Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Namen trägt, sowie von der versäumen Gruppe, welche im Hofe des Palazzo
Rondanini zu Rom aufgestellt und welche neuerdings recht überflüssiger Weise
in der Akademie zu Florenz im Abguß vertrete" ist, so müssen wir doch ver¬
weilen bei einem schönen Marmorrelief der Kirche des Albergo de' poveri zu
Genua, welches, freilich ohne sichere Gründe, auf Michel Angelo zurückgeführt
wird. Es hat die Form eines Medaillons und zeigt die Madonna mit dein
todten Heiland in Bruststück; erstere neigt das Haupt zu dem schönen Antlitz
des Sohnes herab, in welchem die Ruhe des Todes aufs edelste verklärt er¬
scheint; ihre Rechte stützt ihm das Haupt, während die Linke auf seiner Brust
ruht. Wir kennen das schöne Werk nicht aus eigener Anschauung, sondern nur
aus dem Gypsabguß; dennoch möchten wir in der strengen Behandlung des
Gesichts und der Gewandung der Maria ein Kriterium gegen die Urheberschaft
Michel Angelos erblicken").

Ein bezeugtes Werk des Künstlers dagegen ist die Pietü unter der Kuppel
des Florentiner Domes"*), an der er in der letzten Zeit seines Lebens, um
seine Mußestunden auszufüllen, arbeitete, die er jedoch, als der Marmor einen
Sprung zeigte, unvollendet liegen ließ. Hier sehen wir den todten Heiland von
dem hinter ihm stehenden Nikodemus (oder Joseph von Arimathia?) und den
neben ihm knieenden Gestalten der Mutter und einer der Marien gehalten ***).
-Die Schlaffheit der leblosen Glieder ist der Natur trefflich abgelauscht; von deu
übrigen unvollendeten Figuren fällt die links befindliche dnrch ihre unverhält-
nißmäßige Kleinheit auf. Jedenfalls ist das Lob, das Vasari der Gruppe als
einer oxsr" äivinÄ spendet, bei weitem zu überschwenglich.

Im wesentlichen bestimmt von der Pieta in S. Pietro ist die Gruppe von
Michel Angelos Schüler Montorsoli im Chor von S. Matteo zu Genua,
nur daß die linke Hand der Madonna, dem älteren Gebrauche entsprechend, auf
dem Körper des Todten ruht, während von dem Neapolitaner Domenico
d'Auria der von Michel Angelo gewählte Gestus der Maria, ebenso wie die
Lage des Leichnams, offenbar in bewußter Anlehnung an die Gruppe in S.
Pietro, in einem fleißig gearbeiteten Relief verwendet worden ist, welches sich
an einem Altar der Kirche S. Severino zu Neapel befindet. Auch die Marmor¬
gruppe des Jppolito Scalza im Dom von Orvieto (inschriftlich aus dem
Jahre 1579) lehnt sich in den beiden Hauptfiguren direct an Michel Angelos
berühmte Composition an.





Bei den Biographen des Künstlers sucht man umsonst Aufklärung über das Relief.
"*) V"8"ri en. I.hin. XII. 226; 247.
Hermann Grimm scheint die Gruppe entweder nicht an Ort und Stelle besichtigt
zu haben oder durch "die Dämmerung, die da herrscht" verhindert worden zu sein sie richtig
zu sehen, wenn er Band II, S> 406 seiner Biographie des Michel Angelo (S. Aufl.) von
"Christus todt im Schoße der Mutter und Joseph von Arimathia daneben" redet.

Namen trägt, sowie von der versäumen Gruppe, welche im Hofe des Palazzo
Rondanini zu Rom aufgestellt und welche neuerdings recht überflüssiger Weise
in der Akademie zu Florenz im Abguß vertrete» ist, so müssen wir doch ver¬
weilen bei einem schönen Marmorrelief der Kirche des Albergo de' poveri zu
Genua, welches, freilich ohne sichere Gründe, auf Michel Angelo zurückgeführt
wird. Es hat die Form eines Medaillons und zeigt die Madonna mit dein
todten Heiland in Bruststück; erstere neigt das Haupt zu dem schönen Antlitz
des Sohnes herab, in welchem die Ruhe des Todes aufs edelste verklärt er¬
scheint; ihre Rechte stützt ihm das Haupt, während die Linke auf seiner Brust
ruht. Wir kennen das schöne Werk nicht aus eigener Anschauung, sondern nur
aus dem Gypsabguß; dennoch möchten wir in der strengen Behandlung des
Gesichts und der Gewandung der Maria ein Kriterium gegen die Urheberschaft
Michel Angelos erblicken").

Ein bezeugtes Werk des Künstlers dagegen ist die Pietü unter der Kuppel
des Florentiner Domes"*), an der er in der letzten Zeit seines Lebens, um
seine Mußestunden auszufüllen, arbeitete, die er jedoch, als der Marmor einen
Sprung zeigte, unvollendet liegen ließ. Hier sehen wir den todten Heiland von
dem hinter ihm stehenden Nikodemus (oder Joseph von Arimathia?) und den
neben ihm knieenden Gestalten der Mutter und einer der Marien gehalten ***).
-Die Schlaffheit der leblosen Glieder ist der Natur trefflich abgelauscht; von deu
übrigen unvollendeten Figuren fällt die links befindliche dnrch ihre unverhält-
nißmäßige Kleinheit auf. Jedenfalls ist das Lob, das Vasari der Gruppe als
einer oxsr» äivinÄ spendet, bei weitem zu überschwenglich.

Im wesentlichen bestimmt von der Pieta in S. Pietro ist die Gruppe von
Michel Angelos Schüler Montorsoli im Chor von S. Matteo zu Genua,
nur daß die linke Hand der Madonna, dem älteren Gebrauche entsprechend, auf
dem Körper des Todten ruht, während von dem Neapolitaner Domenico
d'Auria der von Michel Angelo gewählte Gestus der Maria, ebenso wie die
Lage des Leichnams, offenbar in bewußter Anlehnung an die Gruppe in S.
Pietro, in einem fleißig gearbeiteten Relief verwendet worden ist, welches sich
an einem Altar der Kirche S. Severino zu Neapel befindet. Auch die Marmor¬
gruppe des Jppolito Scalza im Dom von Orvieto (inschriftlich aus dem
Jahre 1579) lehnt sich in den beiden Hauptfiguren direct an Michel Angelos
berühmte Composition an.





Bei den Biographen des Künstlers sucht man umsonst Aufklärung über das Relief.
»*) V»8»ri en. I.hin. XII. 226; 247.
Hermann Grimm scheint die Gruppe entweder nicht an Ort und Stelle besichtigt
zu haben oder durch „die Dämmerung, die da herrscht" verhindert worden zu sein sie richtig
zu sehen, wenn er Band II, S> 406 seiner Biographie des Michel Angelo (S. Aufl.) von
„Christus todt im Schoße der Mutter und Joseph von Arimathia daneben" redet.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0068" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147155"/>
          <p xml:id="ID_170" prev="#ID_169"> Namen trägt, sowie von der versäumen Gruppe, welche im Hofe des Palazzo<lb/>
Rondanini zu Rom aufgestellt und welche neuerdings recht überflüssiger Weise<lb/>
in der Akademie zu Florenz im Abguß vertrete» ist, so müssen wir doch ver¬<lb/>
weilen bei einem schönen Marmorrelief der Kirche des Albergo de' poveri zu<lb/>
Genua, welches, freilich ohne sichere Gründe, auf Michel Angelo zurückgeführt<lb/>
wird. Es hat die Form eines Medaillons und zeigt die Madonna mit dein<lb/>
todten Heiland in Bruststück; erstere neigt das Haupt zu dem schönen Antlitz<lb/>
des Sohnes herab, in welchem die Ruhe des Todes aufs edelste verklärt er¬<lb/>
scheint; ihre Rechte stützt ihm das Haupt, während die Linke auf seiner Brust<lb/>
ruht. Wir kennen das schöne Werk nicht aus eigener Anschauung, sondern nur<lb/>
aus dem Gypsabguß; dennoch möchten wir in der strengen Behandlung des<lb/>
Gesichts und der Gewandung der Maria ein Kriterium gegen die Urheberschaft<lb/>
Michel Angelos erblicken").</p><lb/>
          <p xml:id="ID_171"> Ein bezeugtes Werk des Künstlers dagegen ist die Pietü unter der Kuppel<lb/>
des Florentiner Domes"*), an der er in der letzten Zeit seines Lebens, um<lb/>
seine Mußestunden auszufüllen, arbeitete, die er jedoch, als der Marmor einen<lb/>
Sprung zeigte, unvollendet liegen ließ. Hier sehen wir den todten Heiland von<lb/>
dem hinter ihm stehenden Nikodemus (oder Joseph von Arimathia?) und den<lb/>
neben ihm knieenden Gestalten der Mutter und einer der Marien gehalten ***).<lb/>
-Die Schlaffheit der leblosen Glieder ist der Natur trefflich abgelauscht; von deu<lb/>
übrigen unvollendeten Figuren fällt die links befindliche dnrch ihre unverhält-<lb/>
nißmäßige Kleinheit auf. Jedenfalls ist das Lob, das Vasari der Gruppe als<lb/>
einer oxsr» äivinÄ spendet, bei weitem zu überschwenglich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_172"> Im wesentlichen bestimmt von der Pieta in S. Pietro ist die Gruppe von<lb/>
Michel Angelos Schüler Montorsoli im Chor von S. Matteo zu Genua,<lb/>
nur daß die linke Hand der Madonna, dem älteren Gebrauche entsprechend, auf<lb/>
dem Körper des Todten ruht, während von dem Neapolitaner Domenico<lb/>
d'Auria der von Michel Angelo gewählte Gestus der Maria, ebenso wie die<lb/>
Lage des Leichnams, offenbar in bewußter Anlehnung an die Gruppe in S.<lb/>
Pietro, in einem fleißig gearbeiteten Relief verwendet worden ist, welches sich<lb/>
an einem Altar der Kirche S. Severino zu Neapel befindet. Auch die Marmor¬<lb/>
gruppe des Jppolito Scalza im Dom von Orvieto (inschriftlich aus dem<lb/>
Jahre 1579) lehnt sich in den beiden Hauptfiguren direct an Michel Angelos<lb/>
berühmte Composition an.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_20" place="foot"> Bei den Biographen des Künstlers sucht man umsonst Aufklärung über das Relief.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_21" place="foot"> »*) V»8»ri en. I.hin. XII. 226; 247.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_22" place="foot"> Hermann Grimm scheint die Gruppe entweder nicht an Ort und Stelle besichtigt<lb/>
zu haben oder durch &#x201E;die Dämmerung, die da herrscht" verhindert worden zu sein sie richtig<lb/>
zu sehen, wenn er Band II, S&gt; 406 seiner Biographie des Michel Angelo (S. Aufl.) von<lb/>
&#x201E;Christus todt im Schoße der Mutter und Joseph von Arimathia daneben" redet.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0068] Namen trägt, sowie von der versäumen Gruppe, welche im Hofe des Palazzo Rondanini zu Rom aufgestellt und welche neuerdings recht überflüssiger Weise in der Akademie zu Florenz im Abguß vertrete» ist, so müssen wir doch ver¬ weilen bei einem schönen Marmorrelief der Kirche des Albergo de' poveri zu Genua, welches, freilich ohne sichere Gründe, auf Michel Angelo zurückgeführt wird. Es hat die Form eines Medaillons und zeigt die Madonna mit dein todten Heiland in Bruststück; erstere neigt das Haupt zu dem schönen Antlitz des Sohnes herab, in welchem die Ruhe des Todes aufs edelste verklärt er¬ scheint; ihre Rechte stützt ihm das Haupt, während die Linke auf seiner Brust ruht. Wir kennen das schöne Werk nicht aus eigener Anschauung, sondern nur aus dem Gypsabguß; dennoch möchten wir in der strengen Behandlung des Gesichts und der Gewandung der Maria ein Kriterium gegen die Urheberschaft Michel Angelos erblicken"). Ein bezeugtes Werk des Künstlers dagegen ist die Pietü unter der Kuppel des Florentiner Domes"*), an der er in der letzten Zeit seines Lebens, um seine Mußestunden auszufüllen, arbeitete, die er jedoch, als der Marmor einen Sprung zeigte, unvollendet liegen ließ. Hier sehen wir den todten Heiland von dem hinter ihm stehenden Nikodemus (oder Joseph von Arimathia?) und den neben ihm knieenden Gestalten der Mutter und einer der Marien gehalten ***). -Die Schlaffheit der leblosen Glieder ist der Natur trefflich abgelauscht; von deu übrigen unvollendeten Figuren fällt die links befindliche dnrch ihre unverhält- nißmäßige Kleinheit auf. Jedenfalls ist das Lob, das Vasari der Gruppe als einer oxsr» äivinÄ spendet, bei weitem zu überschwenglich. Im wesentlichen bestimmt von der Pieta in S. Pietro ist die Gruppe von Michel Angelos Schüler Montorsoli im Chor von S. Matteo zu Genua, nur daß die linke Hand der Madonna, dem älteren Gebrauche entsprechend, auf dem Körper des Todten ruht, während von dem Neapolitaner Domenico d'Auria der von Michel Angelo gewählte Gestus der Maria, ebenso wie die Lage des Leichnams, offenbar in bewußter Anlehnung an die Gruppe in S. Pietro, in einem fleißig gearbeiteten Relief verwendet worden ist, welches sich an einem Altar der Kirche S. Severino zu Neapel befindet. Auch die Marmor¬ gruppe des Jppolito Scalza im Dom von Orvieto (inschriftlich aus dem Jahre 1579) lehnt sich in den beiden Hauptfiguren direct an Michel Angelos berühmte Composition an. Bei den Biographen des Künstlers sucht man umsonst Aufklärung über das Relief. »*) V»8»ri en. I.hin. XII. 226; 247. Hermann Grimm scheint die Gruppe entweder nicht an Ort und Stelle besichtigt zu haben oder durch „die Dämmerung, die da herrscht" verhindert worden zu sein sie richtig zu sehen, wenn er Band II, S> 406 seiner Biographie des Michel Angelo (S. Aufl.) von „Christus todt im Schoße der Mutter und Joseph von Arimathia daneben" redet.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/68
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/68>, abgerufen am 17.05.2024.