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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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dieser Gesellschaft, sowohl für die abgesonderte iiodlosM, die mit ihren Wappen
und realistischen Gefühlen während der paar Wintermonate sich von ihren
Campagnen in diese kleinen Centren zurückzieht, wie für den durch Handel reich
gewordenen bourZsoiZ, der den etwas ordinären Titel noZoolg-ut mit dem voll¬
tönenden xi'0Mütg.irs-rsntior vertauscht hat. Zwischen diesen beiden Schichten
besteht aber nicht der geringste Verkehr; so klein das Nest ist, grüßt man sich
nicht einmal auf der Straße. Die erstem sind fast alle Chambordisten, die
andern jenachdem Bonapartisten oder Orlecmisten, alle aber elerical und Feinde
der Republik. Beiden an Zahl überlegen sind die Republikaner, meist die Advo¬
katen, Avoms, Notare und Beamten, dann die kleinen Haus- und Grundbesitzer
und Handwerker; ob aber "ächte" Republikaner darunter sind, das wissen sie hente
selber noch nicht gewiß. In den ersten beiden Schichten regieren die Frauen und
durch diese die Priester (Jupon und Soutane haben sich ja seit Jahrhunderten
im schönen Frankreich bestens verstanden), bei den letztern herrschen die Frauen
zwar auch -- ohne tömrass kein Franzose --, nur hier ohne xrötrs. Dieser
Einfluß der Frauen in Frankreich könnte von den herrlichsten Folgen sein, wäre
die Erziehung der Mädchen eine vernünftigere. Allein im Kloster, im Convent,
lernt man bis zum 15. Jahre nicht viel Welterfahrung und Bildung des Ver¬
standes und Herzens; dann wird man meist durch Vermittelung verheirathet und
-- Hausfrau. Zweierlei Dinge freilich haben diese Frauen des raiäi für sich:
einmal, daß sie meist sehr viel Grazie und Geschmack bekunden, sodann daß sie
treffliche Mütter sind. Wer immer kann, nährt seine Sprößlinge selbst und
zwar meistens ein Jahr und darüber, da es das heiße Klima erfordert; wer
dieß nicht kann, hat, wenn seine Verhältnisse auch noch so bescheiden sind, eine
Amme, aber nie aus Bequemlichkeit, wie daß so oft in Paris vorkommt.

Im Ganzen ist der Provenyale gewiß ein "Lateiner", der eine Mitte dar¬
stellt zwischen dem Italiener und dem Nordspanier; des letzteren Sprache -- das
Catalan -- wird hier recht gut verstanden, während das prvveiMlische Patois,
dem Nordfranzosen unverständlich, an den Volksdialeet jenseits der Pyrenäen
erinnert. Aber wenn man offenen Auges das Land durchstreift, so begegnet man
häufig Typen und Namen, die ziemlich fremdartig sich abheben. Namentlich
in den Städten haben die Frauen Nasen und Nacken, die an Griechinnen er¬
innern, während das Landvolk meist klein und unansehnlich ist. Blonde Flechten
und blaue Augen stehen in der Stadt oft neben dem vollendeten Römerkopf, und
hie und da begegnet einem ein mageres, broneirtes Gesicht mit rabenschwarzen Haar
und stechenden Weiß des Blickes. Neben den gewöhnlichen französischen Namen
kommen Familien von, die Constant und Konstantin, Juvenal und Fortunat
heißen, offenbar Nömerevlouisten. Aber es fehlt auch uicht Almanric, Alrie, Alle-
mant, Eysserie, Gonthard, Bertrand, Berthoud, Baudouin (Baldww) u. s. f.,


dieser Gesellschaft, sowohl für die abgesonderte iiodlosM, die mit ihren Wappen
und realistischen Gefühlen während der paar Wintermonate sich von ihren
Campagnen in diese kleinen Centren zurückzieht, wie für den durch Handel reich
gewordenen bourZsoiZ, der den etwas ordinären Titel noZoolg-ut mit dem voll¬
tönenden xi'0Mütg.irs-rsntior vertauscht hat. Zwischen diesen beiden Schichten
besteht aber nicht der geringste Verkehr; so klein das Nest ist, grüßt man sich
nicht einmal auf der Straße. Die erstem sind fast alle Chambordisten, die
andern jenachdem Bonapartisten oder Orlecmisten, alle aber elerical und Feinde
der Republik. Beiden an Zahl überlegen sind die Republikaner, meist die Advo¬
katen, Avoms, Notare und Beamten, dann die kleinen Haus- und Grundbesitzer
und Handwerker; ob aber „ächte" Republikaner darunter sind, das wissen sie hente
selber noch nicht gewiß. In den ersten beiden Schichten regieren die Frauen und
durch diese die Priester (Jupon und Soutane haben sich ja seit Jahrhunderten
im schönen Frankreich bestens verstanden), bei den letztern herrschen die Frauen
zwar auch — ohne tömrass kein Franzose —, nur hier ohne xrötrs. Dieser
Einfluß der Frauen in Frankreich könnte von den herrlichsten Folgen sein, wäre
die Erziehung der Mädchen eine vernünftigere. Allein im Kloster, im Convent,
lernt man bis zum 15. Jahre nicht viel Welterfahrung und Bildung des Ver¬
standes und Herzens; dann wird man meist durch Vermittelung verheirathet und
— Hausfrau. Zweierlei Dinge freilich haben diese Frauen des raiäi für sich:
einmal, daß sie meist sehr viel Grazie und Geschmack bekunden, sodann daß sie
treffliche Mütter sind. Wer immer kann, nährt seine Sprößlinge selbst und
zwar meistens ein Jahr und darüber, da es das heiße Klima erfordert; wer
dieß nicht kann, hat, wenn seine Verhältnisse auch noch so bescheiden sind, eine
Amme, aber nie aus Bequemlichkeit, wie daß so oft in Paris vorkommt.

Im Ganzen ist der Provenyale gewiß ein „Lateiner", der eine Mitte dar¬
stellt zwischen dem Italiener und dem Nordspanier; des letzteren Sprache — das
Catalan — wird hier recht gut verstanden, während das prvveiMlische Patois,
dem Nordfranzosen unverständlich, an den Volksdialeet jenseits der Pyrenäen
erinnert. Aber wenn man offenen Auges das Land durchstreift, so begegnet man
häufig Typen und Namen, die ziemlich fremdartig sich abheben. Namentlich
in den Städten haben die Frauen Nasen und Nacken, die an Griechinnen er¬
innern, während das Landvolk meist klein und unansehnlich ist. Blonde Flechten
und blaue Augen stehen in der Stadt oft neben dem vollendeten Römerkopf, und
hie und da begegnet einem ein mageres, broneirtes Gesicht mit rabenschwarzen Haar
und stechenden Weiß des Blickes. Neben den gewöhnlichen französischen Namen
kommen Familien von, die Constant und Konstantin, Juvenal und Fortunat
heißen, offenbar Nömerevlouisten. Aber es fehlt auch uicht Almanric, Alrie, Alle-
mant, Eysserie, Gonthard, Bertrand, Berthoud, Baudouin (Baldww) u. s. f.,


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[0572] dieser Gesellschaft, sowohl für die abgesonderte iiodlosM, die mit ihren Wappen und realistischen Gefühlen während der paar Wintermonate sich von ihren Campagnen in diese kleinen Centren zurückzieht, wie für den durch Handel reich gewordenen bourZsoiZ, der den etwas ordinären Titel noZoolg-ut mit dem voll¬ tönenden xi'0Mütg.irs-rsntior vertauscht hat. Zwischen diesen beiden Schichten besteht aber nicht der geringste Verkehr; so klein das Nest ist, grüßt man sich nicht einmal auf der Straße. Die erstem sind fast alle Chambordisten, die andern jenachdem Bonapartisten oder Orlecmisten, alle aber elerical und Feinde der Republik. Beiden an Zahl überlegen sind die Republikaner, meist die Advo¬ katen, Avoms, Notare und Beamten, dann die kleinen Haus- und Grundbesitzer und Handwerker; ob aber „ächte" Republikaner darunter sind, das wissen sie hente selber noch nicht gewiß. In den ersten beiden Schichten regieren die Frauen und durch diese die Priester (Jupon und Soutane haben sich ja seit Jahrhunderten im schönen Frankreich bestens verstanden), bei den letztern herrschen die Frauen zwar auch — ohne tömrass kein Franzose —, nur hier ohne xrötrs. Dieser Einfluß der Frauen in Frankreich könnte von den herrlichsten Folgen sein, wäre die Erziehung der Mädchen eine vernünftigere. Allein im Kloster, im Convent, lernt man bis zum 15. Jahre nicht viel Welterfahrung und Bildung des Ver¬ standes und Herzens; dann wird man meist durch Vermittelung verheirathet und — Hausfrau. Zweierlei Dinge freilich haben diese Frauen des raiäi für sich: einmal, daß sie meist sehr viel Grazie und Geschmack bekunden, sodann daß sie treffliche Mütter sind. Wer immer kann, nährt seine Sprößlinge selbst und zwar meistens ein Jahr und darüber, da es das heiße Klima erfordert; wer dieß nicht kann, hat, wenn seine Verhältnisse auch noch so bescheiden sind, eine Amme, aber nie aus Bequemlichkeit, wie daß so oft in Paris vorkommt. Im Ganzen ist der Provenyale gewiß ein „Lateiner", der eine Mitte dar¬ stellt zwischen dem Italiener und dem Nordspanier; des letzteren Sprache — das Catalan — wird hier recht gut verstanden, während das prvveiMlische Patois, dem Nordfranzosen unverständlich, an den Volksdialeet jenseits der Pyrenäen erinnert. Aber wenn man offenen Auges das Land durchstreift, so begegnet man häufig Typen und Namen, die ziemlich fremdartig sich abheben. Namentlich in den Städten haben die Frauen Nasen und Nacken, die an Griechinnen er¬ innern, während das Landvolk meist klein und unansehnlich ist. Blonde Flechten und blaue Augen stehen in der Stadt oft neben dem vollendeten Römerkopf, und hie und da begegnet einem ein mageres, broneirtes Gesicht mit rabenschwarzen Haar und stechenden Weiß des Blickes. Neben den gewöhnlichen französischen Namen kommen Familien von, die Constant und Konstantin, Juvenal und Fortunat heißen, offenbar Nömerevlouisten. Aber es fehlt auch uicht Almanric, Alrie, Alle- mant, Eysserie, Gonthard, Bertrand, Berthoud, Baudouin (Baldww) u. s. f.,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/572>, abgerufen am 27.05.2024.