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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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gewann er damit die Gunst des damaligen Gouverneurs der lombardischen
Provinzen, des Grafen Firmian, der sich dahin aussprach, daß etwas Zeitge¬
mäßeres gar nicht habe geschrieben werden können.

Da Parmi den strengsten Maßstab an seine Productionen legte*) und sich
im Ausfeilen des Einzelnen nicht genug thun konnte -- Zeugniß dafür sind die
zahlreichen Varianten, die in der von Reina besorgten Ausgabe unterm Text
zusammengestellt sind -- so schritt die Vollendung des Gedichts nur laugsam
vorwärts. Von den übrigen Gesängen, deren Zahl, wie aus der Vorrede und
dem Eingänge der ersten Abtheilung hervorgeht, der ursprünglichen Absicht des
Dichters nach sich auf drei beschränken sollte, trat der zweite, "Der Mittag",
1765 mit gleichem Erfolg wie der erste an die Öffentlichkeit. Schneidende
Ironie ergießt sich auch hier über den sittlichen und geistigen Verfall der aristo¬
kratischen Kreise, die diesmal bei einem glänzenden Gastmahl vorgeführt werden.
Drastisch ist auch hier der Vergleich zwischen Vergangenheit und Gegenwart:
einst trübte Eifersucht das Glück der Ehen, Gift und Dolch wütheten; jetzt werden
die Ehen geschlossen mit Rücksicht auf Gold und Herkunft, dem kalten Gatten
vereint sich die kalte Jungfrau, zufrieden mit seiner Gleichgiltigkeit und sich
freuend auf die schone Welt, die ihr nnn ganz offen steht. Italien lacht heute
über die Eisersucht, um deretwillen es vormals selbst verlacht wurde; so sehr
vermochte ein einziges Menschenalter die Gemüther umzuwandeln! Allerliebst
und nicht bloß für jene Zeit geschrieben sind die Anweisungen, die dem Helden
gegeben werden, um in der Conversation zu glänzen. "Hast du am Tage irgend
etwas gelesen, wovon du Ruhm erhoffen kannst, so bring' es an; wie ein Jäger,
der seine Bente verfolgt und umstellt, bis sie ins Netz fällt, so wende du weise
des Anderen Rede, bis du deinen neuen Schatz an den Mann bringen kannst.
Lausche den Anderen ihre Redeweise ab und wiederhole laut ihre Aussprache,
damit es scheine, als seien sie dir entsprungen. Auch vou dem Poeten, der
durch deine Gunst mit anwesend ist, fürchte keine Satire über deine Aeuße¬
rungen; ihr habt ihn erhöht zur erhabenen Tafel, Apoll und den Musen zum
Trotze in den heiligen Chor der Sänger aufgenommen; er macht aus der Tafel
seinen Pindus, und wehe ihm, wenn er daraus verjagt würde: er konnte ja
nicht mehr im Dienste seines Herrn singen."

"Der Abend" und "Die Nacht", die erst nach dem Tode des Dichters er¬
schienen, sind beide nicht völlig zu Eude geführt. Die Corsvfahrt bildet den
Stoff für den ersteren Abschnitt, für den anderen eine Soiree, welcher der Poet



"Die Andern," so sagte er als siebzigjähriger, "loben meine Sachen, Ich kann
sie nicht loben. Jetzt, da ich alt bin, weiß ich, was schön ist; könnte ich mich um dreißig
Jahre verjüngen, so würde ich vielleicht Sachen schreibe", die des italienischen Namens
nicht unwürdig wären."

gewann er damit die Gunst des damaligen Gouverneurs der lombardischen
Provinzen, des Grafen Firmian, der sich dahin aussprach, daß etwas Zeitge¬
mäßeres gar nicht habe geschrieben werden können.

Da Parmi den strengsten Maßstab an seine Productionen legte*) und sich
im Ausfeilen des Einzelnen nicht genug thun konnte — Zeugniß dafür sind die
zahlreichen Varianten, die in der von Reina besorgten Ausgabe unterm Text
zusammengestellt sind — so schritt die Vollendung des Gedichts nur laugsam
vorwärts. Von den übrigen Gesängen, deren Zahl, wie aus der Vorrede und
dem Eingänge der ersten Abtheilung hervorgeht, der ursprünglichen Absicht des
Dichters nach sich auf drei beschränken sollte, trat der zweite, „Der Mittag",
1765 mit gleichem Erfolg wie der erste an die Öffentlichkeit. Schneidende
Ironie ergießt sich auch hier über den sittlichen und geistigen Verfall der aristo¬
kratischen Kreise, die diesmal bei einem glänzenden Gastmahl vorgeführt werden.
Drastisch ist auch hier der Vergleich zwischen Vergangenheit und Gegenwart:
einst trübte Eifersucht das Glück der Ehen, Gift und Dolch wütheten; jetzt werden
die Ehen geschlossen mit Rücksicht auf Gold und Herkunft, dem kalten Gatten
vereint sich die kalte Jungfrau, zufrieden mit seiner Gleichgiltigkeit und sich
freuend auf die schone Welt, die ihr nnn ganz offen steht. Italien lacht heute
über die Eisersucht, um deretwillen es vormals selbst verlacht wurde; so sehr
vermochte ein einziges Menschenalter die Gemüther umzuwandeln! Allerliebst
und nicht bloß für jene Zeit geschrieben sind die Anweisungen, die dem Helden
gegeben werden, um in der Conversation zu glänzen. „Hast du am Tage irgend
etwas gelesen, wovon du Ruhm erhoffen kannst, so bring' es an; wie ein Jäger,
der seine Bente verfolgt und umstellt, bis sie ins Netz fällt, so wende du weise
des Anderen Rede, bis du deinen neuen Schatz an den Mann bringen kannst.
Lausche den Anderen ihre Redeweise ab und wiederhole laut ihre Aussprache,
damit es scheine, als seien sie dir entsprungen. Auch vou dem Poeten, der
durch deine Gunst mit anwesend ist, fürchte keine Satire über deine Aeuße¬
rungen; ihr habt ihn erhöht zur erhabenen Tafel, Apoll und den Musen zum
Trotze in den heiligen Chor der Sänger aufgenommen; er macht aus der Tafel
seinen Pindus, und wehe ihm, wenn er daraus verjagt würde: er konnte ja
nicht mehr im Dienste seines Herrn singen."

„Der Abend" und „Die Nacht", die erst nach dem Tode des Dichters er¬
schienen, sind beide nicht völlig zu Eude geführt. Die Corsvfahrt bildet den
Stoff für den ersteren Abschnitt, für den anderen eine Soiree, welcher der Poet



„Die Andern," so sagte er als siebzigjähriger, „loben meine Sachen, Ich kann
sie nicht loben. Jetzt, da ich alt bin, weiß ich, was schön ist; könnte ich mich um dreißig
Jahre verjüngen, so würde ich vielleicht Sachen schreibe», die des italienischen Namens
nicht unwürdig wären."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/225>, abgerufen am 14.06.2024.