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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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große Combination bleibt, den jetzigen Zustand Europas noch einmal umzu¬
werfen: der französisch-russische Angriff auf den gesammten deutsch-ungarischen
Bund. Dieser combinirte Angriff liegt wie ein unwiderstehlicher Reiz in der
europäischen Luft, der nicht verschwindet, bis er seine Wirkung einmal vollständig
erprobt hat.

Indessen gelingt es zuweilen, den stärksten Reiz erst ohnmächtig und end¬
lich leblos zu machen durch einen stärkeren Gegenreiz. In unserem Falle kann
dieser Gegenreiz nur der Gedanke sein, welcher den Franzosen und Russen bei¬
gebracht wird, ihren combinirten Angriff unter allen Umständen scheitern sehen
zu müssen. Diese Ueberzeugung wird freilich durch die paar neuen Regimenter,
Batterien und Uebungen der Ersatzreserve nicht geweckt. Sie kann überhaupt
durch deutsche Rüstungen allein niemals geweckt werden. Allein wenn es eine
englische Regierung gäbe, im Stande, das Parlament zu der Erklärung zu ver¬
mögen, daß England bei einem französisch-russischen Angriffe feiner Verpflich¬
tungen eingedenk sein werde, für die belgische, luxemburgische, schweizerische
Neutralität einzutreten, daß England während dieses Krieges außerdem die
Neutralität der Nord- und Ostsee verlange, so zweifeln wir schon sehr, ob
jener combinirte Angriff jemals stattfinden würde. Es giebt also Mittel -- das
ebengenannte ist wahrscheinlich nicht das einzige ---, den jetzigen europäischen
Zustand in einen wirklichen Friedenszustand zu verwandeln auch ohne neuen
Krieg. Wenn das ebengenannte Mittel, da es lediglich in der Hand der engli¬
schen Politik liegt, nicht angewendet wird, so brauchen wir immer noch nicht zu
verzweifeln an dem nahen Eintritt einer wirklichen Friedensepoche. Wenn der
französisch-russische Angriff eintritt und die Abwehr findet, die ihm bereitet
werden soll, und wenn wir die Rechten bleiben, ihm diese Abwehr zu bereiten,
so wird auf diesen Angriff die definitive Friedensepvche folgen. Wir gehen
also nicht einem Schrecken ohne Ende entgegen durch grenzenlos zunehmende
Rüstungen, sondern einem Ende, das wir guten Grund haben nicht als ein Ende
mit Schrecken, sondern als ein Ende mit Ehren und nur als das Ende eines
schweren Zustandes, nicht des Lebens, sondern vielmehr mit der Gewähr einer
langen Lebensdauer uns vorzustellen M' .




Für die Redaction verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig- - Druck von HÄthel K Herrmann in Leipzig.

große Combination bleibt, den jetzigen Zustand Europas noch einmal umzu¬
werfen: der französisch-russische Angriff auf den gesammten deutsch-ungarischen
Bund. Dieser combinirte Angriff liegt wie ein unwiderstehlicher Reiz in der
europäischen Luft, der nicht verschwindet, bis er seine Wirkung einmal vollständig
erprobt hat.

Indessen gelingt es zuweilen, den stärksten Reiz erst ohnmächtig und end¬
lich leblos zu machen durch einen stärkeren Gegenreiz. In unserem Falle kann
dieser Gegenreiz nur der Gedanke sein, welcher den Franzosen und Russen bei¬
gebracht wird, ihren combinirten Angriff unter allen Umständen scheitern sehen
zu müssen. Diese Ueberzeugung wird freilich durch die paar neuen Regimenter,
Batterien und Uebungen der Ersatzreserve nicht geweckt. Sie kann überhaupt
durch deutsche Rüstungen allein niemals geweckt werden. Allein wenn es eine
englische Regierung gäbe, im Stande, das Parlament zu der Erklärung zu ver¬
mögen, daß England bei einem französisch-russischen Angriffe feiner Verpflich¬
tungen eingedenk sein werde, für die belgische, luxemburgische, schweizerische
Neutralität einzutreten, daß England während dieses Krieges außerdem die
Neutralität der Nord- und Ostsee verlange, so zweifeln wir schon sehr, ob
jener combinirte Angriff jemals stattfinden würde. Es giebt also Mittel — das
ebengenannte ist wahrscheinlich nicht das einzige -—, den jetzigen europäischen
Zustand in einen wirklichen Friedenszustand zu verwandeln auch ohne neuen
Krieg. Wenn das ebengenannte Mittel, da es lediglich in der Hand der engli¬
schen Politik liegt, nicht angewendet wird, so brauchen wir immer noch nicht zu
verzweifeln an dem nahen Eintritt einer wirklichen Friedensepoche. Wenn der
französisch-russische Angriff eintritt und die Abwehr findet, die ihm bereitet
werden soll, und wenn wir die Rechten bleiben, ihm diese Abwehr zu bereiten,
so wird auf diesen Angriff die definitive Friedensepvche folgen. Wir gehen
also nicht einem Schrecken ohne Ende entgegen durch grenzenlos zunehmende
Rüstungen, sondern einem Ende, das wir guten Grund haben nicht als ein Ende
mit Schrecken, sondern als ein Ende mit Ehren und nur als das Ende eines
schweren Zustandes, nicht des Lebens, sondern vielmehr mit der Gewähr einer
langen Lebensdauer uns vorzustellen M' .




Für die Redaction verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig- - Druck von HÄthel K Herrmann in Leipzig.
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[0224] große Combination bleibt, den jetzigen Zustand Europas noch einmal umzu¬ werfen: der französisch-russische Angriff auf den gesammten deutsch-ungarischen Bund. Dieser combinirte Angriff liegt wie ein unwiderstehlicher Reiz in der europäischen Luft, der nicht verschwindet, bis er seine Wirkung einmal vollständig erprobt hat. Indessen gelingt es zuweilen, den stärksten Reiz erst ohnmächtig und end¬ lich leblos zu machen durch einen stärkeren Gegenreiz. In unserem Falle kann dieser Gegenreiz nur der Gedanke sein, welcher den Franzosen und Russen bei¬ gebracht wird, ihren combinirten Angriff unter allen Umständen scheitern sehen zu müssen. Diese Ueberzeugung wird freilich durch die paar neuen Regimenter, Batterien und Uebungen der Ersatzreserve nicht geweckt. Sie kann überhaupt durch deutsche Rüstungen allein niemals geweckt werden. Allein wenn es eine englische Regierung gäbe, im Stande, das Parlament zu der Erklärung zu ver¬ mögen, daß England bei einem französisch-russischen Angriffe feiner Verpflich¬ tungen eingedenk sein werde, für die belgische, luxemburgische, schweizerische Neutralität einzutreten, daß England während dieses Krieges außerdem die Neutralität der Nord- und Ostsee verlange, so zweifeln wir schon sehr, ob jener combinirte Angriff jemals stattfinden würde. Es giebt also Mittel — das ebengenannte ist wahrscheinlich nicht das einzige -—, den jetzigen europäischen Zustand in einen wirklichen Friedenszustand zu verwandeln auch ohne neuen Krieg. Wenn das ebengenannte Mittel, da es lediglich in der Hand der engli¬ schen Politik liegt, nicht angewendet wird, so brauchen wir immer noch nicht zu verzweifeln an dem nahen Eintritt einer wirklichen Friedensepoche. Wenn der französisch-russische Angriff eintritt und die Abwehr findet, die ihm bereitet werden soll, und wenn wir die Rechten bleiben, ihm diese Abwehr zu bereiten, so wird auf diesen Angriff die definitive Friedensepvche folgen. Wir gehen also nicht einem Schrecken ohne Ende entgegen durch grenzenlos zunehmende Rüstungen, sondern einem Ende, das wir guten Grund haben nicht als ein Ende mit Schrecken, sondern als ein Ende mit Ehren und nur als das Ende eines schweren Zustandes, nicht des Lebens, sondern vielmehr mit der Gewähr einer langen Lebensdauer uns vorzustellen M' . Für die Redaction verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von F. L. Herbig in Leipzig- - Druck von HÄthel K Herrmann in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/224>, abgerufen am 26.05.2024.