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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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als armer Sterblicher bescheiden unter die Diener gemischt beiwohnt, den Ge¬
sprächen über Reitpferde, Degengriffe, Gastmähler und ähnliches zuhörend.
Auch hier bewährt Parmi seine Kunst, Kleinliches und Triviales zu glorisiciren
und dadurch lächerlich zu machen, doch verliert dieses Mittel durch seine stete
Wiederkehr schließlich doch an Wirkung und ist in den beiden letzten Gesängen
bisweilen nicht ohne eine gewisse Gewaltsamkeit angewandt worden. Als einen
weiteren Fehler hat es Fvscolo mit Recht bezeichnet, daß Parmi, der außer
Mailand nie eine andere Stadt gesehen, mitunter einen allzu engen Gesichts¬
kreis zeigt, indem er oft großes Aufhebens von Dingen macht, denen ein mit
der Welt vertrauter keine Aufmerksamkeit schenken würde. Diese Mängel ver¬
schwinden indeß vor dem reichen Gehalte des Gedichts und der Originalität der
Darstellung, die nirgends Anleihen macht, sich fern hält von den nach Horaz'
Vorgange so beliebten Sentenzen und epigrammatischen Aperyus und als Ganzes
genossen sein will.

Auch die Form des Gedichts trägt ein durchaus künstlerisches Gepräge.
Italienische Kritiker haben behauptet, daß gereimte Verse mehr Wirkung erzielen
würden als der von Parmi gewählte reimlose fünffüßige Jambus. Dem ist
entgegenzustellen, daß der dramatische Vortrag, der in dem Ganzen eingehalten
ist, und ebenso der dem Alltagsleben entnommene Stoff geradezu auf diese Form
hindrängt, mit deren Anwendung der Dichter übrigens sich seine Aufgabe durch¬
aus nicht erleichterte. Reimfreie Verse (on-si soiolti) stellen im Italienischen
ganz andere Anforderungen als die bekannten strophischen Formen und waren
vor Parmi, wenngleich schon im 16. Jahrhundert von Trissino, Ruccellai und
anderen angewandt, doch nur in Martellis "Femia" so gehandhabt worden, daß
Parmi sich für seine Zwecke Raths erholen konnte. Mit welchem Erfolg er
dies that, beweist am besten das Urtheil Jnnocenzo Frugonis, der, obwohl er
allgemein als Meister in der Behandlung des vsrso seiolto galt, nach der
Lectüre des "Morgens" von sich gestand, nie Gutes in dieser Versgattnng ge¬
leistet zu haben, und mit Parmi in briefliche Discussion über den Gegenstand
eintrat. Daß Cesarotti, der geniale Uebersetzer des Ossian, Leopardi, Ugo Fos-
colo und andere Neuere, die den Vsrso solollo in Italien erst eigentlich populär
gemacht haben, dem Beispiele Parinis sehr viel verdanken, kann keinem aufmerk¬
samen Beobachter entgehen.

Ein ähnliches Thema wie in seinem poetischen Hauptwerke behandelte der
Dichter in einem in Prosa verfaßten, unverkennbar an Lukian sich anschließenden
Dialog: Dells. nodiltZ., in welchem zwei Todte, ein Aristokrat und ein armer
verhungerter Poet, im Grabe über das gesellschaftliche Kastenwesen disputiren
und es dem letzteren, der mit schneidendem Sarkasmus der Eccellenza alle ihre
Vorurtheile der Reihe nach als solche darlegt, am Ende gelingt, dieselbe zu be-


Grenzboten III. 1380. 29

als armer Sterblicher bescheiden unter die Diener gemischt beiwohnt, den Ge¬
sprächen über Reitpferde, Degengriffe, Gastmähler und ähnliches zuhörend.
Auch hier bewährt Parmi seine Kunst, Kleinliches und Triviales zu glorisiciren
und dadurch lächerlich zu machen, doch verliert dieses Mittel durch seine stete
Wiederkehr schließlich doch an Wirkung und ist in den beiden letzten Gesängen
bisweilen nicht ohne eine gewisse Gewaltsamkeit angewandt worden. Als einen
weiteren Fehler hat es Fvscolo mit Recht bezeichnet, daß Parmi, der außer
Mailand nie eine andere Stadt gesehen, mitunter einen allzu engen Gesichts¬
kreis zeigt, indem er oft großes Aufhebens von Dingen macht, denen ein mit
der Welt vertrauter keine Aufmerksamkeit schenken würde. Diese Mängel ver¬
schwinden indeß vor dem reichen Gehalte des Gedichts und der Originalität der
Darstellung, die nirgends Anleihen macht, sich fern hält von den nach Horaz'
Vorgange so beliebten Sentenzen und epigrammatischen Aperyus und als Ganzes
genossen sein will.

Auch die Form des Gedichts trägt ein durchaus künstlerisches Gepräge.
Italienische Kritiker haben behauptet, daß gereimte Verse mehr Wirkung erzielen
würden als der von Parmi gewählte reimlose fünffüßige Jambus. Dem ist
entgegenzustellen, daß der dramatische Vortrag, der in dem Ganzen eingehalten
ist, und ebenso der dem Alltagsleben entnommene Stoff geradezu auf diese Form
hindrängt, mit deren Anwendung der Dichter übrigens sich seine Aufgabe durch¬
aus nicht erleichterte. Reimfreie Verse (on-si soiolti) stellen im Italienischen
ganz andere Anforderungen als die bekannten strophischen Formen und waren
vor Parmi, wenngleich schon im 16. Jahrhundert von Trissino, Ruccellai und
anderen angewandt, doch nur in Martellis „Femia" so gehandhabt worden, daß
Parmi sich für seine Zwecke Raths erholen konnte. Mit welchem Erfolg er
dies that, beweist am besten das Urtheil Jnnocenzo Frugonis, der, obwohl er
allgemein als Meister in der Behandlung des vsrso seiolto galt, nach der
Lectüre des „Morgens" von sich gestand, nie Gutes in dieser Versgattnng ge¬
leistet zu haben, und mit Parmi in briefliche Discussion über den Gegenstand
eintrat. Daß Cesarotti, der geniale Uebersetzer des Ossian, Leopardi, Ugo Fos-
colo und andere Neuere, die den Vsrso solollo in Italien erst eigentlich populär
gemacht haben, dem Beispiele Parinis sehr viel verdanken, kann keinem aufmerk¬
samen Beobachter entgehen.

Ein ähnliches Thema wie in seinem poetischen Hauptwerke behandelte der
Dichter in einem in Prosa verfaßten, unverkennbar an Lukian sich anschließenden
Dialog: Dells. nodiltZ., in welchem zwei Todte, ein Aristokrat und ein armer
verhungerter Poet, im Grabe über das gesellschaftliche Kastenwesen disputiren
und es dem letzteren, der mit schneidendem Sarkasmus der Eccellenza alle ihre
Vorurtheile der Reihe nach als solche darlegt, am Ende gelingt, dieselbe zu be-


Grenzboten III. 1380. 29
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[0226] als armer Sterblicher bescheiden unter die Diener gemischt beiwohnt, den Ge¬ sprächen über Reitpferde, Degengriffe, Gastmähler und ähnliches zuhörend. Auch hier bewährt Parmi seine Kunst, Kleinliches und Triviales zu glorisiciren und dadurch lächerlich zu machen, doch verliert dieses Mittel durch seine stete Wiederkehr schließlich doch an Wirkung und ist in den beiden letzten Gesängen bisweilen nicht ohne eine gewisse Gewaltsamkeit angewandt worden. Als einen weiteren Fehler hat es Fvscolo mit Recht bezeichnet, daß Parmi, der außer Mailand nie eine andere Stadt gesehen, mitunter einen allzu engen Gesichts¬ kreis zeigt, indem er oft großes Aufhebens von Dingen macht, denen ein mit der Welt vertrauter keine Aufmerksamkeit schenken würde. Diese Mängel ver¬ schwinden indeß vor dem reichen Gehalte des Gedichts und der Originalität der Darstellung, die nirgends Anleihen macht, sich fern hält von den nach Horaz' Vorgange so beliebten Sentenzen und epigrammatischen Aperyus und als Ganzes genossen sein will. Auch die Form des Gedichts trägt ein durchaus künstlerisches Gepräge. Italienische Kritiker haben behauptet, daß gereimte Verse mehr Wirkung erzielen würden als der von Parmi gewählte reimlose fünffüßige Jambus. Dem ist entgegenzustellen, daß der dramatische Vortrag, der in dem Ganzen eingehalten ist, und ebenso der dem Alltagsleben entnommene Stoff geradezu auf diese Form hindrängt, mit deren Anwendung der Dichter übrigens sich seine Aufgabe durch¬ aus nicht erleichterte. Reimfreie Verse (on-si soiolti) stellen im Italienischen ganz andere Anforderungen als die bekannten strophischen Formen und waren vor Parmi, wenngleich schon im 16. Jahrhundert von Trissino, Ruccellai und anderen angewandt, doch nur in Martellis „Femia" so gehandhabt worden, daß Parmi sich für seine Zwecke Raths erholen konnte. Mit welchem Erfolg er dies that, beweist am besten das Urtheil Jnnocenzo Frugonis, der, obwohl er allgemein als Meister in der Behandlung des vsrso seiolto galt, nach der Lectüre des „Morgens" von sich gestand, nie Gutes in dieser Versgattnng ge¬ leistet zu haben, und mit Parmi in briefliche Discussion über den Gegenstand eintrat. Daß Cesarotti, der geniale Uebersetzer des Ossian, Leopardi, Ugo Fos- colo und andere Neuere, die den Vsrso solollo in Italien erst eigentlich populär gemacht haben, dem Beispiele Parinis sehr viel verdanken, kann keinem aufmerk¬ samen Beobachter entgehen. Ein ähnliches Thema wie in seinem poetischen Hauptwerke behandelte der Dichter in einem in Prosa verfaßten, unverkennbar an Lukian sich anschließenden Dialog: Dells. nodiltZ., in welchem zwei Todte, ein Aristokrat und ein armer verhungerter Poet, im Grabe über das gesellschaftliche Kastenwesen disputiren und es dem letzteren, der mit schneidendem Sarkasmus der Eccellenza alle ihre Vorurtheile der Reihe nach als solche darlegt, am Ende gelingt, dieselbe zu be- Grenzboten III. 1380. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/226>, abgerufen am 14.06.2024.