Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

thun." -- "Wohl," entgegnete Epikur, "jetzt ist die Zeit dazu," und er begann
-- eine lautlose Stille war eingetreten - also zu sprechen: "Ein menschliches
Leben, meine lieben Freunde, ist natürlich nur innerhalb der menschlichen Ge¬
sellschaft zu denken. Aber nicht alle Formen des Gemeinlebens haben den gleichen
Werth. Während ich auf die Freundschaft den höchsten Preis setze, hat für
mich der Staat den geringsten Reiz; das knüpft sich eng an unser Princip vom
Wohle des Einzelwesens an, demzufolge wir auf eine freigewählte, nach der
Individualität und nach der individuellen Neigung gebildete Verbindung mit
Anderen größeren Werth legen, als auf diejenige, worin sich der Mensch vor
aller Wahl als Glied eines natürlichen und historischen Ganzen gesetzt und be¬
stimmt findet. Der Zweck der staatlichen Verbindung ist der äußerliche des
Schutzes, das Recht ist ursprünglich ein Vertrag zu gegenseitiger Sicherung, und
die Gesetze sind seine einzelnen Paragraphen. Recht und Gesetz sind daher nicht
an und für sich, sondern nur um eines Anderen willen verbindlich und können
jederzeit geändert werden. Wir werden uns daher nur in soweit mit politischer
Thätigkeit befassen, als dies zu unserer Sicherheit nöthig ist. Im Allgemeinen
aber lebt der Privatmann ruhiger und sicherer als der Staatsmann, und die
Staatsgeschäfte stehen der Weisheit und Glückseligkeit des Menschen entgegen.
Wenn also Zeno sagt: ,der Weise wird sich politisch beschäftigen, wenn ihn nichts
daran hindert, so sage ich: der Weise wird sich von Politik fernhalten, wenn
ihn nicht dringende Umstünde zum Gegentheil zwingen. Zu solchen dringenden
Umstünden gehört z. B. ein politisches Temperament. Wer ein solches hat,
würde unglücklich sein, wenn man ihn von staatlicher Thätigkeit abhielte; dieser
mag denn wacker sich in den Staatswagen spannen, just damit seine Seele
Ruhe hat."

"Dank, göttlicher Meister," rief Leontion; "Dank erhabener Bruder," rief
Neokles; "das stimmt ja trefflich zu unserem Wahlspruch /?den<7"x (Lebe
in der Stille)." -- "Jedenfalls," meinte beistimmend Hermarch, "ist die politische
Thätigkeit ein heilet Ding, insofern die Volksgunst dabei ins Spiel kommt;
um diese aber sich zu bemühen ist gewiß des Weisen nicht würdig, und ich muß
oft über den eiteln Demosthenes lächeln, welcher bei jeder Gelegenheit erzählte,
daß, als er an einem Brunnen vorüberging, eine Wasserträgerin der anderen
ins Ohr raunte: ,Das ist der berühmte Demosthenes"'. -- "Der Mann hatte
eben vor Anderen, aber nicht mit sich zu reden gelernt," warf stolz schmunzelnd
die jugendliche Philänis ein. Und Metrodor rief bedeutungsvoll: "Mein Wahl¬
spruch in politischer Beziehung ist: Weder Löwe noch Mücke. Denn jenem
geht mau aus dem Wege, und bei der Mücke lauert man auf den passenden
Augenblick, sie todt zu schlagen."

"Aber," nahm da Tiinokrates das Wort, indem er sich an Epikur wandte,


thun." — „Wohl," entgegnete Epikur, „jetzt ist die Zeit dazu," und er begann
— eine lautlose Stille war eingetreten - also zu sprechen: „Ein menschliches
Leben, meine lieben Freunde, ist natürlich nur innerhalb der menschlichen Ge¬
sellschaft zu denken. Aber nicht alle Formen des Gemeinlebens haben den gleichen
Werth. Während ich auf die Freundschaft den höchsten Preis setze, hat für
mich der Staat den geringsten Reiz; das knüpft sich eng an unser Princip vom
Wohle des Einzelwesens an, demzufolge wir auf eine freigewählte, nach der
Individualität und nach der individuellen Neigung gebildete Verbindung mit
Anderen größeren Werth legen, als auf diejenige, worin sich der Mensch vor
aller Wahl als Glied eines natürlichen und historischen Ganzen gesetzt und be¬
stimmt findet. Der Zweck der staatlichen Verbindung ist der äußerliche des
Schutzes, das Recht ist ursprünglich ein Vertrag zu gegenseitiger Sicherung, und
die Gesetze sind seine einzelnen Paragraphen. Recht und Gesetz sind daher nicht
an und für sich, sondern nur um eines Anderen willen verbindlich und können
jederzeit geändert werden. Wir werden uns daher nur in soweit mit politischer
Thätigkeit befassen, als dies zu unserer Sicherheit nöthig ist. Im Allgemeinen
aber lebt der Privatmann ruhiger und sicherer als der Staatsmann, und die
Staatsgeschäfte stehen der Weisheit und Glückseligkeit des Menschen entgegen.
Wenn also Zeno sagt: ,der Weise wird sich politisch beschäftigen, wenn ihn nichts
daran hindert, so sage ich: der Weise wird sich von Politik fernhalten, wenn
ihn nicht dringende Umstünde zum Gegentheil zwingen. Zu solchen dringenden
Umstünden gehört z. B. ein politisches Temperament. Wer ein solches hat,
würde unglücklich sein, wenn man ihn von staatlicher Thätigkeit abhielte; dieser
mag denn wacker sich in den Staatswagen spannen, just damit seine Seele
Ruhe hat."

„Dank, göttlicher Meister," rief Leontion; „Dank erhabener Bruder," rief
Neokles; „das stimmt ja trefflich zu unserem Wahlspruch /?den<7«x (Lebe
in der Stille)." — „Jedenfalls," meinte beistimmend Hermarch, „ist die politische
Thätigkeit ein heilet Ding, insofern die Volksgunst dabei ins Spiel kommt;
um diese aber sich zu bemühen ist gewiß des Weisen nicht würdig, und ich muß
oft über den eiteln Demosthenes lächeln, welcher bei jeder Gelegenheit erzählte,
daß, als er an einem Brunnen vorüberging, eine Wasserträgerin der anderen
ins Ohr raunte: ,Das ist der berühmte Demosthenes"'. — „Der Mann hatte
eben vor Anderen, aber nicht mit sich zu reden gelernt," warf stolz schmunzelnd
die jugendliche Philänis ein. Und Metrodor rief bedeutungsvoll: „Mein Wahl¬
spruch in politischer Beziehung ist: Weder Löwe noch Mücke. Denn jenem
geht mau aus dem Wege, und bei der Mücke lauert man auf den passenden
Augenblick, sie todt zu schlagen."

„Aber," nahm da Tiinokrates das Wort, indem er sich an Epikur wandte,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0026" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147113"/>
            <p xml:id="ID_56" prev="#ID_55"> thun." &#x2014; &#x201E;Wohl," entgegnete Epikur, &#x201E;jetzt ist die Zeit dazu," und er begann<lb/>
&#x2014; eine lautlose Stille war eingetreten - also zu sprechen: &#x201E;Ein menschliches<lb/>
Leben, meine lieben Freunde, ist natürlich nur innerhalb der menschlichen Ge¬<lb/>
sellschaft zu denken. Aber nicht alle Formen des Gemeinlebens haben den gleichen<lb/>
Werth. Während ich auf die Freundschaft den höchsten Preis setze, hat für<lb/>
mich der Staat den geringsten Reiz; das knüpft sich eng an unser Princip vom<lb/>
Wohle des Einzelwesens an, demzufolge wir auf eine freigewählte, nach der<lb/>
Individualität und nach der individuellen Neigung gebildete Verbindung mit<lb/>
Anderen größeren Werth legen, als auf diejenige, worin sich der Mensch vor<lb/>
aller Wahl als Glied eines natürlichen und historischen Ganzen gesetzt und be¬<lb/>
stimmt findet. Der Zweck der staatlichen Verbindung ist der äußerliche des<lb/>
Schutzes, das Recht ist ursprünglich ein Vertrag zu gegenseitiger Sicherung, und<lb/>
die Gesetze sind seine einzelnen Paragraphen. Recht und Gesetz sind daher nicht<lb/>
an und für sich, sondern nur um eines Anderen willen verbindlich und können<lb/>
jederzeit geändert werden. Wir werden uns daher nur in soweit mit politischer<lb/>
Thätigkeit befassen, als dies zu unserer Sicherheit nöthig ist. Im Allgemeinen<lb/>
aber lebt der Privatmann ruhiger und sicherer als der Staatsmann, und die<lb/>
Staatsgeschäfte stehen der Weisheit und Glückseligkeit des Menschen entgegen.<lb/>
Wenn also Zeno sagt: ,der Weise wird sich politisch beschäftigen, wenn ihn nichts<lb/>
daran hindert, so sage ich: der Weise wird sich von Politik fernhalten, wenn<lb/>
ihn nicht dringende Umstünde zum Gegentheil zwingen. Zu solchen dringenden<lb/>
Umstünden gehört z. B. ein politisches Temperament. Wer ein solches hat,<lb/>
würde unglücklich sein, wenn man ihn von staatlicher Thätigkeit abhielte; dieser<lb/>
mag denn wacker sich in den Staatswagen spannen, just damit seine Seele<lb/>
Ruhe hat."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_57"> &#x201E;Dank, göttlicher Meister," rief Leontion; &#x201E;Dank erhabener Bruder," rief<lb/>
Neokles; &#x201E;das stimmt ja trefflich zu unserem Wahlspruch /?den&lt;7«x (Lebe<lb/>
in der Stille)." &#x2014; &#x201E;Jedenfalls," meinte beistimmend Hermarch, &#x201E;ist die politische<lb/>
Thätigkeit ein heilet Ding, insofern die Volksgunst dabei ins Spiel kommt;<lb/>
um diese aber sich zu bemühen ist gewiß des Weisen nicht würdig, und ich muß<lb/>
oft über den eiteln Demosthenes lächeln, welcher bei jeder Gelegenheit erzählte,<lb/>
daß, als er an einem Brunnen vorüberging, eine Wasserträgerin der anderen<lb/>
ins Ohr raunte: ,Das ist der berühmte Demosthenes"'. &#x2014; &#x201E;Der Mann hatte<lb/>
eben vor Anderen, aber nicht mit sich zu reden gelernt," warf stolz schmunzelnd<lb/>
die jugendliche Philänis ein. Und Metrodor rief bedeutungsvoll: &#x201E;Mein Wahl¬<lb/>
spruch in politischer Beziehung ist: Weder Löwe noch Mücke. Denn jenem<lb/>
geht mau aus dem Wege, und bei der Mücke lauert man auf den passenden<lb/>
Augenblick, sie todt zu schlagen."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_58" next="#ID_59"> &#x201E;Aber," nahm da Tiinokrates das Wort, indem er sich an Epikur wandte,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0026] thun." — „Wohl," entgegnete Epikur, „jetzt ist die Zeit dazu," und er begann — eine lautlose Stille war eingetreten - also zu sprechen: „Ein menschliches Leben, meine lieben Freunde, ist natürlich nur innerhalb der menschlichen Ge¬ sellschaft zu denken. Aber nicht alle Formen des Gemeinlebens haben den gleichen Werth. Während ich auf die Freundschaft den höchsten Preis setze, hat für mich der Staat den geringsten Reiz; das knüpft sich eng an unser Princip vom Wohle des Einzelwesens an, demzufolge wir auf eine freigewählte, nach der Individualität und nach der individuellen Neigung gebildete Verbindung mit Anderen größeren Werth legen, als auf diejenige, worin sich der Mensch vor aller Wahl als Glied eines natürlichen und historischen Ganzen gesetzt und be¬ stimmt findet. Der Zweck der staatlichen Verbindung ist der äußerliche des Schutzes, das Recht ist ursprünglich ein Vertrag zu gegenseitiger Sicherung, und die Gesetze sind seine einzelnen Paragraphen. Recht und Gesetz sind daher nicht an und für sich, sondern nur um eines Anderen willen verbindlich und können jederzeit geändert werden. Wir werden uns daher nur in soweit mit politischer Thätigkeit befassen, als dies zu unserer Sicherheit nöthig ist. Im Allgemeinen aber lebt der Privatmann ruhiger und sicherer als der Staatsmann, und die Staatsgeschäfte stehen der Weisheit und Glückseligkeit des Menschen entgegen. Wenn also Zeno sagt: ,der Weise wird sich politisch beschäftigen, wenn ihn nichts daran hindert, so sage ich: der Weise wird sich von Politik fernhalten, wenn ihn nicht dringende Umstünde zum Gegentheil zwingen. Zu solchen dringenden Umstünden gehört z. B. ein politisches Temperament. Wer ein solches hat, würde unglücklich sein, wenn man ihn von staatlicher Thätigkeit abhielte; dieser mag denn wacker sich in den Staatswagen spannen, just damit seine Seele Ruhe hat." „Dank, göttlicher Meister," rief Leontion; „Dank erhabener Bruder," rief Neokles; „das stimmt ja trefflich zu unserem Wahlspruch /?den<7«x (Lebe in der Stille)." — „Jedenfalls," meinte beistimmend Hermarch, „ist die politische Thätigkeit ein heilet Ding, insofern die Volksgunst dabei ins Spiel kommt; um diese aber sich zu bemühen ist gewiß des Weisen nicht würdig, und ich muß oft über den eiteln Demosthenes lächeln, welcher bei jeder Gelegenheit erzählte, daß, als er an einem Brunnen vorüberging, eine Wasserträgerin der anderen ins Ohr raunte: ,Das ist der berühmte Demosthenes"'. — „Der Mann hatte eben vor Anderen, aber nicht mit sich zu reden gelernt," warf stolz schmunzelnd die jugendliche Philänis ein. Und Metrodor rief bedeutungsvoll: „Mein Wahl¬ spruch in politischer Beziehung ist: Weder Löwe noch Mücke. Denn jenem geht mau aus dem Wege, und bei der Mücke lauert man auf den passenden Augenblick, sie todt zu schlagen." „Aber," nahm da Tiinokrates das Wort, indem er sich an Epikur wandte,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/26
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/26>, abgerufen am 21.05.2024.