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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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la gekommen ist, und daß auch hier durchaus maßvoll vorgegangen worden
ist. Daß dies in der That der Fall ist, mag der Leser am einfachsten daraus
ersehen, daß der vorliegende Aussatz nach der berüchtigten neuen Ortho¬
graphie gedruckt ist. Sind die Unterschiede dieser Schreibweise wirklich so
tiefgehend, daß derjenige, der an sie gewöhnt ist, die Fähigkeit verliert, die nach
der alten Orthographie gedruckten Werke unserer Klassiker, Bibel und Gesang¬
buch zu lesen? Das sind phantastische Uebertreibungen, die nur dazu dienen,
das öffentliche Urteil zu verwirren und der ganzen Sache eine Wichtigkeit bei¬
zulegen, die sie nicht im entferntesten hat.

Ich habe bisher im wesentlichen nur von der preußischen Orthographie
gesprochen. Bekanntlich ist aber Bayern mit der Regelung der Rechtschrei¬
bung für die Schulen vorangegangen, auch Würtemberg hat vor einiger
Zeit seine Schulorthographie geregelt, und ebenso giebt es seit 1879 eine neue
österreichische Rechtschreibung. Von den kleineren deutschen Staaten haben
sich einige sofort der preußischen Orthographie angeschlossen, in Sachsen ist
noch keine Entscheidung getroffen, doch steht sicher zu erwarten, daß in kurzem
auch hier von feiten der obersten Schulbehörde eine Regelung erfolgen wird.
Diese Zersplitterung ist mit Recht lebhaft beklagt worden. Man hat sich ge¬
fragt, warum diese Angelegenheit, die aus der Initiative der verbündeten deut¬
schen Regierungen hervorgegangen ist, nicht von Reichswegen ihren Abschluß
gefunden hat. Allerdings find von feiten der Klerikalen und Konservativen
Kompetenz-Bedenken im Reichstage erhoben worden, aber mit gutem Grunde
hat diese der Staatsminister Hofmann im Namen der Reichsregierung zurück¬
gewiesen. Warum trotzdem von feiten des Reiches nichts geschehen ist, ent¬
zieht sich unserer Kenntnis. Sicherlich hätte eine Regelung der Orthographie
von dieser Seite in der öffentlichen Meinung keine solche Anfeindung gefunden.

Aber trotzdem, daß wir dies schon um der Einheitsidee willen lebhaft be¬
klagen, ist der Schade nicht fo groß. Denn wenn wir jetzt auch eine Reihe
verschiedener Orthographien haben, so stehen doch diese alle auf demselben Boden,
sie alle fußen mehr oder weniger auf dem Raumerschen Entwürfe und den
Beschlüssen der Orthographie-Konferenz. Daher find auch die Unterschiede,
namentlich zwischen der preußischen und der bayerischen, sehr gering, so gering,
daß der preußische Kultusminister ebenso wie sein Amtsgenosse in Bayern dein
Vorstande des Börsenvereins deutscher Buchhändler in Leipzig die Zusicherung
geben konnte, daß es für die Zulässigkeit von Schulbüchern zum Gebrauche
in Preußischen und bayerischen Schulen einerlei sei, nach welcher Orthographie
sie gedruckt würden.

Nichtsdestoweniger bleibt es ein dringender Wunsch aller Vaterlands-
freunde, daß auch über die wenigen verbleibenden Differenzpunkte uoch eine


la gekommen ist, und daß auch hier durchaus maßvoll vorgegangen worden
ist. Daß dies in der That der Fall ist, mag der Leser am einfachsten daraus
ersehen, daß der vorliegende Aussatz nach der berüchtigten neuen Ortho¬
graphie gedruckt ist. Sind die Unterschiede dieser Schreibweise wirklich so
tiefgehend, daß derjenige, der an sie gewöhnt ist, die Fähigkeit verliert, die nach
der alten Orthographie gedruckten Werke unserer Klassiker, Bibel und Gesang¬
buch zu lesen? Das sind phantastische Uebertreibungen, die nur dazu dienen,
das öffentliche Urteil zu verwirren und der ganzen Sache eine Wichtigkeit bei¬
zulegen, die sie nicht im entferntesten hat.

Ich habe bisher im wesentlichen nur von der preußischen Orthographie
gesprochen. Bekanntlich ist aber Bayern mit der Regelung der Rechtschrei¬
bung für die Schulen vorangegangen, auch Würtemberg hat vor einiger
Zeit seine Schulorthographie geregelt, und ebenso giebt es seit 1879 eine neue
österreichische Rechtschreibung. Von den kleineren deutschen Staaten haben
sich einige sofort der preußischen Orthographie angeschlossen, in Sachsen ist
noch keine Entscheidung getroffen, doch steht sicher zu erwarten, daß in kurzem
auch hier von feiten der obersten Schulbehörde eine Regelung erfolgen wird.
Diese Zersplitterung ist mit Recht lebhaft beklagt worden. Man hat sich ge¬
fragt, warum diese Angelegenheit, die aus der Initiative der verbündeten deut¬
schen Regierungen hervorgegangen ist, nicht von Reichswegen ihren Abschluß
gefunden hat. Allerdings find von feiten der Klerikalen und Konservativen
Kompetenz-Bedenken im Reichstage erhoben worden, aber mit gutem Grunde
hat diese der Staatsminister Hofmann im Namen der Reichsregierung zurück¬
gewiesen. Warum trotzdem von feiten des Reiches nichts geschehen ist, ent¬
zieht sich unserer Kenntnis. Sicherlich hätte eine Regelung der Orthographie
von dieser Seite in der öffentlichen Meinung keine solche Anfeindung gefunden.

Aber trotzdem, daß wir dies schon um der Einheitsidee willen lebhaft be¬
klagen, ist der Schade nicht fo groß. Denn wenn wir jetzt auch eine Reihe
verschiedener Orthographien haben, so stehen doch diese alle auf demselben Boden,
sie alle fußen mehr oder weniger auf dem Raumerschen Entwürfe und den
Beschlüssen der Orthographie-Konferenz. Daher find auch die Unterschiede,
namentlich zwischen der preußischen und der bayerischen, sehr gering, so gering,
daß der preußische Kultusminister ebenso wie sein Amtsgenosse in Bayern dein
Vorstande des Börsenvereins deutscher Buchhändler in Leipzig die Zusicherung
geben konnte, daß es für die Zulässigkeit von Schulbüchern zum Gebrauche
in Preußischen und bayerischen Schulen einerlei sei, nach welcher Orthographie
sie gedruckt würden.

Nichtsdestoweniger bleibt es ein dringender Wunsch aller Vaterlands-
freunde, daß auch über die wenigen verbleibenden Differenzpunkte uoch eine


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[0373] la gekommen ist, und daß auch hier durchaus maßvoll vorgegangen worden ist. Daß dies in der That der Fall ist, mag der Leser am einfachsten daraus ersehen, daß der vorliegende Aussatz nach der berüchtigten neuen Ortho¬ graphie gedruckt ist. Sind die Unterschiede dieser Schreibweise wirklich so tiefgehend, daß derjenige, der an sie gewöhnt ist, die Fähigkeit verliert, die nach der alten Orthographie gedruckten Werke unserer Klassiker, Bibel und Gesang¬ buch zu lesen? Das sind phantastische Uebertreibungen, die nur dazu dienen, das öffentliche Urteil zu verwirren und der ganzen Sache eine Wichtigkeit bei¬ zulegen, die sie nicht im entferntesten hat. Ich habe bisher im wesentlichen nur von der preußischen Orthographie gesprochen. Bekanntlich ist aber Bayern mit der Regelung der Rechtschrei¬ bung für die Schulen vorangegangen, auch Würtemberg hat vor einiger Zeit seine Schulorthographie geregelt, und ebenso giebt es seit 1879 eine neue österreichische Rechtschreibung. Von den kleineren deutschen Staaten haben sich einige sofort der preußischen Orthographie angeschlossen, in Sachsen ist noch keine Entscheidung getroffen, doch steht sicher zu erwarten, daß in kurzem auch hier von feiten der obersten Schulbehörde eine Regelung erfolgen wird. Diese Zersplitterung ist mit Recht lebhaft beklagt worden. Man hat sich ge¬ fragt, warum diese Angelegenheit, die aus der Initiative der verbündeten deut¬ schen Regierungen hervorgegangen ist, nicht von Reichswegen ihren Abschluß gefunden hat. Allerdings find von feiten der Klerikalen und Konservativen Kompetenz-Bedenken im Reichstage erhoben worden, aber mit gutem Grunde hat diese der Staatsminister Hofmann im Namen der Reichsregierung zurück¬ gewiesen. Warum trotzdem von feiten des Reiches nichts geschehen ist, ent¬ zieht sich unserer Kenntnis. Sicherlich hätte eine Regelung der Orthographie von dieser Seite in der öffentlichen Meinung keine solche Anfeindung gefunden. Aber trotzdem, daß wir dies schon um der Einheitsidee willen lebhaft be¬ klagen, ist der Schade nicht fo groß. Denn wenn wir jetzt auch eine Reihe verschiedener Orthographien haben, so stehen doch diese alle auf demselben Boden, sie alle fußen mehr oder weniger auf dem Raumerschen Entwürfe und den Beschlüssen der Orthographie-Konferenz. Daher find auch die Unterschiede, namentlich zwischen der preußischen und der bayerischen, sehr gering, so gering, daß der preußische Kultusminister ebenso wie sein Amtsgenosse in Bayern dein Vorstande des Börsenvereins deutscher Buchhändler in Leipzig die Zusicherung geben konnte, daß es für die Zulässigkeit von Schulbüchern zum Gebrauche in Preußischen und bayerischen Schulen einerlei sei, nach welcher Orthographie sie gedruckt würden. Nichtsdestoweniger bleibt es ein dringender Wunsch aller Vaterlands- freunde, daß auch über die wenigen verbleibenden Differenzpunkte uoch eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/373>, abgerufen am 26.05.2024.