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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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holz befand. Während die Carabiniers zurückkehrten, war er schnell davon
gefahren.*)

Am anderen Morgen rückten auch wir den Berg hinan und mußten,' auf
der Höhe angelangt, Halt machen, indem es hieß: Die AiAncls g.russ, richtiger
"die kranke Armee", würde kommen. Sie kam wirklich. Nur einige Bataillone
hatten noch Gewehre, die anderen aber glichen einer zerstreuten Schafheerde;
in alte Gewänder gehüllt, zum Theil auch in Meßgewänder gekleidet, manche
an dein einen Fuße einen sont, am anderen einen steifen Stiefel, mit einem
Sporn, trieben sie sich im schrecklichsten Zustande vorwärts. Nur wenige von
der alten Garde kamen noch in Reihe und Glied mit Gewehren.*'")

Da wir einige Stunden da gestanden hatten und die kranke Armee dnrch-
Passirt war, folgten uns die Russen auf dem Fuße nach und schössen mit Kar¬
tätschen unter uns. Um die nacheilenden Feinde an der schnellen Verfolgung
durch die Stadt zu hindern, hatte die noch bewaffnete alte Garde den Ort in
Brand gesteckt, so daß er auf allen Seiten brannte und die verfolgenden Russen
nicht durchzukommen vermochten. Aber das hinderte sie am Nachsetzen nicht.
Sie suchten sich durch den Schnee Wege um die Stadt herum, eilten uns immer
nach, und wir mußten uns halb erfroren vorwärts bewegen. Inzwischen brach
die Nacht ein. Wir bivouakirten auf der Straße, zündeten Feuer an und
wärmten uns, aber nicht lange, denn wir wurden durch Kanonenschüsse ver¬
trieben und immer weiter gejagt. In der Gegend, wo wir uns soeben befanden,
waren nicht viele Dörfer, sondern nur einzelne Häuser und Kirchen anzutreffen.
>in diese retirirten sich Offiziere mit Pferden, so daß sie gedrängt voll waren.
Auf und hinter Altären wurde gekocht. Die Truppen aber, die in diesen Räu¬
men nicht unterkommen konnten und einer Kälte von 27 Graden preisgegeben
waren, zündeten, sich daran zu wärmen, ein Haus nach dein anderen an, nach¬
dem die Bewohner genöthigt worden waren, es zu verlassen. Obgleich wir,
ganz ermüdet, der Ruhe dringend bedurften, konnten wir ihrer doch wegen der
gräßlichen Kälte nicht lange genießen; durch diese sowie durch die uns verfol¬
genden Kanonen wurden wir immer vorwärtsgedrängt. Wie oft bemerkten
^r, wenn wir aufbrechen wollten und diesen oder jenen, den wir nicht sahen,
herbeiriefen, nach einigem Suchen, daß er durch die Kälte getödtet war!

Daß unter diesen Umständen an kein ordnungsmäßiges Marschiren mehr
5N denken war, ist natürlich. Eine aus allerlei Nationen gemischte Masse, jäm¬
merlich anzusehen, war es, die sich unter beständigen Verlusten auf einem wilden




. *) Vgl. Theuß a. a. O. S. 21. und Segnr, Geschichte Napoleons und der großen
M'nec im Jahre 1312, übersetzt von Kottenwinp, S. 43" fig.
**
) Vgl. die bestätigenden Berichte anderer Augenzeugen: Pfuhl, Darstellung der denk-
würdigsten europäischen Weltereignisse von 1789 an (Memmingen, 1324), Bd. 6, S. 412.
^!N>r a. n. O, S. 4ö3 fig. Theuß a. a. O. S. 13 fig.

holz befand. Während die Carabiniers zurückkehrten, war er schnell davon
gefahren.*)

Am anderen Morgen rückten auch wir den Berg hinan und mußten,' auf
der Höhe angelangt, Halt machen, indem es hieß: Die AiAncls g.russ, richtiger
„die kranke Armee", würde kommen. Sie kam wirklich. Nur einige Bataillone
hatten noch Gewehre, die anderen aber glichen einer zerstreuten Schafheerde;
in alte Gewänder gehüllt, zum Theil auch in Meßgewänder gekleidet, manche
an dein einen Fuße einen sont, am anderen einen steifen Stiefel, mit einem
Sporn, trieben sie sich im schrecklichsten Zustande vorwärts. Nur wenige von
der alten Garde kamen noch in Reihe und Glied mit Gewehren.*'")

Da wir einige Stunden da gestanden hatten und die kranke Armee dnrch-
Passirt war, folgten uns die Russen auf dem Fuße nach und schössen mit Kar¬
tätschen unter uns. Um die nacheilenden Feinde an der schnellen Verfolgung
durch die Stadt zu hindern, hatte die noch bewaffnete alte Garde den Ort in
Brand gesteckt, so daß er auf allen Seiten brannte und die verfolgenden Russen
nicht durchzukommen vermochten. Aber das hinderte sie am Nachsetzen nicht.
Sie suchten sich durch den Schnee Wege um die Stadt herum, eilten uns immer
nach, und wir mußten uns halb erfroren vorwärts bewegen. Inzwischen brach
die Nacht ein. Wir bivouakirten auf der Straße, zündeten Feuer an und
wärmten uns, aber nicht lange, denn wir wurden durch Kanonenschüsse ver¬
trieben und immer weiter gejagt. In der Gegend, wo wir uns soeben befanden,
waren nicht viele Dörfer, sondern nur einzelne Häuser und Kirchen anzutreffen.
>in diese retirirten sich Offiziere mit Pferden, so daß sie gedrängt voll waren.
Auf und hinter Altären wurde gekocht. Die Truppen aber, die in diesen Räu¬
men nicht unterkommen konnten und einer Kälte von 27 Graden preisgegeben
waren, zündeten, sich daran zu wärmen, ein Haus nach dein anderen an, nach¬
dem die Bewohner genöthigt worden waren, es zu verlassen. Obgleich wir,
ganz ermüdet, der Ruhe dringend bedurften, konnten wir ihrer doch wegen der
gräßlichen Kälte nicht lange genießen; durch diese sowie durch die uns verfol¬
genden Kanonen wurden wir immer vorwärtsgedrängt. Wie oft bemerkten
^r, wenn wir aufbrechen wollten und diesen oder jenen, den wir nicht sahen,
herbeiriefen, nach einigem Suchen, daß er durch die Kälte getödtet war!

Daß unter diesen Umständen an kein ordnungsmäßiges Marschiren mehr
5N denken war, ist natürlich. Eine aus allerlei Nationen gemischte Masse, jäm¬
merlich anzusehen, war es, die sich unter beständigen Verlusten auf einem wilden




. *) Vgl. Theuß a. a. O. S. 21. und Segnr, Geschichte Napoleons und der großen
M'nec im Jahre 1312, übersetzt von Kottenwinp, S. 43» fig.
**
) Vgl. die bestätigenden Berichte anderer Augenzeugen: Pfuhl, Darstellung der denk-
würdigsten europäischen Weltereignisse von 1789 an (Memmingen, 1324), Bd. 6, S. 412.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/324>, abgerufen am 14.06.2024.