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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Der Pm'lamcnwrismus in Liigland.

Das ist aber augenscheinlich nicht die Hauptsache. Diese liegt vielmehr
darin, daß uns hier ein Kenner und Mitwirkender Blicke in das Treiben thun
läßt, welches man das parlamentarische Leben Englands genannt hat. Dieses
Leben ist von den deutschen Liberalen viel gepriesen und als Muster behandelt
wurden, dem wir nachzustreben hätten. Hier aber werden wir gewahr, daß der
Parlamentarismus, wie er sich in den letzten Jahrhunderten jenseits des Kanals
entwickelt hat, jenes Lob sehr wenig verdient. Er und die sich auf seinem Ge¬
biet und mit seinen Apparaten bekämpfenden Parteien riechen merklich nach
Fäulniß. Es wird einem beim Durchlesen der Episoden des Buches nicht selten
zu Muthe, als ob man den Anfang zu einer Wiederholung der politischen und
Culturzustände der römischen Kaisergeschichte vor sich hätte, nur ist der Ver¬
fasser der Schilderungen kein Tacitus, vielmehr scheint er das, was er erzählt,
für natürlich und selbstverständlich zu betrachten. Von Anfang bis zu Eude
und sast überall, wohin wir dem Romane folgen, kaum eine Spur von patrio¬
tischem Geist und Streben, fast nirgends ein ideales Ziel, allenhalben nackter,
kalter Egoismus, in allen Beziehungen Patronage, Cliquenwesen, Nepotismus,
Protection der ärgsten Art, Hnmbug und Heuchelei der häßlichsten Sorte, Jagd
nach materiellem Gewinn, Ehrgeiz ohne ein anderes Princip als das, den Neben-
buhlern den Rang abzulaufen, und unter den bewegenden Elementen dieser
corrupten Welt eine Weiberherrschaft, die in vielen Beziehungen die Hauptrolle
spielt und ebenso grenelhaft als lächerlich ist.

Manche werden an der Wahrheit dieses Bildes zweifeln, manche davon
überrascht sein. Wir empfinden weder Zweifel noch Ueberraschung. Es ist ein
Roman, der uns das alles schildert und erzählt, aber er beruht auf Wahrheit,
er führt nur aus und ergänzt, was uns Lothar Bucher schon vor fünfund¬
zwanzig Jahren in seiner Schrift: "Der Parlamentarismus, wie er ist"
mit anatomischer Deutlichkeit und einer Fülle von Beispielen in glänzender Weise
auseinandergesetzt hat. Das Buch war eine Entgegnung auf die unbedingten
Lobpreisungen, die damals die englische Gesetzgebung und Verwaltung fast in
allen Kreisen der deutschen Politiker erfuhr, und die sich mit der ebenso unbe¬
dingten Forderung verband, dieselben unsern Verhältnissen und Zuständen auf¬
zupfropfen. Es war insofern ein zeitgemäßes Unternehmen, und es hat mit
seinem zwingenden Scharfsinn und seiner ehrlichen Gründlichkeit, mit denen sich
der Verfasser den erstell politischen Schriftstellern der Neuzeit anreihte, offenbar
gewirkt und bei denen, die lernen wollten, manches Vorurtheil zerstört. Aber
bis heilte noch blieben mehr als genug Leute übrig, die von der Mode ge¬
wordenen Anbetung vor dem fremden Götzen nicht lassen konnten und immer
und immer wieder ihre Sehnsucht "ach Beglückung mit seiner Herrschaft äußerten,


Der Pm'lamcnwrismus in Liigland.

Das ist aber augenscheinlich nicht die Hauptsache. Diese liegt vielmehr
darin, daß uns hier ein Kenner und Mitwirkender Blicke in das Treiben thun
läßt, welches man das parlamentarische Leben Englands genannt hat. Dieses
Leben ist von den deutschen Liberalen viel gepriesen und als Muster behandelt
wurden, dem wir nachzustreben hätten. Hier aber werden wir gewahr, daß der
Parlamentarismus, wie er sich in den letzten Jahrhunderten jenseits des Kanals
entwickelt hat, jenes Lob sehr wenig verdient. Er und die sich auf seinem Ge¬
biet und mit seinen Apparaten bekämpfenden Parteien riechen merklich nach
Fäulniß. Es wird einem beim Durchlesen der Episoden des Buches nicht selten
zu Muthe, als ob man den Anfang zu einer Wiederholung der politischen und
Culturzustände der römischen Kaisergeschichte vor sich hätte, nur ist der Ver¬
fasser der Schilderungen kein Tacitus, vielmehr scheint er das, was er erzählt,
für natürlich und selbstverständlich zu betrachten. Von Anfang bis zu Eude
und sast überall, wohin wir dem Romane folgen, kaum eine Spur von patrio¬
tischem Geist und Streben, fast nirgends ein ideales Ziel, allenhalben nackter,
kalter Egoismus, in allen Beziehungen Patronage, Cliquenwesen, Nepotismus,
Protection der ärgsten Art, Hnmbug und Heuchelei der häßlichsten Sorte, Jagd
nach materiellem Gewinn, Ehrgeiz ohne ein anderes Princip als das, den Neben-
buhlern den Rang abzulaufen, und unter den bewegenden Elementen dieser
corrupten Welt eine Weiberherrschaft, die in vielen Beziehungen die Hauptrolle
spielt und ebenso grenelhaft als lächerlich ist.

Manche werden an der Wahrheit dieses Bildes zweifeln, manche davon
überrascht sein. Wir empfinden weder Zweifel noch Ueberraschung. Es ist ein
Roman, der uns das alles schildert und erzählt, aber er beruht auf Wahrheit,
er führt nur aus und ergänzt, was uns Lothar Bucher schon vor fünfund¬
zwanzig Jahren in seiner Schrift: „Der Parlamentarismus, wie er ist"
mit anatomischer Deutlichkeit und einer Fülle von Beispielen in glänzender Weise
auseinandergesetzt hat. Das Buch war eine Entgegnung auf die unbedingten
Lobpreisungen, die damals die englische Gesetzgebung und Verwaltung fast in
allen Kreisen der deutschen Politiker erfuhr, und die sich mit der ebenso unbe¬
dingten Forderung verband, dieselben unsern Verhältnissen und Zuständen auf¬
zupfropfen. Es war insofern ein zeitgemäßes Unternehmen, und es hat mit
seinem zwingenden Scharfsinn und seiner ehrlichen Gründlichkeit, mit denen sich
der Verfasser den erstell politischen Schriftstellern der Neuzeit anreihte, offenbar
gewirkt und bei denen, die lernen wollten, manches Vorurtheil zerstört. Aber
bis heilte noch blieben mehr als genug Leute übrig, die von der Mode ge¬
wordenen Anbetung vor dem fremden Götzen nicht lassen konnten und immer
und immer wieder ihre Sehnsucht »ach Beglückung mit seiner Herrschaft äußerten,


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[0194] Der Pm'lamcnwrismus in Liigland. Das ist aber augenscheinlich nicht die Hauptsache. Diese liegt vielmehr darin, daß uns hier ein Kenner und Mitwirkender Blicke in das Treiben thun läßt, welches man das parlamentarische Leben Englands genannt hat. Dieses Leben ist von den deutschen Liberalen viel gepriesen und als Muster behandelt wurden, dem wir nachzustreben hätten. Hier aber werden wir gewahr, daß der Parlamentarismus, wie er sich in den letzten Jahrhunderten jenseits des Kanals entwickelt hat, jenes Lob sehr wenig verdient. Er und die sich auf seinem Ge¬ biet und mit seinen Apparaten bekämpfenden Parteien riechen merklich nach Fäulniß. Es wird einem beim Durchlesen der Episoden des Buches nicht selten zu Muthe, als ob man den Anfang zu einer Wiederholung der politischen und Culturzustände der römischen Kaisergeschichte vor sich hätte, nur ist der Ver¬ fasser der Schilderungen kein Tacitus, vielmehr scheint er das, was er erzählt, für natürlich und selbstverständlich zu betrachten. Von Anfang bis zu Eude und sast überall, wohin wir dem Romane folgen, kaum eine Spur von patrio¬ tischem Geist und Streben, fast nirgends ein ideales Ziel, allenhalben nackter, kalter Egoismus, in allen Beziehungen Patronage, Cliquenwesen, Nepotismus, Protection der ärgsten Art, Hnmbug und Heuchelei der häßlichsten Sorte, Jagd nach materiellem Gewinn, Ehrgeiz ohne ein anderes Princip als das, den Neben- buhlern den Rang abzulaufen, und unter den bewegenden Elementen dieser corrupten Welt eine Weiberherrschaft, die in vielen Beziehungen die Hauptrolle spielt und ebenso grenelhaft als lächerlich ist. Manche werden an der Wahrheit dieses Bildes zweifeln, manche davon überrascht sein. Wir empfinden weder Zweifel noch Ueberraschung. Es ist ein Roman, der uns das alles schildert und erzählt, aber er beruht auf Wahrheit, er führt nur aus und ergänzt, was uns Lothar Bucher schon vor fünfund¬ zwanzig Jahren in seiner Schrift: „Der Parlamentarismus, wie er ist" mit anatomischer Deutlichkeit und einer Fülle von Beispielen in glänzender Weise auseinandergesetzt hat. Das Buch war eine Entgegnung auf die unbedingten Lobpreisungen, die damals die englische Gesetzgebung und Verwaltung fast in allen Kreisen der deutschen Politiker erfuhr, und die sich mit der ebenso unbe¬ dingten Forderung verband, dieselben unsern Verhältnissen und Zuständen auf¬ zupfropfen. Es war insofern ein zeitgemäßes Unternehmen, und es hat mit seinem zwingenden Scharfsinn und seiner ehrlichen Gründlichkeit, mit denen sich der Verfasser den erstell politischen Schriftstellern der Neuzeit anreihte, offenbar gewirkt und bei denen, die lernen wollten, manches Vorurtheil zerstört. Aber bis heilte noch blieben mehr als genug Leute übrig, die von der Mode ge¬ wordenen Anbetung vor dem fremden Götzen nicht lassen konnten und immer und immer wieder ihre Sehnsucht »ach Beglückung mit seiner Herrschaft äußerten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/194>, abgerufen am 15.05.2024.