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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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die hier bestehende und geduldig getragene Mahl- und Schlachtsteuer ein, man
beschränkte durch Ordonnanzen die Freiheit der Presse. Die Belgier beklagten
sich unaufhörlich in Petitionen, die mit vielen Tausenden von Unterschriften be¬
deckt waren, über diese Maßregeln. Auch in der Volksvertretung erhoben sie
ihre Stimmen dagegen, aber geraume Zeit ohne Erfolg. Zunächst waren ihnen
dort nnr ebenso viel Stimmen zugetheilt als den Holländern, sodann aber ließen
mehrere ihrer Abgeordneten sich von den Ministern des Königs gewinnen, und
endlich war das belgische Lager in die Parteien der Katholiken und der Libe¬
ralen gespalten, während die Holländer in der ersten Zeit allesammt einig mit
der Regierung gingen. Zuletzt jedoch verglichen sich die katholische und die
liberale Partei der Belgier zu gegenseitiger Unterstützung, und selbst die Hol¬
länder machten, unzufrieden über das Wachsen der Steuern mitten im Frieden,
Front gegen die Regierung. In der Kammersitzung von 1828 gewann die
Opposition soweit die Mehrheit, daß den König Preßfreiheit, Geschwornengerichte,
Verantwortlichkeit der Minister, Uuabsetzbarkeit der Richter und Freiheit des
Unterrichts empfohlen wurden. Die Regierung, welche die Katholiken mit einem
Z827 abgeschlossenen Concordate befriedigt zu haben glaubte, machte um noch
einige Zugeständnisse, indem sie die Schlacht- und Mahlsteuer abschaffte und
den belgischen Gerichten in französischer Sprache zu verhandeln gestattete.

Bald darauf bereiste der König Belgien, um die dort herrschende Stimmung
persönlich kennen zu lernen, gerieth aber dabei, wie es Fürsten nicht selten er¬
geht, in eine Auffassung, die den Schein für die Wahrheit hielt. Ueberall Jubel
und Freudenbezeigungen, überall loyale und submisse Aeußeruugen. Selbst
Lüttich, sonst für ein Hauptnest oppositioneller Gesinnung gehalten, blieb darin
nicht zurück. Was Wunder, daß der König meinte, an der belgischen Opposi¬
tion trügen nur einige Wühler die Schuld. "Ich sehe jetzt," äußerte er gegen
den Stadtrath, "was ich von den angeblichen Beschwerden zu halten habe, die
so lärmend vorgetragen werden. Ich weiß nunmehr, daß das Ganze weiter
nichts ist, als das Werk einiger Menschen, die ihre besonderen Interessen für
das allgemeine Bedürfniß ausgeben. Das ist ein schändliches, ein ehrloses
Betragen."

Wie einst in der spanischen Zeit die holländischen Gegner der Regierung
die Bezeichnung der Geusen, mit der man sie beschimpfen wollte, zu einem
Ehrennamen für sich gemacht hatten, so nannten sich jetzt die belgischen Oppo¬
sitionellen Ehrlose. Man prägte Medaillen, die an einem Bande getragen
wurden und auf der einen Seite die Verfassungsurkunde, auf der anderen das
niederländische Pfeilbündel und die Umschrift: "Getreu bis zur Ehrlosigkeit"
zeigten.

Die Regierung antwortete auf diese und andere Kundgebungen mit einem


die hier bestehende und geduldig getragene Mahl- und Schlachtsteuer ein, man
beschränkte durch Ordonnanzen die Freiheit der Presse. Die Belgier beklagten
sich unaufhörlich in Petitionen, die mit vielen Tausenden von Unterschriften be¬
deckt waren, über diese Maßregeln. Auch in der Volksvertretung erhoben sie
ihre Stimmen dagegen, aber geraume Zeit ohne Erfolg. Zunächst waren ihnen
dort nnr ebenso viel Stimmen zugetheilt als den Holländern, sodann aber ließen
mehrere ihrer Abgeordneten sich von den Ministern des Königs gewinnen, und
endlich war das belgische Lager in die Parteien der Katholiken und der Libe¬
ralen gespalten, während die Holländer in der ersten Zeit allesammt einig mit
der Regierung gingen. Zuletzt jedoch verglichen sich die katholische und die
liberale Partei der Belgier zu gegenseitiger Unterstützung, und selbst die Hol¬
länder machten, unzufrieden über das Wachsen der Steuern mitten im Frieden,
Front gegen die Regierung. In der Kammersitzung von 1828 gewann die
Opposition soweit die Mehrheit, daß den König Preßfreiheit, Geschwornengerichte,
Verantwortlichkeit der Minister, Uuabsetzbarkeit der Richter und Freiheit des
Unterrichts empfohlen wurden. Die Regierung, welche die Katholiken mit einem
Z827 abgeschlossenen Concordate befriedigt zu haben glaubte, machte um noch
einige Zugeständnisse, indem sie die Schlacht- und Mahlsteuer abschaffte und
den belgischen Gerichten in französischer Sprache zu verhandeln gestattete.

Bald darauf bereiste der König Belgien, um die dort herrschende Stimmung
persönlich kennen zu lernen, gerieth aber dabei, wie es Fürsten nicht selten er¬
geht, in eine Auffassung, die den Schein für die Wahrheit hielt. Ueberall Jubel
und Freudenbezeigungen, überall loyale und submisse Aeußeruugen. Selbst
Lüttich, sonst für ein Hauptnest oppositioneller Gesinnung gehalten, blieb darin
nicht zurück. Was Wunder, daß der König meinte, an der belgischen Opposi¬
tion trügen nur einige Wühler die Schuld. „Ich sehe jetzt," äußerte er gegen
den Stadtrath, „was ich von den angeblichen Beschwerden zu halten habe, die
so lärmend vorgetragen werden. Ich weiß nunmehr, daß das Ganze weiter
nichts ist, als das Werk einiger Menschen, die ihre besonderen Interessen für
das allgemeine Bedürfniß ausgeben. Das ist ein schändliches, ein ehrloses
Betragen."

Wie einst in der spanischen Zeit die holländischen Gegner der Regierung
die Bezeichnung der Geusen, mit der man sie beschimpfen wollte, zu einem
Ehrennamen für sich gemacht hatten, so nannten sich jetzt die belgischen Oppo¬
sitionellen Ehrlose. Man prägte Medaillen, die an einem Bande getragen
wurden und auf der einen Seite die Verfassungsurkunde, auf der anderen das
niederländische Pfeilbündel und die Umschrift: „Getreu bis zur Ehrlosigkeit"
zeigten.

Die Regierung antwortete auf diese und andere Kundgebungen mit einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/100>, abgerufen am 15.06.2024.