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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Ehe wir die Florentiner Darstellungen der Pieta verlassen, mögen nnr noch
einige derselben erwähnt werden, die sich in compositioneller Hinsicht noch an
die eben besprochenen Arbeiten anreihen. Dahin gehört eine Darstellung des
Angelo Bronzino in der Sammlung der Uffizien (Ur. 158), ein figuren-
reiches Gemälde, das in der Hauptgruppe im allgemeinen das von Michel
Angelo gewählte Schema festhält, während der Künstler in einem anderen Ge¬
mälde (Ehb. Ur. 1209) der später in Aufnahme kommenden, besonders in
Bologna ausgebildeten Compositionsweise sich anschließt, in einer dritten Dar¬
stellung dagegen*) auf eine der ältesten zurückgreift, indem er die Madonna und
Magdalena hinter dem am Boden liegenden Leichnam, seine Glieder mit den
Händen berührend, knieen läßt. Noch Santi ti Tito (1538 -- 1603) legt
seinem Gemälde in der Akademie**) die durch Michel Angelo zum Abschluß ge¬
brachte Auffassung zu Grunde, folgt ihm auch in der Reduction der Größe des
Leichnams; in einer getuschten Skizze, die sich im Verbindungsgang zwischen
Uffizien und Pät. Pitti befindet, nimmt er außerdem noch bei Maria das Motiv
der linken Hand aus der Gruppe von Sanct Peter herüber.

Brechen wir nun mit den Florentiner Bearbeitungen des Gegenstandes ab,
um von den theils früheren, theils gleichzeitigen Arbeiten des übrigen Italiens
die hauptsächlichsten ins Auge zu fassen, und beginnen wir, einen Schritt zurück¬
gehend, mit Ferrara, das durch einen Meister des Quattrocento würdig ver¬
treten ist. Die Pieta des Cosimo Tura, ein im Museum Correr zu Venedig***)
aufbewahrtes Oelgemälde, ist ein wichtiges Glied in der gesammten Entwick¬
lungskette. Die auf dem Grabe sitzende Madonna hält den auf ihrem Schoße
ruhenden Leichnam mit der Rechten in halb aufrechter Stellung, während sie
mit der anderen Hand -- ein völlig originelles Motiv -- die Linke des Sohnes
ihrem Antlitz nähert und die Nägelmale derselben schmerzvoll betrachtet. In dem
Antlitz Christi ist das dem Tode vorausgegangene Physische Leiden mehr als
irgendwo sonst betont; die Anatomie des Körpers zeugt von den sorgfältigen
Studien des unter dem Einflüsse eines Squarcione und Mantegna stehenden
Künstlers, während sich andererseits eine so unverkennbare Verwandtschaft mit
der gleichzeitigen deutschen Kunst bemerklich macht, daß man beim ersten An¬
blick des Bildes geradezu einen Dürer vor sich zu haben meint. Dies beruht
einmal auf der entschiedenen Betonung des Charakteristischen, dem durchaus
nordischen Typus der Madonna und jener ZuMisÄ stronAtK, die Crowe und
Eavalcasellef) hervorheben, andererseits auf der harten und knitterigen Gewan¬
dung, für die sich in anderen gleichzeitigen italienischen Arbeiten kaum Analogien




^vokäsmis, actis I>sIIs arti, hrikäri ^rancli Ur. 102,
"*) L""ari xranc>i Ur. 100. -- ***) 1. Zimmer Ur. 9. -- f) Engl. Allsg. IV, 513.

Ehe wir die Florentiner Darstellungen der Pieta verlassen, mögen nnr noch
einige derselben erwähnt werden, die sich in compositioneller Hinsicht noch an
die eben besprochenen Arbeiten anreihen. Dahin gehört eine Darstellung des
Angelo Bronzino in der Sammlung der Uffizien (Ur. 158), ein figuren-
reiches Gemälde, das in der Hauptgruppe im allgemeinen das von Michel
Angelo gewählte Schema festhält, während der Künstler in einem anderen Ge¬
mälde (Ehb. Ur. 1209) der später in Aufnahme kommenden, besonders in
Bologna ausgebildeten Compositionsweise sich anschließt, in einer dritten Dar¬
stellung dagegen*) auf eine der ältesten zurückgreift, indem er die Madonna und
Magdalena hinter dem am Boden liegenden Leichnam, seine Glieder mit den
Händen berührend, knieen läßt. Noch Santi ti Tito (1538 — 1603) legt
seinem Gemälde in der Akademie**) die durch Michel Angelo zum Abschluß ge¬
brachte Auffassung zu Grunde, folgt ihm auch in der Reduction der Größe des
Leichnams; in einer getuschten Skizze, die sich im Verbindungsgang zwischen
Uffizien und Pät. Pitti befindet, nimmt er außerdem noch bei Maria das Motiv
der linken Hand aus der Gruppe von Sanct Peter herüber.

Brechen wir nun mit den Florentiner Bearbeitungen des Gegenstandes ab,
um von den theils früheren, theils gleichzeitigen Arbeiten des übrigen Italiens
die hauptsächlichsten ins Auge zu fassen, und beginnen wir, einen Schritt zurück¬
gehend, mit Ferrara, das durch einen Meister des Quattrocento würdig ver¬
treten ist. Die Pieta des Cosimo Tura, ein im Museum Correr zu Venedig***)
aufbewahrtes Oelgemälde, ist ein wichtiges Glied in der gesammten Entwick¬
lungskette. Die auf dem Grabe sitzende Madonna hält den auf ihrem Schoße
ruhenden Leichnam mit der Rechten in halb aufrechter Stellung, während sie
mit der anderen Hand — ein völlig originelles Motiv — die Linke des Sohnes
ihrem Antlitz nähert und die Nägelmale derselben schmerzvoll betrachtet. In dem
Antlitz Christi ist das dem Tode vorausgegangene Physische Leiden mehr als
irgendwo sonst betont; die Anatomie des Körpers zeugt von den sorgfältigen
Studien des unter dem Einflüsse eines Squarcione und Mantegna stehenden
Künstlers, während sich andererseits eine so unverkennbare Verwandtschaft mit
der gleichzeitigen deutschen Kunst bemerklich macht, daß man beim ersten An¬
blick des Bildes geradezu einen Dürer vor sich zu haben meint. Dies beruht
einmal auf der entschiedenen Betonung des Charakteristischen, dem durchaus
nordischen Typus der Madonna und jener ZuMisÄ stronAtK, die Crowe und
Eavalcasellef) hervorheben, andererseits auf der harten und knitterigen Gewan¬
dung, für die sich in anderen gleichzeitigen italienischen Arbeiten kaum Analogien




^vokäsmis, actis I>sIIs arti, hrikäri ^rancli Ur. 102,
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[0069] Ehe wir die Florentiner Darstellungen der Pieta verlassen, mögen nnr noch einige derselben erwähnt werden, die sich in compositioneller Hinsicht noch an die eben besprochenen Arbeiten anreihen. Dahin gehört eine Darstellung des Angelo Bronzino in der Sammlung der Uffizien (Ur. 158), ein figuren- reiches Gemälde, das in der Hauptgruppe im allgemeinen das von Michel Angelo gewählte Schema festhält, während der Künstler in einem anderen Ge¬ mälde (Ehb. Ur. 1209) der später in Aufnahme kommenden, besonders in Bologna ausgebildeten Compositionsweise sich anschließt, in einer dritten Dar¬ stellung dagegen*) auf eine der ältesten zurückgreift, indem er die Madonna und Magdalena hinter dem am Boden liegenden Leichnam, seine Glieder mit den Händen berührend, knieen läßt. Noch Santi ti Tito (1538 — 1603) legt seinem Gemälde in der Akademie**) die durch Michel Angelo zum Abschluß ge¬ brachte Auffassung zu Grunde, folgt ihm auch in der Reduction der Größe des Leichnams; in einer getuschten Skizze, die sich im Verbindungsgang zwischen Uffizien und Pät. Pitti befindet, nimmt er außerdem noch bei Maria das Motiv der linken Hand aus der Gruppe von Sanct Peter herüber. Brechen wir nun mit den Florentiner Bearbeitungen des Gegenstandes ab, um von den theils früheren, theils gleichzeitigen Arbeiten des übrigen Italiens die hauptsächlichsten ins Auge zu fassen, und beginnen wir, einen Schritt zurück¬ gehend, mit Ferrara, das durch einen Meister des Quattrocento würdig ver¬ treten ist. Die Pieta des Cosimo Tura, ein im Museum Correr zu Venedig***) aufbewahrtes Oelgemälde, ist ein wichtiges Glied in der gesammten Entwick¬ lungskette. Die auf dem Grabe sitzende Madonna hält den auf ihrem Schoße ruhenden Leichnam mit der Rechten in halb aufrechter Stellung, während sie mit der anderen Hand — ein völlig originelles Motiv — die Linke des Sohnes ihrem Antlitz nähert und die Nägelmale derselben schmerzvoll betrachtet. In dem Antlitz Christi ist das dem Tode vorausgegangene Physische Leiden mehr als irgendwo sonst betont; die Anatomie des Körpers zeugt von den sorgfältigen Studien des unter dem Einflüsse eines Squarcione und Mantegna stehenden Künstlers, während sich andererseits eine so unverkennbare Verwandtschaft mit der gleichzeitigen deutschen Kunst bemerklich macht, daß man beim ersten An¬ blick des Bildes geradezu einen Dürer vor sich zu haben meint. Dies beruht einmal auf der entschiedenen Betonung des Charakteristischen, dem durchaus nordischen Typus der Madonna und jener ZuMisÄ stronAtK, die Crowe und Eavalcasellef) hervorheben, andererseits auf der harten und knitterigen Gewan¬ dung, für die sich in anderen gleichzeitigen italienischen Arbeiten kaum Analogien ^vokäsmis, actis I>sIIs arti, hrikäri ^rancli Ur. 102, »*) L»»ari xranc>i Ur. 100. — ***) 1. Zimmer Ur. 9. — f) Engl. Allsg. IV, 513.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/69>, abgerufen am 13.06.2024.