dahinter alles Blume Und Alles Dorn davor. Denn jenseits weiß ich sie, Die grüne Gartenbank, Wo ich das Leben früh Mit glühen Lippen trank, Als mich mein Haar umwallte Noch golden wie ein Strahl, Als noch mein Ruf erschallte, Ein Hornstoß, durch das Thal. Das zarte Epheureis, So Liebe pflegte dort, Sechs Schritte — und ich weiß, Ich weiß dann, daß es fort. So will ich immer schleichen Nur an dein dunkles Tuch Und achtzehn Jahre streichen Aus meinem Lebensbuch. Du starrtest damals schon So düster treu wie heut, Du, unsrer Liebe Thron Und Wächter manche Zeit; Man sagt, daß Schlaf, ein schlimmer Dir aus den Nadeln raucht — Ach, wacher war ich nimmer, Als rings von dir umhaucht! Nun aber bin ich matt Und möcht' an deinem Saum Vergleitcn wie ein Blatt, Gewebe vom nächsten Baum; Du lockst mich wie ein Hafen, Wo 'alle Stürme stumm, O, schlafen möcht' ich, schlafen, Bis meine Zeit herum! , Und das zweite Gedicht:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/282>, abgerufen am 24.05.2024.