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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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denen der Armen unter ihnen, welche dieselben in Gestalt von Zehnten entrich¬
teten. Die großen Viehmäster, vergleichsweise reich, blieben so gut wie frei, und
fast die ganze Last fiel auf die Ackerbauer, Häusler, die oft nicht mehr als zehn
bis zwanzig Ruthen Kartoffellaud bebauten. Der zehnte Theil vom Ertrage des
letztern wurde diesen Unglücklichen in strengster Weise für einen Geistlichen ab¬
gefordert, der ihre Religion heftig anfeindete, den sie in vielen Fällen nie zu
Gesicht bekamen, und von dessen Amtshandlungen sie nicht den geringsten Nutzen
hatten. Da es dem Geistlichen schwer fiel, diese Abgaben selbst zu erheben, so
Pflegte er sie an Leute zu verpachten, die man Zehnteneintreiber nannte, und
die zu deu habgierigsten Gliedern des Gemeinwesens gehörten. Dieser Kartoffel¬
zehnte rief begreiflicherweise tiefen Groll hervor. Er wurde Ursache zu den
Freveln der "Whiteboys", die in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
im Süden Irlands vorkamen, und zu zahllosen Aufständen und Mordthaten in
den ersten drei Jahrzehnten des jetzigen, und man kann behaupten, daß vor
Ablösung dieser Abgabe (1838) die Staatskirche mit ihren Zehnten nächst dem
Strafcodex das Volk am meisten demoralisiert hat.

Doch war dies nur ein Theil des kirchlichen Systems. Der katholische
Cultus war von tief demüthigenden Beschränkungen umgeben. Das bloße Be¬
kenntniß zum katholischen Glauben schloß den Bekenner von jeder politischen
und municipalen Machtsphäre aus, von allen wissenschaftlich eil Berufsarten mit
Ausnahme der Medicin, fast von jeder Gelegenheit, sich Vermögen, Kenntnisse
und Einfluß zu erwerben. Es unterwarf ihn drückender Besteuerung, beraubte
ihn des Rechtes, fein Eigenthum "ach Belieben zu vererben und seine Familie
nach Gutdünken zu regieren, und setzte jeden Protestanten in den Stand, ihn
auf alle mögliche Weise zu belästigen und zu beleidigen.

Durch verschiedene Bestimmungen des strafender, waren die Katholiken
von den Erziehungsanstalten ihres Landes ausgeschlossen. Sie mußten ihre
Kinder ohne Unterricht lassen, wenn sie dieselben nicht in die "Charter schools"
schicken wollten, die nach ihrem Programme die Bestimmung hatten, "die Seele"
von Tausenden armer Kinder aus den Gefahren papistischen Aberglaubens und
Götzendienstes zu erretten." Diese Anstalten sollten allerdings auch gratis eine
allgemeine Erziehung und eine industrielle Ausbildung gewähren, die Knaben zu
Handwerkern in die Lehre bringen und den Mädchen Dienststellen verschaffen,
und damit hätten sie Irlands Regeneration fördern können. Aber unerläßliche
Bedingung war zur Aufnahme in dieselben Einwilligung der Eltern in eine
protestantische Erziehung ihrer Kinder, und so wurde von diesen Anstalten von
den irischen Armen, so groß auch ihre Liebe zum Wissen war, nur in Zeiten
der Noth Gebrauch gemacht, und es ist zweifelhaft, ob sie jemals 2000 Zög¬
linge gehabt haben.


denen der Armen unter ihnen, welche dieselben in Gestalt von Zehnten entrich¬
teten. Die großen Viehmäster, vergleichsweise reich, blieben so gut wie frei, und
fast die ganze Last fiel auf die Ackerbauer, Häusler, die oft nicht mehr als zehn
bis zwanzig Ruthen Kartoffellaud bebauten. Der zehnte Theil vom Ertrage des
letztern wurde diesen Unglücklichen in strengster Weise für einen Geistlichen ab¬
gefordert, der ihre Religion heftig anfeindete, den sie in vielen Fällen nie zu
Gesicht bekamen, und von dessen Amtshandlungen sie nicht den geringsten Nutzen
hatten. Da es dem Geistlichen schwer fiel, diese Abgaben selbst zu erheben, so
Pflegte er sie an Leute zu verpachten, die man Zehnteneintreiber nannte, und
die zu deu habgierigsten Gliedern des Gemeinwesens gehörten. Dieser Kartoffel¬
zehnte rief begreiflicherweise tiefen Groll hervor. Er wurde Ursache zu den
Freveln der „Whiteboys", die in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
im Süden Irlands vorkamen, und zu zahllosen Aufständen und Mordthaten in
den ersten drei Jahrzehnten des jetzigen, und man kann behaupten, daß vor
Ablösung dieser Abgabe (1838) die Staatskirche mit ihren Zehnten nächst dem
Strafcodex das Volk am meisten demoralisiert hat.

Doch war dies nur ein Theil des kirchlichen Systems. Der katholische
Cultus war von tief demüthigenden Beschränkungen umgeben. Das bloße Be¬
kenntniß zum katholischen Glauben schloß den Bekenner von jeder politischen
und municipalen Machtsphäre aus, von allen wissenschaftlich eil Berufsarten mit
Ausnahme der Medicin, fast von jeder Gelegenheit, sich Vermögen, Kenntnisse
und Einfluß zu erwerben. Es unterwarf ihn drückender Besteuerung, beraubte
ihn des Rechtes, fein Eigenthum «ach Belieben zu vererben und seine Familie
nach Gutdünken zu regieren, und setzte jeden Protestanten in den Stand, ihn
auf alle mögliche Weise zu belästigen und zu beleidigen.

Durch verschiedene Bestimmungen des strafender, waren die Katholiken
von den Erziehungsanstalten ihres Landes ausgeschlossen. Sie mußten ihre
Kinder ohne Unterricht lassen, wenn sie dieselben nicht in die „Charter schools"
schicken wollten, die nach ihrem Programme die Bestimmung hatten, „die Seele»
von Tausenden armer Kinder aus den Gefahren papistischen Aberglaubens und
Götzendienstes zu erretten." Diese Anstalten sollten allerdings auch gratis eine
allgemeine Erziehung und eine industrielle Ausbildung gewähren, die Knaben zu
Handwerkern in die Lehre bringen und den Mädchen Dienststellen verschaffen,
und damit hätten sie Irlands Regeneration fördern können. Aber unerläßliche
Bedingung war zur Aufnahme in dieselben Einwilligung der Eltern in eine
protestantische Erziehung ihrer Kinder, und so wurde von diesen Anstalten von
den irischen Armen, so groß auch ihre Liebe zum Wissen war, nur in Zeiten
der Noth Gebrauch gemacht, und es ist zweifelhaft, ob sie jemals 2000 Zög¬
linge gehabt haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/527>, abgerufen am 10.06.2024.