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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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wenn wir nur ihre Gaben dankbar zu würdigen wissen und das, was wir
haben, nicht über dem vergessen, was wir wünschen. Der Weise braucht bei
Wasser und Gerstenbrod den Zeus nicht zu beneiden, aber darum doch nicht
als Bettler zu leben; die Genügsamkeit liegt nicht im Weniggebrauchen, sondern
im Wenigbedürfen. Der ehrbare Kleinbesitz bringt volle und reine Freude. Für
wie viele schon ist der Erwerb von Reichthümern nicht das Ende, sondern nur
die Aenderung des Elends gewesen! Das Reichwerden besteht nicht im Anlegen
von Geldern, sondern im Ablegen von Begierden. Wer den morgenden Tag
am wenigsten bedarf, tritt mit dem größten Genusse in denselben ein. Der
Weise geizt nicht nach Ruhm und kümmert sich um die Meinung der Menschen
nur in so weit, daß er nicht verachtet sein will; denn damit wäre seine Sicher¬
heit gefährdet. -- Die Standhaftigkeit ist um so mehr zu beobachten, als die
heftigsten Schmerzen entweder nicht lange anhalten oder unserem Leben ein
Ende machen, die minder heftigen aber zu ertragen sind, weil sie überwiegende
Lust nicht ausschließen. Sollte jedoch alles mögliche Ungemach sich in einer
Person vereinigen, so daß etwa ein Blinder zugleich taub und von heftigsten
Körperschmerzen unaufhörlich gepeinigt wäre, dann stände nichts im Wege, sich
selbst von den Brettern der Welt zu verabschieden. Lächerlich aber ist es, zum
Tode aus Ueberdruß am Leben zu eilen, wenn man durch die Art des Lebens
das Verlangen nach schnellem Tode in sich selbst wachgerufen hat. -- Die Ge¬
rechtigkeit, d. i. das Rechtlichhandeln, ist besonders deswegen zu Pflegen, weil
sie allein es uns möglich macht, ohne den Schmerz jener Furcht zu leben, welche
den Verbrecher nie verläßt. Das Rechte soll man nicht nach dem Buchstaben
üben, sondern nach dem Geist der Gesetze, aus bloßer Freude am Guten, auch
wenn unser Handeln ganz verborgen bleibt. Mit der Gerechtigkeit verträgt sich
das Mitleid und die Versöhnlichkeit gar wohl. -- Wohlthaten erweisen gewährt
höheren Genuß als Wohlthaten empfangen. Die Tugend allein ist von der Lust
unzertrennlich, alles Uebrige kann als vergänglich von ihr getrennt werden.....

An das Examen schlossen sich verschiedene Ausfälle Epiturs auf Zeno und
feine Anhänger, welche in einer mit Gemälden allsgeschmückten Säulenhalle
(^oc') den Sitz ihrer Schule aufgeschlagen hatten und deswegen -- namentlich
auch im Gegensatz zu den Philosophen im Garten des Epikur -- Hallen-
Philosophen (Stoiker) hießen. Diese erklärten für das höchste Gut die
Tugend und entwickelten von diesem Prineip aus eine dann und wann recht
stark uach der Schminkflasche riechende, excentrisch pathetische Ethik. Von hohem
Rosse herab zerzausten sie die Epikureer in der unbarmherzigsten und ungerech¬
testen Weise, indem sie nur um deren Obersatz von der Lust anknüpften und
ihre weitere Erklärung dieses Princips ignorirten. Zeno selbst bezeichnete in
einem Briefe, den er einige Jahre später an den makedonisch-griechischen


wenn wir nur ihre Gaben dankbar zu würdigen wissen und das, was wir
haben, nicht über dem vergessen, was wir wünschen. Der Weise braucht bei
Wasser und Gerstenbrod den Zeus nicht zu beneiden, aber darum doch nicht
als Bettler zu leben; die Genügsamkeit liegt nicht im Weniggebrauchen, sondern
im Wenigbedürfen. Der ehrbare Kleinbesitz bringt volle und reine Freude. Für
wie viele schon ist der Erwerb von Reichthümern nicht das Ende, sondern nur
die Aenderung des Elends gewesen! Das Reichwerden besteht nicht im Anlegen
von Geldern, sondern im Ablegen von Begierden. Wer den morgenden Tag
am wenigsten bedarf, tritt mit dem größten Genusse in denselben ein. Der
Weise geizt nicht nach Ruhm und kümmert sich um die Meinung der Menschen
nur in so weit, daß er nicht verachtet sein will; denn damit wäre seine Sicher¬
heit gefährdet. — Die Standhaftigkeit ist um so mehr zu beobachten, als die
heftigsten Schmerzen entweder nicht lange anhalten oder unserem Leben ein
Ende machen, die minder heftigen aber zu ertragen sind, weil sie überwiegende
Lust nicht ausschließen. Sollte jedoch alles mögliche Ungemach sich in einer
Person vereinigen, so daß etwa ein Blinder zugleich taub und von heftigsten
Körperschmerzen unaufhörlich gepeinigt wäre, dann stände nichts im Wege, sich
selbst von den Brettern der Welt zu verabschieden. Lächerlich aber ist es, zum
Tode aus Ueberdruß am Leben zu eilen, wenn man durch die Art des Lebens
das Verlangen nach schnellem Tode in sich selbst wachgerufen hat. — Die Ge¬
rechtigkeit, d. i. das Rechtlichhandeln, ist besonders deswegen zu Pflegen, weil
sie allein es uns möglich macht, ohne den Schmerz jener Furcht zu leben, welche
den Verbrecher nie verläßt. Das Rechte soll man nicht nach dem Buchstaben
üben, sondern nach dem Geist der Gesetze, aus bloßer Freude am Guten, auch
wenn unser Handeln ganz verborgen bleibt. Mit der Gerechtigkeit verträgt sich
das Mitleid und die Versöhnlichkeit gar wohl. — Wohlthaten erweisen gewährt
höheren Genuß als Wohlthaten empfangen. Die Tugend allein ist von der Lust
unzertrennlich, alles Uebrige kann als vergänglich von ihr getrennt werden.....

An das Examen schlossen sich verschiedene Ausfälle Epiturs auf Zeno und
feine Anhänger, welche in einer mit Gemälden allsgeschmückten Säulenhalle
(^oc') den Sitz ihrer Schule aufgeschlagen hatten und deswegen — namentlich
auch im Gegensatz zu den Philosophen im Garten des Epikur — Hallen-
Philosophen (Stoiker) hießen. Diese erklärten für das höchste Gut die
Tugend und entwickelten von diesem Prineip aus eine dann und wann recht
stark uach der Schminkflasche riechende, excentrisch pathetische Ethik. Von hohem
Rosse herab zerzausten sie die Epikureer in der unbarmherzigsten und ungerech¬
testen Weise, indem sie nur um deren Obersatz von der Lust anknüpften und
ihre weitere Erklärung dieses Princips ignorirten. Zeno selbst bezeichnete in
einem Briefe, den er einige Jahre später an den makedonisch-griechischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/23>, abgerufen am 22.05.2024.