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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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In dieser Zeit warben die "Grenzboten" gegründet, um, was die Gemüther
in Oesterreich drückte, zur Sprache zu bringen.

Man denke sich aber ja nicht, daß es nach unseren Begriffen ein revolutionäres
Blatt war, etwa so, wie später Herzens "Glocke" oder Rochefvrts I^riwrno.
Bewahre! Das hätte ebensowenig in den Tendenzen des Herausgebers wie
des Redacteurs gelegen. Es war ein Blatt der guten Gesellschaft, von jenem
gemäßigten Liberalisinus, der damals in Deutschland alle Schichten durchdrang,
es befleißigte sich einer vornehmen Haltung. Die Oppositionsmänner, die in
den Spalten der Zeitung ihr Herz entluden, waren kaiserliche Professoren, wohl¬
bestallte Advocaten, theilweise auch Mitglieder des hohen Adels, der in den
Ständekammern saß. Und sie schrieben eifrig und fleißig. Die Oesterreicher
aber hörten bald, daß in Leipzig ein Organ existire, aus welchem man erfahren
könne, was in Oesterreich geschehe, und alles verlangte nach den grünen Heften.
Sie wurden die allergesuchteste Lectüre.

Das Verbot ließ nicht lange auf sich warten. Die grünen Hefte mußten
eingeschmuggelt werden auf heimlichem Wege; es gab nur ganz wenig Personen,
denen es gestattet wurde, sie, wie man es nannte, oiM svdoäAM, d. h. mit dein
Versprechen der Geheimhaltung und der NichtWeitergabe, zu beziehen. Nun war
aber der Bücherschmuggel damals allgemein, die österreichischen Sortimentsbuch¬
händler hatten die größte Virtuosität darin erlangt. Wenn, was wöchentlich
einmal geschah, die Bücherballen aus Leipzig auf dein Hauptzollamte eintrafen,
um in Gegenwart des Censors, dem ein Polizeicommissar beigegeben war, geöffnet
zu werden, erschienen die Buchhändler in Ueberröcken voll heimlicher Taschen
oder in talarähnlichen Mänteln und ließen mit einer Fertigkeit, die man nur
durch Uebung erlangt, die verpöntem Dinger verschwinden. Es war die Zeit,
wo Julius Campe eine ganz auf Oesterreich gemünzte Litteratur auf heimlichen
Wegen einzuführen wußte und Feuerbachs "Wesen des Christenthums" mit dem
Umschlag und dein Titel eines katholischen Gebetbuches nach Oesterreich importirt
wurde. So lange die Welt besteht, wird man die Gewalt durch die List bekämpfen!

Allmählich war, theils gezwungen, theils freiwillig, um dem Censurdrncke
zu entgehen, eine ganze Reihe österreichischer Schriftsteller ausgewandert und
hatte Aufenthalt außerhalb des Vaterlandes genommen. Eduard Dukter lebte in
Darmstadt, Dräxler-Manfred in Wiesbaden, Karl Beck in Berlin, Schuselka in
Hamburg. Francis Grund war bis nach Philadelphia gegangen. Aber alle,
sofern sie in Deutschland lebten, hatten mit allerlei Drangsal zu kämpfen. Sobald
die heimatliche Behörde die Verlängerung des Passes verweigerte, stand es übel
um sie. Sie sahen sich genöthigt, von Ort zu Ort umherzuirren und ohne
feste Wohnstätte da und dort ihr Heil zu suchen.

Am liebsten zog man nach Leipzig. Es war noch immer ein Klein-Paris


In dieser Zeit warben die „Grenzboten" gegründet, um, was die Gemüther
in Oesterreich drückte, zur Sprache zu bringen.

Man denke sich aber ja nicht, daß es nach unseren Begriffen ein revolutionäres
Blatt war, etwa so, wie später Herzens „Glocke" oder Rochefvrts I^riwrno.
Bewahre! Das hätte ebensowenig in den Tendenzen des Herausgebers wie
des Redacteurs gelegen. Es war ein Blatt der guten Gesellschaft, von jenem
gemäßigten Liberalisinus, der damals in Deutschland alle Schichten durchdrang,
es befleißigte sich einer vornehmen Haltung. Die Oppositionsmänner, die in
den Spalten der Zeitung ihr Herz entluden, waren kaiserliche Professoren, wohl¬
bestallte Advocaten, theilweise auch Mitglieder des hohen Adels, der in den
Ständekammern saß. Und sie schrieben eifrig und fleißig. Die Oesterreicher
aber hörten bald, daß in Leipzig ein Organ existire, aus welchem man erfahren
könne, was in Oesterreich geschehe, und alles verlangte nach den grünen Heften.
Sie wurden die allergesuchteste Lectüre.

Das Verbot ließ nicht lange auf sich warten. Die grünen Hefte mußten
eingeschmuggelt werden auf heimlichem Wege; es gab nur ganz wenig Personen,
denen es gestattet wurde, sie, wie man es nannte, oiM svdoäAM, d. h. mit dein
Versprechen der Geheimhaltung und der NichtWeitergabe, zu beziehen. Nun war
aber der Bücherschmuggel damals allgemein, die österreichischen Sortimentsbuch¬
händler hatten die größte Virtuosität darin erlangt. Wenn, was wöchentlich
einmal geschah, die Bücherballen aus Leipzig auf dein Hauptzollamte eintrafen,
um in Gegenwart des Censors, dem ein Polizeicommissar beigegeben war, geöffnet
zu werden, erschienen die Buchhändler in Ueberröcken voll heimlicher Taschen
oder in talarähnlichen Mänteln und ließen mit einer Fertigkeit, die man nur
durch Uebung erlangt, die verpöntem Dinger verschwinden. Es war die Zeit,
wo Julius Campe eine ganz auf Oesterreich gemünzte Litteratur auf heimlichen
Wegen einzuführen wußte und Feuerbachs „Wesen des Christenthums" mit dem
Umschlag und dein Titel eines katholischen Gebetbuches nach Oesterreich importirt
wurde. So lange die Welt besteht, wird man die Gewalt durch die List bekämpfen!

Allmählich war, theils gezwungen, theils freiwillig, um dem Censurdrncke
zu entgehen, eine ganze Reihe österreichischer Schriftsteller ausgewandert und
hatte Aufenthalt außerhalb des Vaterlandes genommen. Eduard Dukter lebte in
Darmstadt, Dräxler-Manfred in Wiesbaden, Karl Beck in Berlin, Schuselka in
Hamburg. Francis Grund war bis nach Philadelphia gegangen. Aber alle,
sofern sie in Deutschland lebten, hatten mit allerlei Drangsal zu kämpfen. Sobald
die heimatliche Behörde die Verlängerung des Passes verweigerte, stand es übel
um sie. Sie sahen sich genöthigt, von Ort zu Ort umherzuirren und ohne
feste Wohnstätte da und dort ihr Heil zu suchen.

Am liebsten zog man nach Leipzig. Es war noch immer ein Klein-Paris


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/20>, abgerufen am 10.06.2024.