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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Tagen das einzige noch fortbestehende Blatt. Das "Stuttgarter Morgenblatt" --
die "Zeitung für die elegante Welt" -- "Der Komet" - der "Telegraph" und wie
sie alle hießen, sie sind nicht mehr. Die "Grenzboten" bestehen noch, fast unver¬
ändert in äußerer Form, ja sie wandern in demselben grünen Kleide wie ehedem.
Und ihr Name? Ein Oesterreicher hatte sie gegründet, und ihre Tendenz ging
dahin, die Beziehungen Deutschlands mit Oesterreich zu vermitteln und den
Oesterreichern insbesondere zu sagen, wie es bei ihnen stehe.

Oesterreich führte damals das Epitheton "das glückliche", man konnte es
aber ebensogut das unzufriedene nennen. Seine Cultur lag trotz aller Be¬
günstigung der Natur tief darnieder, die bäuerlichen Unterthanenverhältnisse
bestanden noch in mittelalterlicher Form fort mit Robot und Zehnten. Der
Adel war im Erbbesitz aller höheren amtlichen Stellungen im Lande, die Klöster
waren im Zunehmen, die Unterrichtsverhältnisse so eng mit der Kirche verknüpft,
daß nicht nur der Elementarunterricht und die Mittelschulen, sondern auch die
höheren Unterrichtsanstalten von Geistlichen geleitet wurden. Vom Staatshaus¬
halte war nichts bekannt, jede Controle fehlte, kein amtlicher Bericht gelangte an
die Öffentlichkeit. Alle Berührungen mit dem Auslande wurden vermieden,
Pässe waren schwer zu erlangen, eine strenge Censur hielt alles unter Vormund¬
schaft. Jeder Bewegung von unten herauf wurde entgegengearbeitet, jede, wo sie
sich im Bereiche der österreichischen Machtsphäre zeigte, kräftig niedergeschmettert.
Bald rückten die weißen Röcke im Kirchenstaate, bald in ein oder dem andern
italienischen Fürstenthume ein. Sie standen auch in Mainz und in Rastadt,
immer bereit, eine kleine Bundesexecution auszuführen. Der Territorialbestand
der Monarchie hatte seit dem Wiener Congresse keine Alteration erfahren.

Der deutsche Stamm Oesterreichs, berufen, der historische und politische
Mittelpunkt des Staates zu sein, machte Ansprüche, sein Dasein zu bethätigen.
Alles wünschte Aenderungen, zeitgemäße Umgestaltung, aber innerhalb der schwarz¬
gelben Schranken durfte niemand diesen Wunsch zur Sprache bringen. Es gab,
ein paar wortkarge Regierungsblätter ausgenommen, gar keine politischen Zei¬
tungen; sie wurden nicht geduldet. Das Unbehagen war allgemein. Man wollte
sich den Bildungsverhältnissen Deutschlands nähern, die Unterthanenverhältnisse
ummvdelu, die Jesuiten zurückdrängen, das Lehr- und Bildungswesen von der
Kirche emancipiren -- aber wie sollte das geschehen? Es gab keine Tribüne
für das gesprochene Wort, dagegen herrschte die Verpflichtung, jede Zeile, die
in Druck gegeben werden sollte, der Censur vorzulegen. Schrieb diese unter
das Manuscript: wMwAwr, so konnte man sich daraufhin nach einem Ver¬
leger umsehen; schrieb der Censor äamnawr, so mußte das Manuscript für alle
Zeiten begraben bleiben.


Tagen das einzige noch fortbestehende Blatt. Das „Stuttgarter Morgenblatt" —
die „Zeitung für die elegante Welt" — „Der Komet" - der „Telegraph" und wie
sie alle hießen, sie sind nicht mehr. Die „Grenzboten" bestehen noch, fast unver¬
ändert in äußerer Form, ja sie wandern in demselben grünen Kleide wie ehedem.
Und ihr Name? Ein Oesterreicher hatte sie gegründet, und ihre Tendenz ging
dahin, die Beziehungen Deutschlands mit Oesterreich zu vermitteln und den
Oesterreichern insbesondere zu sagen, wie es bei ihnen stehe.

Oesterreich führte damals das Epitheton „das glückliche", man konnte es
aber ebensogut das unzufriedene nennen. Seine Cultur lag trotz aller Be¬
günstigung der Natur tief darnieder, die bäuerlichen Unterthanenverhältnisse
bestanden noch in mittelalterlicher Form fort mit Robot und Zehnten. Der
Adel war im Erbbesitz aller höheren amtlichen Stellungen im Lande, die Klöster
waren im Zunehmen, die Unterrichtsverhältnisse so eng mit der Kirche verknüpft,
daß nicht nur der Elementarunterricht und die Mittelschulen, sondern auch die
höheren Unterrichtsanstalten von Geistlichen geleitet wurden. Vom Staatshaus¬
halte war nichts bekannt, jede Controle fehlte, kein amtlicher Bericht gelangte an
die Öffentlichkeit. Alle Berührungen mit dem Auslande wurden vermieden,
Pässe waren schwer zu erlangen, eine strenge Censur hielt alles unter Vormund¬
schaft. Jeder Bewegung von unten herauf wurde entgegengearbeitet, jede, wo sie
sich im Bereiche der österreichischen Machtsphäre zeigte, kräftig niedergeschmettert.
Bald rückten die weißen Röcke im Kirchenstaate, bald in ein oder dem andern
italienischen Fürstenthume ein. Sie standen auch in Mainz und in Rastadt,
immer bereit, eine kleine Bundesexecution auszuführen. Der Territorialbestand
der Monarchie hatte seit dem Wiener Congresse keine Alteration erfahren.

Der deutsche Stamm Oesterreichs, berufen, der historische und politische
Mittelpunkt des Staates zu sein, machte Ansprüche, sein Dasein zu bethätigen.
Alles wünschte Aenderungen, zeitgemäße Umgestaltung, aber innerhalb der schwarz¬
gelben Schranken durfte niemand diesen Wunsch zur Sprache bringen. Es gab,
ein paar wortkarge Regierungsblätter ausgenommen, gar keine politischen Zei¬
tungen; sie wurden nicht geduldet. Das Unbehagen war allgemein. Man wollte
sich den Bildungsverhältnissen Deutschlands nähern, die Unterthanenverhältnisse
ummvdelu, die Jesuiten zurückdrängen, das Lehr- und Bildungswesen von der
Kirche emancipiren — aber wie sollte das geschehen? Es gab keine Tribüne
für das gesprochene Wort, dagegen herrschte die Verpflichtung, jede Zeile, die
in Druck gegeben werden sollte, der Censur vorzulegen. Schrieb diese unter
das Manuscript: wMwAwr, so konnte man sich daraufhin nach einem Ver¬
leger umsehen; schrieb der Censor äamnawr, so mußte das Manuscript für alle
Zeiten begraben bleiben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/19>, abgerufen am 19.05.2024.