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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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auf, schafft durch sie die herrlichste" Wasserstraßen mit gewaltigen Tiefen und
erhält sie Jahrtausende lang durch Verhinderung oder Verlangsamung ihres
Abflusses. Wenn freilich der Mensch nicht kommt und sich anschickt, die von der
Natur ihm gebotenen Schätze zu heben und zu benutze", wenn er ihr Wesen,
ihren Willen nicht begreift, dann zerstört sie ihre eigenen Werke wieder und
zwar mit denselben Mitteln, durch welche sie sie geschaffen hat. In jenen
Urzeiten gab es noch keine Kulturmenschen, welche die natürlichen Stau¬
wehre zu künstlichen Nadelwehren hätten umgestalten und die natürlichen Ab¬
flüsse der Seen durch Kammerschleusen hätten reguliren können, man bedürfte
noch keiner Stauarchen und Mühlengeriune, man hatte noch keine Schiffsgefäße
und darum keine Veranlassung' auf bereu Tiefgang Rücksicht zu nehmen, es gab
noch keine Menschenweisheit, welche die Weisheit der Natur erkennen und be¬
nutzen, freilich auch keine Menschenthorheit, welche sie hätte mißachten und ihre
Werke hätte zerstören können. So schwemmte die sich selbst überlassene Natur
die herrlichen Wasserbecken wieder zu, und von den unzähligen Seen des Rhein¬
gebietes blieben nur die heutigen Schweizerseen zurück. Der Bodensee, der im
4. Jahrhundert noch bis Rheineck reichte, ist seitdem um vier Kilometer zurück¬
gegangen. Den Brienzer und den Thuner See, welche früher eine einzige Wasser¬
fläche bildeten, trennt jetzt das fünf Kilometer lange und vier Kilometer breite
Schwemmland des Bodli mit Interlaken. Aber nicht nnr in der Schweiz
schreiten die An- und Ausschwemmungen der Wasserbecken und Wasserläufe
unaufhaltsam vorwärts, das Stromgebiet des Rheins in ganz Deutschland
zeigt überall ähnliche Verhältnisse. Eine Stromschnelle zwischen Rüdesheim
und Bingen staute den Rhein im 14. Jahrhundert noch um 2 ^ Mer. zu einem
See an, dessen Wasserspiegel etwa 7 Mer. über dem heutigen Bingerloch lag.
Da aber im 17. Jahrhundert Frankfurter Kaufleute in dieses Felsenriff eine
Spalte von etwa vier Mer. am rechtseitigen Ufer unweit Ehrenfels einbrechen
ließen und man in den Jahren 1830 bis 1832 diese Spalte auf 4? Mer. und
nach und nach heute bis aus 68 Mer. erweiterte, so senkte sich natürlich der
Wasserspiegel des damaligen Sees so sehr, daß heute bei Mittelwasser dessen
Höhe nur noch 1,50 Mer. über der Bingerlochsohle liegt. Die Wassertiefe des
Rheins hat man also in 400 Jahren um nahezu 5,50 Mer. geringer gemacht!
Im Interesse der Schifffahrt, die doch möglichsten Tiefgang der Schiffsgefäße
verlangt! OWoilo esse satiram non soribsrö.

Die Triebkraft des Wassers wächst mit seiner Menge und der Höhe seines
Gefälles. Die Tragkraft des Wassers wächst mit dem Tiefgang der Schiffsge¬
fäße. Das Maximum dieser Kräfte erreicht die Natur wie immer und überall
so auch hier durch das einfachste Mittel: Sie verzögert durch Stauung
die Geschwindigkeit des uiederfließenden Wassers.




auf, schafft durch sie die herrlichste« Wasserstraßen mit gewaltigen Tiefen und
erhält sie Jahrtausende lang durch Verhinderung oder Verlangsamung ihres
Abflusses. Wenn freilich der Mensch nicht kommt und sich anschickt, die von der
Natur ihm gebotenen Schätze zu heben und zu benutze», wenn er ihr Wesen,
ihren Willen nicht begreift, dann zerstört sie ihre eigenen Werke wieder und
zwar mit denselben Mitteln, durch welche sie sie geschaffen hat. In jenen
Urzeiten gab es noch keine Kulturmenschen, welche die natürlichen Stau¬
wehre zu künstlichen Nadelwehren hätten umgestalten und die natürlichen Ab¬
flüsse der Seen durch Kammerschleusen hätten reguliren können, man bedürfte
noch keiner Stauarchen und Mühlengeriune, man hatte noch keine Schiffsgefäße
und darum keine Veranlassung' auf bereu Tiefgang Rücksicht zu nehmen, es gab
noch keine Menschenweisheit, welche die Weisheit der Natur erkennen und be¬
nutzen, freilich auch keine Menschenthorheit, welche sie hätte mißachten und ihre
Werke hätte zerstören können. So schwemmte die sich selbst überlassene Natur
die herrlichen Wasserbecken wieder zu, und von den unzähligen Seen des Rhein¬
gebietes blieben nur die heutigen Schweizerseen zurück. Der Bodensee, der im
4. Jahrhundert noch bis Rheineck reichte, ist seitdem um vier Kilometer zurück¬
gegangen. Den Brienzer und den Thuner See, welche früher eine einzige Wasser¬
fläche bildeten, trennt jetzt das fünf Kilometer lange und vier Kilometer breite
Schwemmland des Bodli mit Interlaken. Aber nicht nnr in der Schweiz
schreiten die An- und Ausschwemmungen der Wasserbecken und Wasserläufe
unaufhaltsam vorwärts, das Stromgebiet des Rheins in ganz Deutschland
zeigt überall ähnliche Verhältnisse. Eine Stromschnelle zwischen Rüdesheim
und Bingen staute den Rhein im 14. Jahrhundert noch um 2 ^ Mer. zu einem
See an, dessen Wasserspiegel etwa 7 Mer. über dem heutigen Bingerloch lag.
Da aber im 17. Jahrhundert Frankfurter Kaufleute in dieses Felsenriff eine
Spalte von etwa vier Mer. am rechtseitigen Ufer unweit Ehrenfels einbrechen
ließen und man in den Jahren 1830 bis 1832 diese Spalte auf 4? Mer. und
nach und nach heute bis aus 68 Mer. erweiterte, so senkte sich natürlich der
Wasserspiegel des damaligen Sees so sehr, daß heute bei Mittelwasser dessen
Höhe nur noch 1,50 Mer. über der Bingerlochsohle liegt. Die Wassertiefe des
Rheins hat man also in 400 Jahren um nahezu 5,50 Mer. geringer gemacht!
Im Interesse der Schifffahrt, die doch möglichsten Tiefgang der Schiffsgefäße
verlangt! OWoilo esse satiram non soribsrö.

Die Triebkraft des Wassers wächst mit seiner Menge und der Höhe seines
Gefälles. Die Tragkraft des Wassers wächst mit dem Tiefgang der Schiffsge¬
fäße. Das Maximum dieser Kräfte erreicht die Natur wie immer und überall
so auch hier durch das einfachste Mittel: Sie verzögert durch Stauung
die Geschwindigkeit des uiederfließenden Wassers.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/48>, abgerufen am 22.05.2024.