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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Lukas, neben Leonteus, Neokles, Epikurs Bruder, hatte neben Polyän, dem
vormaligen Mathematiker, Timokrates, der später "abfiel", neben Aristobul, einem
anderen Bruder Epikurs, Amynomachos neben dem Mitylenaeer Hermarch, dem
ältesten Schüler des Epikur, Platz genommen. Die Themata der Unterhaltung
waren bunt. Hier pries man die schriftstellerische Fruchtbarkeit des Meisters,
der in der That nächst dein Stoiker Chrysipp unter allen alten Philosophen am
meisten geschrieben hat; dort wurde -- und darauf that sich die epikureische
Schule wegen der Beziehung der betreffenden Fragen zum Aberglauben ganz
besonders viel zu gute -- Meteorologisches erörtert, und man gab über Wolken,
Regen, Donner, Blitz, Schnee, Gluthwinde, Hagel, Reif, Eis, Regenbogen,
Sternschnuppen, Vulkane, Kometen u. tgi. allerlei mögliche und unmögliche Er¬
klärungen zum Besten. Die Annahme, daß die Sonne beim Untergange erlösche,
wollte Hermarch damit stützen, daß man an der Küste des Oceans das Meer
zischen höre, wenn sie hineinsinke. "Das scheint mir ein Märchen," wendete
sein Tischnachbar Amynomachos ein. -- "Was ich gesagt, steht in des Meisters
Schriften" -- diese siegesgewisse Antwort Hermarchs schlug alle Zweifel des
Amynomachos und derer, welche dem Gespräche zugehört, ebenso unfehlbar
nieder, wie ein ^r"? e^>" (Er hat's gesagt) im pythagoreischen Freundeskreise.
Andere, in der Nähe Metrodors, plauderten über ein weiteres Lieblingsthema,
über die seelischen und leiblichen Vortheile der Mäßigung und Enthaltsamkeit.
Metrodor erzählte, wie er durch fortwährende allmähliche Einschränkung dahin
gekommen sei, für eine gewöhnliche Mahlzeit nnr einen Obolos auszugeben,
und drückte die Hoffnung ans, bald den Meister zu erreichen, der für das tag¬
täglich? Mahl sich mit einem Aufwand von Obolos begnügte. "Von meinen
Mahlzeiten," fuhr er fort, "kann ich das Wort gebrauchen, das man von den
platonischen sagte: ,Sie schmecken auch den andern Tag noch gut"' -- "Er¬
innerst dn dich," rief Leonteus vom nächsten Sopha herüber, "an die Zeit, wo
Demetrios Poliorketes es war, glaube ich, vor sieben Jahren -- Athen be¬
lagerte? Ich war gerade mit meiner Frau vou Lampsakos unserem theueren
Meister hierher nachgezogen. Der Scheffel Weizen kostete damals 300 Drachmen.
Da zählte uns Epikur die Bohnen kopfweise zu. Nie zuvor war ich gesünder
als zur Zeit dieser Hungersnoth. Seitdem ist es bei uns Hausordnung ge¬
worden, gewöhnlich uur eine tägliche Mahlzeit zu nehmen."

Als eine kleine Pause entstand, benutzte sie Leontion, welche, selbst Schrift¬
stellerin, bis jetzt mit Epikur über Schriftstellerei, namentlich über die von ihm
systematisch verschmähte Sitte Citate einzuflechten sich lebhaft unterhalten hatte,
um die vor der Uebungsstunde in Anregung gebrachte Frage über das Ver¬
halten zum Staate an den Meister zu stellen. "Meister," sagte sie, "du hast
vor der Uebungsstunde versprochen, uns deine Ansicht über Politik kund zu


Grenzboten III. 1380. 3

Lukas, neben Leonteus, Neokles, Epikurs Bruder, hatte neben Polyän, dem
vormaligen Mathematiker, Timokrates, der später „abfiel", neben Aristobul, einem
anderen Bruder Epikurs, Amynomachos neben dem Mitylenaeer Hermarch, dem
ältesten Schüler des Epikur, Platz genommen. Die Themata der Unterhaltung
waren bunt. Hier pries man die schriftstellerische Fruchtbarkeit des Meisters,
der in der That nächst dein Stoiker Chrysipp unter allen alten Philosophen am
meisten geschrieben hat; dort wurde — und darauf that sich die epikureische
Schule wegen der Beziehung der betreffenden Fragen zum Aberglauben ganz
besonders viel zu gute — Meteorologisches erörtert, und man gab über Wolken,
Regen, Donner, Blitz, Schnee, Gluthwinde, Hagel, Reif, Eis, Regenbogen,
Sternschnuppen, Vulkane, Kometen u. tgi. allerlei mögliche und unmögliche Er¬
klärungen zum Besten. Die Annahme, daß die Sonne beim Untergange erlösche,
wollte Hermarch damit stützen, daß man an der Küste des Oceans das Meer
zischen höre, wenn sie hineinsinke. „Das scheint mir ein Märchen," wendete
sein Tischnachbar Amynomachos ein. — „Was ich gesagt, steht in des Meisters
Schriften" — diese siegesgewisse Antwort Hermarchs schlug alle Zweifel des
Amynomachos und derer, welche dem Gespräche zugehört, ebenso unfehlbar
nieder, wie ein ^r«? e^>« (Er hat's gesagt) im pythagoreischen Freundeskreise.
Andere, in der Nähe Metrodors, plauderten über ein weiteres Lieblingsthema,
über die seelischen und leiblichen Vortheile der Mäßigung und Enthaltsamkeit.
Metrodor erzählte, wie er durch fortwährende allmähliche Einschränkung dahin
gekommen sei, für eine gewöhnliche Mahlzeit nnr einen Obolos auszugeben,
und drückte die Hoffnung ans, bald den Meister zu erreichen, der für das tag¬
täglich? Mahl sich mit einem Aufwand von Obolos begnügte. „Von meinen
Mahlzeiten," fuhr er fort, „kann ich das Wort gebrauchen, das man von den
platonischen sagte: ,Sie schmecken auch den andern Tag noch gut"' — „Er¬
innerst dn dich," rief Leonteus vom nächsten Sopha herüber, „an die Zeit, wo
Demetrios Poliorketes es war, glaube ich, vor sieben Jahren — Athen be¬
lagerte? Ich war gerade mit meiner Frau vou Lampsakos unserem theueren
Meister hierher nachgezogen. Der Scheffel Weizen kostete damals 300 Drachmen.
Da zählte uns Epikur die Bohnen kopfweise zu. Nie zuvor war ich gesünder
als zur Zeit dieser Hungersnoth. Seitdem ist es bei uns Hausordnung ge¬
worden, gewöhnlich uur eine tägliche Mahlzeit zu nehmen."

Als eine kleine Pause entstand, benutzte sie Leontion, welche, selbst Schrift¬
stellerin, bis jetzt mit Epikur über Schriftstellerei, namentlich über die von ihm
systematisch verschmähte Sitte Citate einzuflechten sich lebhaft unterhalten hatte,
um die vor der Uebungsstunde in Anregung gebrachte Frage über das Ver¬
halten zum Staate an den Meister zu stellen. „Meister," sagte sie, „du hast
vor der Uebungsstunde versprochen, uns deine Ansicht über Politik kund zu


Grenzboten III. 1380. 3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/25>, abgerufen am 21.05.2024.