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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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gemacht werden. Auf einem breit anschwellenden Plateau stehen eng an einander
gedrückt altersgraue Häuser mit wenigen Fenstern, hohe dunkle Cypressen da¬
zwischen, darüber hinaus ragt ein unvollendet gebliebener gothischer Thurmbau;
das alles ist noch mit Ringmauern umgeben, an denen hohe Platanen und
Obstbäume hinausstreben. Das ist der allgemeine Typus eines provenzalischen
Landstädtchens. Drinnen sind die Straßen nicht allzu sauber, trotz des überall
reichlich fließenden Wassers, und in den offenen dunkeln Boutiken arbeiten aller¬
lei Gewerbe, gerade wie in Italien. Das innere der Häuser aber ist viel reicher
eingerichtet, als man von außen meint, und immer ist es mit französischer
Grazie und stilvoll behandelt; Kamine, Tische, Spiegel, Pendülen, alles athmet
Geschmack und einen soliden Wohlstand, wie sichs auch für das "wahre Milliardeu-
land" geziemt. Weit vor die Thore hinaus zieht sich eine immergrüne Hügel¬
kette gegen das hoher anstrebende, weit hinten liegende Gebirge, das den ersten
Beginn der Alpenkette andeutet; aus diesen Hügeln aber ist es eine Wonne sich
zu ergehen und ins weite Land hinauszublicken, über dem die Sonne goldig
untergeht. Durch einen Hohlweg, eine tief eingerissene Schlucht, gelangt man hin¬
auf; ringsum der silberblätterige Oelbaum, die immergrüne Eiche und der
aufstrebende Edellorbeer. Wer einmal nach Fiesole gewallfahrtet ist oder nach
Camaldoli geritten, der wird hier auf Schritt und Tritt verwandte Bilder
schauen. Dazu ist die Luft klar und durchsichtig und der Himmel tiefblau, und
das Abendlicht spinnt jenen eigenthümlichen goldig-violetten Schimmer um Flur
und Fels, Baum und altersgraues Gehöfte, den man nur in Süditalien
sehen kann. -

Für diese schone stille Naturpoesie, die ein germanisches Auge entzückt, hat
freilich das im altersgrauen Städtchen hausende Völklein kein Verständniß. Die
immergrüne Eiche hat nur den Zweck, im Kamin verbrannt zu werden, und
das Oel der Olive gibt die unentbehrliche Frittüre und den täglichen Salat.
Wir reden hier natürlich nicht vom kleinen Handwerker, vom ouvrisr, den des
Lebens Nothdurft in die engen Gaffel: bannt, sondern von den besser situirter
Classen der Gesellschaft, denen ein reiches Einkommen die Kalobiotik, wie sie
die Culturvölker stets verstanden haben, nahelegt. Während wir draußen dem
ersten leisen Triller der Lerche lauschen, sitzen sie drinnen in ihren halbdunkeln
esrelss, eifrig mit Karten, Cigaretten und Jagdanekdoten beschäftigt; keinem
sällt es ein, einmal dahinaus zu ziehen; nicht einmal der Reiter thut es, er
zieht die Platanenpromenade vor, wo die schöne Welt sich sonnt. Gearbeitet
wird wenig, wozu auch? Die Latifundien sind entweder S, rsuts üxs oder
^ wi-krmts den Pächtern sssrmisrs) überlassen, und was da noch allenfalls zu
cvntrolliren bleibt, das macht der Zur-we, der boums ä'iMii'W, nach seinem
besten Wissen, wenn auch häufig ohne Gewissen. Das gilt für alle Schichten


gemacht werden. Auf einem breit anschwellenden Plateau stehen eng an einander
gedrückt altersgraue Häuser mit wenigen Fenstern, hohe dunkle Cypressen da¬
zwischen, darüber hinaus ragt ein unvollendet gebliebener gothischer Thurmbau;
das alles ist noch mit Ringmauern umgeben, an denen hohe Platanen und
Obstbäume hinausstreben. Das ist der allgemeine Typus eines provenzalischen
Landstädtchens. Drinnen sind die Straßen nicht allzu sauber, trotz des überall
reichlich fließenden Wassers, und in den offenen dunkeln Boutiken arbeiten aller¬
lei Gewerbe, gerade wie in Italien. Das innere der Häuser aber ist viel reicher
eingerichtet, als man von außen meint, und immer ist es mit französischer
Grazie und stilvoll behandelt; Kamine, Tische, Spiegel, Pendülen, alles athmet
Geschmack und einen soliden Wohlstand, wie sichs auch für das „wahre Milliardeu-
land" geziemt. Weit vor die Thore hinaus zieht sich eine immergrüne Hügel¬
kette gegen das hoher anstrebende, weit hinten liegende Gebirge, das den ersten
Beginn der Alpenkette andeutet; aus diesen Hügeln aber ist es eine Wonne sich
zu ergehen und ins weite Land hinauszublicken, über dem die Sonne goldig
untergeht. Durch einen Hohlweg, eine tief eingerissene Schlucht, gelangt man hin¬
auf; ringsum der silberblätterige Oelbaum, die immergrüne Eiche und der
aufstrebende Edellorbeer. Wer einmal nach Fiesole gewallfahrtet ist oder nach
Camaldoli geritten, der wird hier auf Schritt und Tritt verwandte Bilder
schauen. Dazu ist die Luft klar und durchsichtig und der Himmel tiefblau, und
das Abendlicht spinnt jenen eigenthümlichen goldig-violetten Schimmer um Flur
und Fels, Baum und altersgraues Gehöfte, den man nur in Süditalien
sehen kann. -

Für diese schone stille Naturpoesie, die ein germanisches Auge entzückt, hat
freilich das im altersgrauen Städtchen hausende Völklein kein Verständniß. Die
immergrüne Eiche hat nur den Zweck, im Kamin verbrannt zu werden, und
das Oel der Olive gibt die unentbehrliche Frittüre und den täglichen Salat.
Wir reden hier natürlich nicht vom kleinen Handwerker, vom ouvrisr, den des
Lebens Nothdurft in die engen Gaffel: bannt, sondern von den besser situirter
Classen der Gesellschaft, denen ein reiches Einkommen die Kalobiotik, wie sie
die Culturvölker stets verstanden haben, nahelegt. Während wir draußen dem
ersten leisen Triller der Lerche lauschen, sitzen sie drinnen in ihren halbdunkeln
esrelss, eifrig mit Karten, Cigaretten und Jagdanekdoten beschäftigt; keinem
sällt es ein, einmal dahinaus zu ziehen; nicht einmal der Reiter thut es, er
zieht die Platanenpromenade vor, wo die schöne Welt sich sonnt. Gearbeitet
wird wenig, wozu auch? Die Latifundien sind entweder S, rsuts üxs oder
^ wi-krmts den Pächtern sssrmisrs) überlassen, und was da noch allenfalls zu
cvntrolliren bleibt, das macht der Zur-we, der boums ä'iMii'W, nach seinem
besten Wissen, wenn auch häufig ohne Gewissen. Das gilt für alle Schichten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/571>, abgerufen am 17.06.2024.