Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Das vergangene Jahr.

lich war, daß er letzteres mit aller der Entschiedenheit that, welche seine Stellung
zuließ, und daß man von ihm bestätigen hörte, was Eingeweihte immer ange¬
nommen hatten, daß nämlich die Regierung auch jetzt nicht daran denkt, die
Grundlagen der Maigesetzgebung zu beseitigen, und daß sie auf neue Verhand¬
lungen Mit dem Vatican nicht eher wieder einzugehen entschlossen ist, als bis
jener wirklich guten Willen zeigt, sich dem, was der Staat verlangen und fest¬
halten muß, ohne Hintergedanken und Einschränkungen anzubequemen.

Durch die Juden- und die Culturkampfsdebatte aufgehalten, sind wichtigere
Dinge bis zu der Zeit, wo die Abgeordneten ihre Weihnachtsferien antreten,
nicht zur Erledigung gelangt. Man hat den Etat bis auf die mit den Steuer¬
fragen zusammenhängenden Theile in zweiter Lesung berathen, und einige andere
Gegenstände vou Bedeutung sind in den Commissionen des Hauses soweit ge¬
fördert, daß sie unmittelbar nach dem Wiederbeginn der Arbeiten zur zweiten
Lesung gelangen können. Aber dennoch ist noch ein sehr umfangreiches Material
zu bewältigen. In den Commissionen ruhen noch die Verwaltnngsvorlagen,
von denen das Zustündigkeitsgesetz für das Plenum fertig und die Kreisord¬
nungsnovelle in Angriff genommen ist, während es sich sehr fragt, ob die drei
neuen Provinzialordnungen für Posen, Hannover und Schleswig-Holstein in dieser
Session noch zu Stande kommen werden. Ferner harren noch der Erledigung
die Secundürbahnvorlage, die Vorlage wegen Erhöhung der Lehrerwitwen-Pen¬
sionen, das Gesetz über Errichtung von Eisenbahnräthen, das zu wirthschaftlicher
Hebung Oberschlesiens bestimmte und das Schlachthausgesetz. Endlich aber wird
das Haus sich im neuen Jahre mit dem noch zu erwartende" Steuerreformgesetze
zu beschäftigen haben, und hier werdeu die Parteien besonders hart aneinander
gerathen.

Wenden wir uns mit unserm Rückblicke noch einen Moment dem Auslande
zu, so waren es vornehmlich drei Fragen, die uns in dem ablaufenden Jahre
lebhaft beschäftigten.

In Frankreich trat infolge des auch hier tobenden Culturkampfes, in
welchem das Ministerium Freycinet nicht so energisch vorgehen wollte, als Gam-
betta und seine Partei nicht mit Unrecht wünschten, ein neues Cabinet auf die
Bühne, das aber die auswärtige Politik und namentlich die Stellung Frank¬
reichs zu Deutschland nicht änderte und dem Wunsche des Landes "ach Erhal¬
tung des Weltfriedens entschieden Rechnung zu tragen bemüht war.

In England mußte infolge des Ausfalls der Wahlen zum Parlamente die
conservative Partei einer Combination von Liberalen und Radicalen das Staats¬
ruder überlassen, die in Betreff der türkischen Frage zuerst ziemlich feindselig
gegen die Pforte und Oesterreich-Ungarn auftrat und starke Neigung verrieth,
sich mit Rußland zu verständigen und die "Befreiung" der Balkanvölker zu


Grenzboten I. 1881. 2
Das vergangene Jahr.

lich war, daß er letzteres mit aller der Entschiedenheit that, welche seine Stellung
zuließ, und daß man von ihm bestätigen hörte, was Eingeweihte immer ange¬
nommen hatten, daß nämlich die Regierung auch jetzt nicht daran denkt, die
Grundlagen der Maigesetzgebung zu beseitigen, und daß sie auf neue Verhand¬
lungen Mit dem Vatican nicht eher wieder einzugehen entschlossen ist, als bis
jener wirklich guten Willen zeigt, sich dem, was der Staat verlangen und fest¬
halten muß, ohne Hintergedanken und Einschränkungen anzubequemen.

Durch die Juden- und die Culturkampfsdebatte aufgehalten, sind wichtigere
Dinge bis zu der Zeit, wo die Abgeordneten ihre Weihnachtsferien antreten,
nicht zur Erledigung gelangt. Man hat den Etat bis auf die mit den Steuer¬
fragen zusammenhängenden Theile in zweiter Lesung berathen, und einige andere
Gegenstände vou Bedeutung sind in den Commissionen des Hauses soweit ge¬
fördert, daß sie unmittelbar nach dem Wiederbeginn der Arbeiten zur zweiten
Lesung gelangen können. Aber dennoch ist noch ein sehr umfangreiches Material
zu bewältigen. In den Commissionen ruhen noch die Verwaltnngsvorlagen,
von denen das Zustündigkeitsgesetz für das Plenum fertig und die Kreisord¬
nungsnovelle in Angriff genommen ist, während es sich sehr fragt, ob die drei
neuen Provinzialordnungen für Posen, Hannover und Schleswig-Holstein in dieser
Session noch zu Stande kommen werden. Ferner harren noch der Erledigung
die Secundürbahnvorlage, die Vorlage wegen Erhöhung der Lehrerwitwen-Pen¬
sionen, das Gesetz über Errichtung von Eisenbahnräthen, das zu wirthschaftlicher
Hebung Oberschlesiens bestimmte und das Schlachthausgesetz. Endlich aber wird
das Haus sich im neuen Jahre mit dem noch zu erwartende» Steuerreformgesetze
zu beschäftigen haben, und hier werdeu die Parteien besonders hart aneinander
gerathen.

Wenden wir uns mit unserm Rückblicke noch einen Moment dem Auslande
zu, so waren es vornehmlich drei Fragen, die uns in dem ablaufenden Jahre
lebhaft beschäftigten.

In Frankreich trat infolge des auch hier tobenden Culturkampfes, in
welchem das Ministerium Freycinet nicht so energisch vorgehen wollte, als Gam-
betta und seine Partei nicht mit Unrecht wünschten, ein neues Cabinet auf die
Bühne, das aber die auswärtige Politik und namentlich die Stellung Frank¬
reichs zu Deutschland nicht änderte und dem Wunsche des Landes «ach Erhal¬
tung des Weltfriedens entschieden Rechnung zu tragen bemüht war.

In England mußte infolge des Ausfalls der Wahlen zum Parlamente die
conservative Partei einer Combination von Liberalen und Radicalen das Staats¬
ruder überlassen, die in Betreff der türkischen Frage zuerst ziemlich feindselig
gegen die Pforte und Oesterreich-Ungarn auftrat und starke Neigung verrieth,
sich mit Rußland zu verständigen und die „Befreiung" der Balkanvölker zu


Grenzboten I. 1881. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149001"/>
          <fw type="header" place="top"> Das vergangene Jahr.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_25" prev="#ID_24"> lich war, daß er letzteres mit aller der Entschiedenheit that, welche seine Stellung<lb/>
zuließ, und daß man von ihm bestätigen hörte, was Eingeweihte immer ange¬<lb/>
nommen hatten, daß nämlich die Regierung auch jetzt nicht daran denkt, die<lb/>
Grundlagen der Maigesetzgebung zu beseitigen, und daß sie auf neue Verhand¬<lb/>
lungen Mit dem Vatican nicht eher wieder einzugehen entschlossen ist, als bis<lb/>
jener wirklich guten Willen zeigt, sich dem, was der Staat verlangen und fest¬<lb/>
halten muß, ohne Hintergedanken und Einschränkungen anzubequemen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_26"> Durch die Juden- und die Culturkampfsdebatte aufgehalten, sind wichtigere<lb/>
Dinge bis zu der Zeit, wo die Abgeordneten ihre Weihnachtsferien antreten,<lb/>
nicht zur Erledigung gelangt. Man hat den Etat bis auf die mit den Steuer¬<lb/>
fragen zusammenhängenden Theile in zweiter Lesung berathen, und einige andere<lb/>
Gegenstände vou Bedeutung sind in den Commissionen des Hauses soweit ge¬<lb/>
fördert, daß sie unmittelbar nach dem Wiederbeginn der Arbeiten zur zweiten<lb/>
Lesung gelangen können. Aber dennoch ist noch ein sehr umfangreiches Material<lb/>
zu bewältigen. In den Commissionen ruhen noch die Verwaltnngsvorlagen,<lb/>
von denen das Zustündigkeitsgesetz für das Plenum fertig und die Kreisord¬<lb/>
nungsnovelle in Angriff genommen ist, während es sich sehr fragt, ob die drei<lb/>
neuen Provinzialordnungen für Posen, Hannover und Schleswig-Holstein in dieser<lb/>
Session noch zu Stande kommen werden. Ferner harren noch der Erledigung<lb/>
die Secundürbahnvorlage, die Vorlage wegen Erhöhung der Lehrerwitwen-Pen¬<lb/>
sionen, das Gesetz über Errichtung von Eisenbahnräthen, das zu wirthschaftlicher<lb/>
Hebung Oberschlesiens bestimmte und das Schlachthausgesetz. Endlich aber wird<lb/>
das Haus sich im neuen Jahre mit dem noch zu erwartende» Steuerreformgesetze<lb/>
zu beschäftigen haben, und hier werdeu die Parteien besonders hart aneinander<lb/>
gerathen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_27"> Wenden wir uns mit unserm Rückblicke noch einen Moment dem Auslande<lb/>
zu, so waren es vornehmlich drei Fragen, die uns in dem ablaufenden Jahre<lb/>
lebhaft beschäftigten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_28"> In Frankreich trat infolge des auch hier tobenden Culturkampfes, in<lb/>
welchem das Ministerium Freycinet nicht so energisch vorgehen wollte, als Gam-<lb/>
betta und seine Partei nicht mit Unrecht wünschten, ein neues Cabinet auf die<lb/>
Bühne, das aber die auswärtige Politik und namentlich die Stellung Frank¬<lb/>
reichs zu Deutschland nicht änderte und dem Wunsche des Landes «ach Erhal¬<lb/>
tung des Weltfriedens entschieden Rechnung zu tragen bemüht war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_29" next="#ID_30"> In England mußte infolge des Ausfalls der Wahlen zum Parlamente die<lb/>
conservative Partei einer Combination von Liberalen und Radicalen das Staats¬<lb/>
ruder überlassen, die in Betreff der türkischen Frage zuerst ziemlich feindselig<lb/>
gegen die Pforte und Oesterreich-Ungarn auftrat und starke Neigung verrieth,<lb/>
sich mit Rußland zu verständigen und die &#x201E;Befreiung" der Balkanvölker zu</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1881. 2</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] Das vergangene Jahr. lich war, daß er letzteres mit aller der Entschiedenheit that, welche seine Stellung zuließ, und daß man von ihm bestätigen hörte, was Eingeweihte immer ange¬ nommen hatten, daß nämlich die Regierung auch jetzt nicht daran denkt, die Grundlagen der Maigesetzgebung zu beseitigen, und daß sie auf neue Verhand¬ lungen Mit dem Vatican nicht eher wieder einzugehen entschlossen ist, als bis jener wirklich guten Willen zeigt, sich dem, was der Staat verlangen und fest¬ halten muß, ohne Hintergedanken und Einschränkungen anzubequemen. Durch die Juden- und die Culturkampfsdebatte aufgehalten, sind wichtigere Dinge bis zu der Zeit, wo die Abgeordneten ihre Weihnachtsferien antreten, nicht zur Erledigung gelangt. Man hat den Etat bis auf die mit den Steuer¬ fragen zusammenhängenden Theile in zweiter Lesung berathen, und einige andere Gegenstände vou Bedeutung sind in den Commissionen des Hauses soweit ge¬ fördert, daß sie unmittelbar nach dem Wiederbeginn der Arbeiten zur zweiten Lesung gelangen können. Aber dennoch ist noch ein sehr umfangreiches Material zu bewältigen. In den Commissionen ruhen noch die Verwaltnngsvorlagen, von denen das Zustündigkeitsgesetz für das Plenum fertig und die Kreisord¬ nungsnovelle in Angriff genommen ist, während es sich sehr fragt, ob die drei neuen Provinzialordnungen für Posen, Hannover und Schleswig-Holstein in dieser Session noch zu Stande kommen werden. Ferner harren noch der Erledigung die Secundürbahnvorlage, die Vorlage wegen Erhöhung der Lehrerwitwen-Pen¬ sionen, das Gesetz über Errichtung von Eisenbahnräthen, das zu wirthschaftlicher Hebung Oberschlesiens bestimmte und das Schlachthausgesetz. Endlich aber wird das Haus sich im neuen Jahre mit dem noch zu erwartende» Steuerreformgesetze zu beschäftigen haben, und hier werdeu die Parteien besonders hart aneinander gerathen. Wenden wir uns mit unserm Rückblicke noch einen Moment dem Auslande zu, so waren es vornehmlich drei Fragen, die uns in dem ablaufenden Jahre lebhaft beschäftigten. In Frankreich trat infolge des auch hier tobenden Culturkampfes, in welchem das Ministerium Freycinet nicht so energisch vorgehen wollte, als Gam- betta und seine Partei nicht mit Unrecht wünschten, ein neues Cabinet auf die Bühne, das aber die auswärtige Politik und namentlich die Stellung Frank¬ reichs zu Deutschland nicht änderte und dem Wunsche des Landes «ach Erhal¬ tung des Weltfriedens entschieden Rechnung zu tragen bemüht war. In England mußte infolge des Ausfalls der Wahlen zum Parlamente die conservative Partei einer Combination von Liberalen und Radicalen das Staats¬ ruder überlassen, die in Betreff der türkischen Frage zuerst ziemlich feindselig gegen die Pforte und Oesterreich-Ungarn auftrat und starke Neigung verrieth, sich mit Rußland zu verständigen und die „Befreiung" der Balkanvölker zu Grenzboten I. 1881. 2

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/17>, abgerufen am 15.05.2024.