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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Das vergangene Jahr,

Bundesrathe am 22. Januar zugekommene kaiserliche Antrag auf Abänderung
des Neichsmilitärgesetzes von 1874 verlangte Erhöhung der Kriegsbereitschaft
durch Erweiterung des Rahmens der Armee und durch Vermehrung der Zahl
der ausgebildeten Mannschaften. Daß es nicht die Aussicht auf die Erschwe¬
rung der Militärlast durch Verstärkung des deutschen Friedensheeres war, wenn
auch Verständige durch den Antrag auf einen Augenblick verstimmt und be¬
ängstigt wurden, lag auf der Hand; denn nicht ganz 26000 Mann Soldaten
mehr hatten nicht gerade viel zu bedeuten. Aber man fragte sich, wo die Grenze
der Rüstungen liege, in welchen die Staaten einander überboten, und man sah
diese Grenze nur in absoluter Erschöpfung der finanziellen Mittel. Es klang
nicht uneben, wenn es wie ein Axiom hingestellt wurde, wie auf die beideu
schlesischen Kriege der siebenjährige gefolgt sei, so werde denen von 1866 und
1870 noch ein Weltkrieg folgen, da die Staaten, die mit der Schöpfung des
deutscheu Reiches ihre Interessen beeinträchtigt sähen, noch nicht an dessen Festig¬
keit allen Combinationen gegenüber glaubten. Das Bündniß Deutschlands mit
Oesterreich-Ungarn hatte diese Befürchtung wesentlich gemindert. Aber immer¬
hin war davon ein Nest geblieben, und derselbe ist auch jetzt uicht ganz ge¬
schwunden, wenn auch die Ereignisse des letzten Jahres die Aussichten auf die
Fortdauer friedlichen Einvernehmens der maßgebenden Mächte weiter verstärkt
haben. Der Antrag vom 22. Januar ging übrigens im Reichstage wie im
Bundesrathe durch, natürlich nicht ohne vorher von den oppositionellen Parteien
des erstem lebhaft bekämpft worden zu sein, "ut der Reichskanzler hatte sich
eines neuen großen Erfolges in seiner innern Politik zu erfreuen. Ein schwerer
Conflict zwischen der Krone und dem Reichstage hatte wie vor dem Militärge¬
setze von 1874 gedroht. Wie damals hatte jene, um den Streit ein für alle¬
mal loszuwerden, ein eisernes Militärbudget gewünscht, während dieser sein ver¬
fassungsmäßiges Bewilligungsrecht zäh festhielt. Das letzte Mal faud der Kanzler
aus diesem Dilemma einen Ausweg durch Verstärkung der Armee, die dort als
Aequivalent befriedigte, und hier annehmbarer befunden wurde als ein Verzicht
auf jenes Recht.

Auch das Socialistengesetz ging trotz des Wiedersprnchs der liberalen Dok¬
trinäre im Reichstage durch. Die Hauptaufgabe des Reichstags in der zweiten
Hälfte der Session, welche in der Berathung der neuen Steuer-Gesetzentwürfe
bestand, blieb unerledigt, und so wird sie die Reichstagsabgeordneten in diesem
Jahre von neuem beschäftigen. Denn Fürst Bismarck wird seinen Plan, die
indirecten Einnahmen des Reichs auf eine Höhe zu bringen, welche Beseitigung
der Klassen-, Beschränkung der Einkommen- und gänzliche oder theilweise Ueber-
lassung der Grundsteuer an die Gemeinden ermöglicht, nicht fallen lassen, und wenn
die Mehrheit der Volksvertretung ihm die zu jenem Zwecke vorgeschlagnen und noch


Das vergangene Jahr,

Bundesrathe am 22. Januar zugekommene kaiserliche Antrag auf Abänderung
des Neichsmilitärgesetzes von 1874 verlangte Erhöhung der Kriegsbereitschaft
durch Erweiterung des Rahmens der Armee und durch Vermehrung der Zahl
der ausgebildeten Mannschaften. Daß es nicht die Aussicht auf die Erschwe¬
rung der Militärlast durch Verstärkung des deutschen Friedensheeres war, wenn
auch Verständige durch den Antrag auf einen Augenblick verstimmt und be¬
ängstigt wurden, lag auf der Hand; denn nicht ganz 26000 Mann Soldaten
mehr hatten nicht gerade viel zu bedeuten. Aber man fragte sich, wo die Grenze
der Rüstungen liege, in welchen die Staaten einander überboten, und man sah
diese Grenze nur in absoluter Erschöpfung der finanziellen Mittel. Es klang
nicht uneben, wenn es wie ein Axiom hingestellt wurde, wie auf die beideu
schlesischen Kriege der siebenjährige gefolgt sei, so werde denen von 1866 und
1870 noch ein Weltkrieg folgen, da die Staaten, die mit der Schöpfung des
deutscheu Reiches ihre Interessen beeinträchtigt sähen, noch nicht an dessen Festig¬
keit allen Combinationen gegenüber glaubten. Das Bündniß Deutschlands mit
Oesterreich-Ungarn hatte diese Befürchtung wesentlich gemindert. Aber immer¬
hin war davon ein Nest geblieben, und derselbe ist auch jetzt uicht ganz ge¬
schwunden, wenn auch die Ereignisse des letzten Jahres die Aussichten auf die
Fortdauer friedlichen Einvernehmens der maßgebenden Mächte weiter verstärkt
haben. Der Antrag vom 22. Januar ging übrigens im Reichstage wie im
Bundesrathe durch, natürlich nicht ohne vorher von den oppositionellen Parteien
des erstem lebhaft bekämpft worden zu sein, »ut der Reichskanzler hatte sich
eines neuen großen Erfolges in seiner innern Politik zu erfreuen. Ein schwerer
Conflict zwischen der Krone und dem Reichstage hatte wie vor dem Militärge¬
setze von 1874 gedroht. Wie damals hatte jene, um den Streit ein für alle¬
mal loszuwerden, ein eisernes Militärbudget gewünscht, während dieser sein ver¬
fassungsmäßiges Bewilligungsrecht zäh festhielt. Das letzte Mal faud der Kanzler
aus diesem Dilemma einen Ausweg durch Verstärkung der Armee, die dort als
Aequivalent befriedigte, und hier annehmbarer befunden wurde als ein Verzicht
auf jenes Recht.

Auch das Socialistengesetz ging trotz des Wiedersprnchs der liberalen Dok¬
trinäre im Reichstage durch. Die Hauptaufgabe des Reichstags in der zweiten
Hälfte der Session, welche in der Berathung der neuen Steuer-Gesetzentwürfe
bestand, blieb unerledigt, und so wird sie die Reichstagsabgeordneten in diesem
Jahre von neuem beschäftigen. Denn Fürst Bismarck wird seinen Plan, die
indirecten Einnahmen des Reichs auf eine Höhe zu bringen, welche Beseitigung
der Klassen-, Beschränkung der Einkommen- und gänzliche oder theilweise Ueber-
lassung der Grundsteuer an die Gemeinden ermöglicht, nicht fallen lassen, und wenn
die Mehrheit der Volksvertretung ihm die zu jenem Zwecke vorgeschlagnen und noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/10>, abgerufen am 14.05.2024.