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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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deren Forderungen ganz richtig sind, deren Begründung aber ein Haufe von Un¬
sinn ist. Da heißt es: "An der schweren Arbeit der großen Masse unsers Volkes
nimmt der Jude einen verschwindenden Antheil, allerwärts regt sich nur die
schwielige Hand des Christen." Als ob noch heute Christenname und Christen¬
thum zusammenfielen, als ob die Sache besser würde, wenn die Juden massen¬
haft zur Taufe veranlaßt würden. Als ob nicht der Sinn der antisemitischen
Bewegung, sofern sie nicht ein zielloses Wüthen und Dräuen ist, gegen das
Verfahren gerichtet wäre, dessen man mit Recht oder Unrecht den getauften
wie den ungetauften Semitismus in Handel und Wandel beschuldigt. Und
wenn das Uebel darin besteht, daß alle schwieligen Hände nur Christen gehören,
was helfen dagegen die Forderungen der Petition, die Juden von den autori¬
tativen Stellungen auszuschließen, den christlichen Charakter der Volksschule zu
wahren, die Einwanderung der Juden zu beschränken? Meint man, es werden
mehr Juden schwielige Hände bekommen, wenn sie weniger zahlreich einwandern?
Freilich enthält die Petition auch den kühnen Satz: "Wo Christ und Jude in
sociale Beziehung treten, sehen wir den Juden als Herrn, die angestammte
christliche Bevölkerung in dienstbarer Stellung." Wenn das wahr wäre, so
wäre die Bestimmung der Juden zum herrschenden Volke durch ein Gottes¬
urtheil besiegelt, während eine mehrtausendjährige Geschichte zeigt, daß die Juden
stets nur mit Mühe der Knechtschaft entgingen, stets wieder in dieselbe zurück¬
fielen. Wenn wir Deutschen, mit diesen Knechten in freie Berührung tretend,
sofort ihre Knechte werden müssen, so ist es unser Talent, dem wir nicht
widerstehen können, die Knechte der Knechte zu werden.

Lassen wir diese Uebertreibungen, welche der Verzagtheit und dem Aerger
entspringen. Die Forderungen dieser aufs übelste begründeten Petition lassen die
beste Begründung zu, aber diese kann nur in Ideen gegeben werden, zu denen
die Bildung der Herren Antisemiten sich nicht erheben kann.

Wenden wir uns zu den Gegnern der Antisemitenbewegung, so machen wir
die unerfreuliche Wahrnehmung, daß der Gegensatz auf dieser Seite nicht einen
Funken mehr Einsicht und mehr Wahrhaftigkeit zeigt. Da ist eine Gegenerklärung
veröffentlicht worden, unter der man sehr klangvolle Namen zusammengebracht
hat. Auch Herr Virchow hat sich der Erklärung angeschlossen, der Demokrat
einer Erklärung, die zunächst durch ihren antidemokratischen Charakter auffällt.
Da ist die Rede von der "Masse", welche aus der Predigt von Neid und Mi߬
gunst die praktischen Konsequenzen ziehen wird, da ist die Rede von dem "Haufen",
der in den Ruf nach Ausnahmegesetzen einstimmen wird. Was Herr Virchow
hier die "Masse" und den "Haufen" nennt, der alles zu begehen fähig sei, was
Herr Virchow für verwerflich hält, das nennt er ein ander Mal als Demokrat
das "Volk", dessen Weisheit im Staate die höchste Instanz bilden muß, dem


deren Forderungen ganz richtig sind, deren Begründung aber ein Haufe von Un¬
sinn ist. Da heißt es: „An der schweren Arbeit der großen Masse unsers Volkes
nimmt der Jude einen verschwindenden Antheil, allerwärts regt sich nur die
schwielige Hand des Christen." Als ob noch heute Christenname und Christen¬
thum zusammenfielen, als ob die Sache besser würde, wenn die Juden massen¬
haft zur Taufe veranlaßt würden. Als ob nicht der Sinn der antisemitischen
Bewegung, sofern sie nicht ein zielloses Wüthen und Dräuen ist, gegen das
Verfahren gerichtet wäre, dessen man mit Recht oder Unrecht den getauften
wie den ungetauften Semitismus in Handel und Wandel beschuldigt. Und
wenn das Uebel darin besteht, daß alle schwieligen Hände nur Christen gehören,
was helfen dagegen die Forderungen der Petition, die Juden von den autori¬
tativen Stellungen auszuschließen, den christlichen Charakter der Volksschule zu
wahren, die Einwanderung der Juden zu beschränken? Meint man, es werden
mehr Juden schwielige Hände bekommen, wenn sie weniger zahlreich einwandern?
Freilich enthält die Petition auch den kühnen Satz: „Wo Christ und Jude in
sociale Beziehung treten, sehen wir den Juden als Herrn, die angestammte
christliche Bevölkerung in dienstbarer Stellung." Wenn das wahr wäre, so
wäre die Bestimmung der Juden zum herrschenden Volke durch ein Gottes¬
urtheil besiegelt, während eine mehrtausendjährige Geschichte zeigt, daß die Juden
stets nur mit Mühe der Knechtschaft entgingen, stets wieder in dieselbe zurück¬
fielen. Wenn wir Deutschen, mit diesen Knechten in freie Berührung tretend,
sofort ihre Knechte werden müssen, so ist es unser Talent, dem wir nicht
widerstehen können, die Knechte der Knechte zu werden.

Lassen wir diese Uebertreibungen, welche der Verzagtheit und dem Aerger
entspringen. Die Forderungen dieser aufs übelste begründeten Petition lassen die
beste Begründung zu, aber diese kann nur in Ideen gegeben werden, zu denen
die Bildung der Herren Antisemiten sich nicht erheben kann.

Wenden wir uns zu den Gegnern der Antisemitenbewegung, so machen wir
die unerfreuliche Wahrnehmung, daß der Gegensatz auf dieser Seite nicht einen
Funken mehr Einsicht und mehr Wahrhaftigkeit zeigt. Da ist eine Gegenerklärung
veröffentlicht worden, unter der man sehr klangvolle Namen zusammengebracht
hat. Auch Herr Virchow hat sich der Erklärung angeschlossen, der Demokrat
einer Erklärung, die zunächst durch ihren antidemokratischen Charakter auffällt.
Da ist die Rede von der „Masse", welche aus der Predigt von Neid und Mi߬
gunst die praktischen Konsequenzen ziehen wird, da ist die Rede von dem „Haufen",
der in den Ruf nach Ausnahmegesetzen einstimmen wird. Was Herr Virchow
hier die „Masse" und den „Haufen" nennt, der alles zu begehen fähig sei, was
Herr Virchow für verwerflich hält, das nennt er ein ander Mal als Demokrat
das „Volk", dessen Weisheit im Staate die höchste Instanz bilden muß, dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/427>, abgerufen am 02.06.2024.