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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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der Werke Johann Sebastian Bachs, in der allerdings einzelne Bände -- wir
denken z. B. an Franz Kroll's unübertrefflich gewissenhafte Ausgabe des "Wohl-
temperirten Claviers" -- als mustergiltig in dieser Richtung dastehen.

Zu der Hauptausgabe aber, einen zuverlässige" Text zu schassen, gesellt sich
gerade bei einem so schwierigen und eigenartigen Claviercomponisten wie Chopin
eine zweite, nicht minder difficile: die nämlich, durch die geeignetste graphische
Darstellung den Text möglichst lesbar und spielbar zu gestalten. Hierzu trägt
nicht bloß eine klare und übersichtliche Druckcmorduung, bequeme Einrichtung
der Wendestellen, ein-guter Fingersatz bei, lauter selbstverständliche Dinge, die
schließlich bei allem Notendruck willkommen sind, wiewohl gerade die Herstellung
eines guten Fingersatzes, der nicht prineiplos bald nach dem, bald nach jenem
Grundsatze verfährt, bald auf große, bald auf kleine Hände Rücksicht nimmt,
bei Chopin eine eminent schwierige Aufgabe ist, die schwerlich von sämmtlichen
Herausgebern mit gleicher Vollkommenheit gelöst worden sein wird. Für eine
möglichst lesbare Darstellung des Textes können noch eine ganze Reihe anderer
Hilfsmittel in Frage kommen, und nach dieser Seite hin scheint es, nach den
in: Prospect gegebenen Andeutungen zu urtheilen, als dürfe wiederum die von
Hermann Scholtz (Peters) besorgte Ausgabe ein hervorragendes Interesse bean¬
spruchen. Der Herausgeber giebt selbst über die in dieser Hinsicht von ihm
befolgten Grundsätze genaue Rechenschaft und macht z. B. darauf aufmerksam,
daß er alle diejenigen Stellen, die in den bisherigen Ausgaben auf ein System
zusammengedrängt waren, auf beide Systeme vertheilt hat, daß er einige in
besonders schwierigen Tonarten notirte Partien enharmonisirt hat, daß er ferner
bei polyphonen Stellen öfters ein und dieselbe Stimme ablösend an beide
Hände vertheilt hat, daß er bei größeren schwierigeren Figuren, die Chopin fast
immer in einer Schnur in Achtelnoten aufschrieb, eine Eintheiln?:", in Gruppen
vorgenommen hat, um die feinste rhythmische und melodische Ausführung an
die Hand zu geben, daß er in gewissen Sätzen, in denen die Melodietöne dein
Auge nicht unmittelbar kenntlich sind, die Melodienoten ausgeschrieben hat, daß
er endlich hinsichtlich der Phrasirnng, die namentlich in den früheren Werken
Chopins öfter nur skizzenhaft angedeutet ist, detaillirender verfahren ist, um auch
hier überall die klarste Darlegung des musikalischen Gedankens zu ermöglichen.
Es liegt auf der Hand, daß eine Ausgabe, bei der in so überlegter und plan¬
voller Weise auf eine durchsichtige Darstellung des Textes hingearbeitet worden
ist, großen instructiven Werth haben und für den Unterricht sowohl wie für das
Privatstudiuin besonders geeignet sein muß.

Leben wir in einem specifisch musikalischen Zeitalter? Fast sollte man
es glauben, wenn man sich den enormen Chopin-Segen vergegenwärtigt, der am
heutigen Tage bereitsteht, um durch die durchbrochenen Dämme des Privilegs


der Werke Johann Sebastian Bachs, in der allerdings einzelne Bände — wir
denken z. B. an Franz Kroll's unübertrefflich gewissenhafte Ausgabe des „Wohl-
temperirten Claviers" — als mustergiltig in dieser Richtung dastehen.

Zu der Hauptausgabe aber, einen zuverlässige» Text zu schassen, gesellt sich
gerade bei einem so schwierigen und eigenartigen Claviercomponisten wie Chopin
eine zweite, nicht minder difficile: die nämlich, durch die geeignetste graphische
Darstellung den Text möglichst lesbar und spielbar zu gestalten. Hierzu trägt
nicht bloß eine klare und übersichtliche Druckcmorduung, bequeme Einrichtung
der Wendestellen, ein-guter Fingersatz bei, lauter selbstverständliche Dinge, die
schließlich bei allem Notendruck willkommen sind, wiewohl gerade die Herstellung
eines guten Fingersatzes, der nicht prineiplos bald nach dem, bald nach jenem
Grundsatze verfährt, bald auf große, bald auf kleine Hände Rücksicht nimmt,
bei Chopin eine eminent schwierige Aufgabe ist, die schwerlich von sämmtlichen
Herausgebern mit gleicher Vollkommenheit gelöst worden sein wird. Für eine
möglichst lesbare Darstellung des Textes können noch eine ganze Reihe anderer
Hilfsmittel in Frage kommen, und nach dieser Seite hin scheint es, nach den
in: Prospect gegebenen Andeutungen zu urtheilen, als dürfe wiederum die von
Hermann Scholtz (Peters) besorgte Ausgabe ein hervorragendes Interesse bean¬
spruchen. Der Herausgeber giebt selbst über die in dieser Hinsicht von ihm
befolgten Grundsätze genaue Rechenschaft und macht z. B. darauf aufmerksam,
daß er alle diejenigen Stellen, die in den bisherigen Ausgaben auf ein System
zusammengedrängt waren, auf beide Systeme vertheilt hat, daß er einige in
besonders schwierigen Tonarten notirte Partien enharmonisirt hat, daß er ferner
bei polyphonen Stellen öfters ein und dieselbe Stimme ablösend an beide
Hände vertheilt hat, daß er bei größeren schwierigeren Figuren, die Chopin fast
immer in einer Schnur in Achtelnoten aufschrieb, eine Eintheiln?:«, in Gruppen
vorgenommen hat, um die feinste rhythmische und melodische Ausführung an
die Hand zu geben, daß er in gewissen Sätzen, in denen die Melodietöne dein
Auge nicht unmittelbar kenntlich sind, die Melodienoten ausgeschrieben hat, daß
er endlich hinsichtlich der Phrasirnng, die namentlich in den früheren Werken
Chopins öfter nur skizzenhaft angedeutet ist, detaillirender verfahren ist, um auch
hier überall die klarste Darlegung des musikalischen Gedankens zu ermöglichen.
Es liegt auf der Hand, daß eine Ausgabe, bei der in so überlegter und plan¬
voller Weise auf eine durchsichtige Darstellung des Textes hingearbeitet worden
ist, großen instructiven Werth haben und für den Unterricht sowohl wie für das
Privatstudiuin besonders geeignet sein muß.

Leben wir in einem specifisch musikalischen Zeitalter? Fast sollte man
es glauben, wenn man sich den enormen Chopin-Segen vergegenwärtigt, der am
heutigen Tage bereitsteht, um durch die durchbrochenen Dämme des Privilegs


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/86>, abgerufen am 17.06.2024.