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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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den Wein aus einem großen Stückfasse herausgeholt und wartet mit gespannter
Aufmerksamkeit, mit einer fast fieberhaften Ungeduld, welche alle Falten seines
runzeligen Angesichts durchzuckt, auf das Urtheil eiues ihm gegenübersitzenden
Bauern, der eben einen Schluck genommen und ihn auf der Zunge prüft. Der
dritte schaut den Alten, der augenscheinlich mit deu Besitzern des Weines einen
Kauf abschließen will, von der Seite an. Die freudige Zuversicht, die aus
seinen Augen spricht, deutet darauf hin, daß er nichts anderes als ein durchaus
günstiges Urtheil erwartet. Die Charakteristik dieser drei Figuren war im höch¬
sten Grade eindringlich, erschöpfend und in Einzelzügen von überraschender Fein¬
heit, die Farbe dem Gegenstande entsprechend noch kräftiger als auf den "Er-
eilteu Flüchtlingen". Aehnliche Vorzüge ließen sich dein "Landkinder Fest in
Württemberg", der "Grundlosen Eifersucht", dem "Stürmischen Verlobnngstage",
dem "Ersten Bilderbuch" und der "Wahlbesprechung" nachrühmen. Das letztere
Bild war nicht ohne Tendenz. Der Geistliche, der da unter den Bauern sitzt,
hat offenbar die Absicht, seine Beichtkinder auch politisch zu bevormunden und
ins ultrcunontane Lager zu führen. Die Charakteristik der Köpfe ist auch hier
von erstaunlicher Vollendung, noch bewunderungswürdiger aber die Meisterschaft,
mit welcher Kurzbauer das Helldunkel behandelte. Und diese technische Meister¬
schaft wuchs von Bild zu Bild, ohne daß sich die geistigen Vorzüge vermin¬
derten. Auf die "Wahlbesprechung" folgte die "Kartenlegerin", der "Erste Schritt",
die "Verleumdung" (Dresdner Galerie) und dann die tief ergreifende Seene
"Vor dem Begräbnis?" in einem schwäbischen Bauernhause. Die Gattin soll
von dem geliebten Manne scheiden, und angesichts dieser furchtbaren Nothwen¬
digkeit verhallen die Trostesworte, welche die Schwiegermutter ihr zuspricht, un-
gehört an ihrem Ohre. Dieses Bild, welches Kurzbauer in die Reihe der ersten
Genremaler Deutschlands, neben Kraus und Vautier stellte, sollte die letzte grö¬
ßere Arbeit des Künstlers sein. Ein schreckliches Leiden, das sich später als
Gesichtsknochenkrebs herausstellte, lähmte seine Thätigkeit. Mit bewunderungs¬
würdigem Heroismus unterzog er sich den schmerzhaftesten Operationen; aber
die Krankheit widerstand hartnäckig den Künsten der Aerzte. So war es als
eine erwünschte Erlösung zu betrachten, als sich der Tod am 13. Januar 1879
des gequälten Mannes erbarmte.

Unter denen, die zugleich mit ihm lernten oder ihm gefolgt sind, ist keiner,
der ihn zu ersetzen berufen ist. Die jüngeren Humoristen der Schule Pilotys,
wie Kronberger und Toby E. Rosenthal, können sich mit ihm weder in
der Tiefe der Empfindung noch in der Feinheit der Farbe messen. Karl. Kron-
bergers Charakteristik ist eine ziemlich vulgäre und seine Komik auf grobe Effecte
zugeschnittten. Ein 1876 gemaltes Bild "Die Tante kommt!", den Besuch einer


den Wein aus einem großen Stückfasse herausgeholt und wartet mit gespannter
Aufmerksamkeit, mit einer fast fieberhaften Ungeduld, welche alle Falten seines
runzeligen Angesichts durchzuckt, auf das Urtheil eiues ihm gegenübersitzenden
Bauern, der eben einen Schluck genommen und ihn auf der Zunge prüft. Der
dritte schaut den Alten, der augenscheinlich mit deu Besitzern des Weines einen
Kauf abschließen will, von der Seite an. Die freudige Zuversicht, die aus
seinen Augen spricht, deutet darauf hin, daß er nichts anderes als ein durchaus
günstiges Urtheil erwartet. Die Charakteristik dieser drei Figuren war im höch¬
sten Grade eindringlich, erschöpfend und in Einzelzügen von überraschender Fein¬
heit, die Farbe dem Gegenstande entsprechend noch kräftiger als auf den „Er-
eilteu Flüchtlingen". Aehnliche Vorzüge ließen sich dein „Landkinder Fest in
Württemberg", der „Grundlosen Eifersucht", dem „Stürmischen Verlobnngstage",
dem „Ersten Bilderbuch" und der „Wahlbesprechung" nachrühmen. Das letztere
Bild war nicht ohne Tendenz. Der Geistliche, der da unter den Bauern sitzt,
hat offenbar die Absicht, seine Beichtkinder auch politisch zu bevormunden und
ins ultrcunontane Lager zu führen. Die Charakteristik der Köpfe ist auch hier
von erstaunlicher Vollendung, noch bewunderungswürdiger aber die Meisterschaft,
mit welcher Kurzbauer das Helldunkel behandelte. Und diese technische Meister¬
schaft wuchs von Bild zu Bild, ohne daß sich die geistigen Vorzüge vermin¬
derten. Auf die „Wahlbesprechung" folgte die „Kartenlegerin", der „Erste Schritt",
die „Verleumdung" (Dresdner Galerie) und dann die tief ergreifende Seene
„Vor dem Begräbnis?" in einem schwäbischen Bauernhause. Die Gattin soll
von dem geliebten Manne scheiden, und angesichts dieser furchtbaren Nothwen¬
digkeit verhallen die Trostesworte, welche die Schwiegermutter ihr zuspricht, un-
gehört an ihrem Ohre. Dieses Bild, welches Kurzbauer in die Reihe der ersten
Genremaler Deutschlands, neben Kraus und Vautier stellte, sollte die letzte grö¬
ßere Arbeit des Künstlers sein. Ein schreckliches Leiden, das sich später als
Gesichtsknochenkrebs herausstellte, lähmte seine Thätigkeit. Mit bewunderungs¬
würdigem Heroismus unterzog er sich den schmerzhaftesten Operationen; aber
die Krankheit widerstand hartnäckig den Künsten der Aerzte. So war es als
eine erwünschte Erlösung zu betrachten, als sich der Tod am 13. Januar 1879
des gequälten Mannes erbarmte.

Unter denen, die zugleich mit ihm lernten oder ihm gefolgt sind, ist keiner,
der ihn zu ersetzen berufen ist. Die jüngeren Humoristen der Schule Pilotys,
wie Kronberger und Toby E. Rosenthal, können sich mit ihm weder in
der Tiefe der Empfindung noch in der Feinheit der Farbe messen. Karl. Kron-
bergers Charakteristik ist eine ziemlich vulgäre und seine Komik auf grobe Effecte
zugeschnittten. Ein 1876 gemaltes Bild „Die Tante kommt!", den Besuch einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/134>, abgerufen am 14.06.2024.