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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Julius Mosen.

rungen," welche diese Sammlung eröffnen, noch die kurze, zuverlässige Biogra¬
phie, die sie abschließt, ein hinreichend deutliches Bild der besondern Anlagen,
Antriebe, literarischen und politischen Zeiteiuwirkungeu gewähren, unter denen
der Dichter des Liedes von "Andreas Hofer" erwachsen ist. Mosers eigene
frische "Erinnerungen" reichen über die Knabentage nicht hinaus, und ihre Fort¬
setzung ist durch die tückische Krankheit, welche seine letzten zweiundzwanzig
Lebensjahre trübte, verhindert worden. Moseus Sohn aber, der die Neuher¬
ausgabe der Werke pietätvoll geleitet hat, mochte weder zum Panegyriker noch
zum Kritiker der Entwicklung des Vaters werden. So bleibt das detaillierte
farbenvolle Lebensbild, welches Mosen verdient hat, noch auszuführen.

Soweit die "Erinnerungen" gediehen sind, geben sie ein interessantes Stück
Jugendleben und bezeugen anch ihrerseits den seinen Natursinn und die leben¬
dige, frische Beobachtungsgabe des Dichters. Julius Mosen war am 8. Juli
1803 als der Sohn des Dorfschullehrers Johann Gottlob Mosen zu Marieuei
im sächsischen Vogtlande geboren. Sein Heimatdorf liegt mitten zwischen den
kleinen vogtländischen Städten Schöneck, Markneukirchen, Adorf und Oelsuitz.
"Mit meinen Landsleuten," erzählen die Erinnerungen, "habe ich immer die An¬
hänglichkeit an die heimatliche Erde des Vogtlandes gemeinsam gehabt. Wie
es Menschen giebt, von welchen man, hat man sie einmal liebgewonnen, nie
wieder lassen kann, so geht es uns auch mit Ortschaften und Gegenden. Es
sind gewöhnlich solche, in denen sich eine bestimmte Gemüthsstimmung ausdrückt.
Zu diesen gehört das vogtländische Hügelland an der Abdachung des sächsischen
Erzgebirges mit seinen Waldeinsamkeiten, in welche gar schmale Wiesenthäler,
oft nur wie grüne Streifen, mit hier und dort weit, gar weit auseinander lie¬
genden kleinen verirrten Häusern sich hineinverlieren und stundenweit den Blick
nach sich ziehen, als müßte dort weit hinten in der Ferne unter den harztro¬
pfenden Tannen, dort wo die Berge terrassenartig in dunkler Bläue emporsteigen,
irgend ein Geheimniß verborgen sein, das uns an sich lockt und sich uns gern
enthüllen möchte." Der melancholisch-träumerische Charakter dieses Waldhügel¬
landes hat auf die Entwicklung und Grundstimmung Mosers entschiedenen Ein¬
fluß geübt: die Natnrseligkeit und Waldromantik, welche in seiner Lyrik so
schlicht-schöne und ergreifende Laute findet, stammt aus den heimatlichen Forsten
und Thalgründen. Unter den Menschen, die seine Jugend umgaben, fanden
sich, wie damals in jedem abgeschiedenen Winkel Deutschlands, wunderliche
Originale mit starker Lebenslust; Mosers eigner Großvater, der Kirchschnllehrer
von Arnoldsgrün, scheint eines der seltsamsten und wunderlichsten gewesen zu
sein. Die Eindrücke aus dieser kleinen Welt machten Mosen für die besondere
Richtung der romantischen Poesie empfänglich: was an dieser wahr, echt, leben-


Julius Mosen.

rungen," welche diese Sammlung eröffnen, noch die kurze, zuverlässige Biogra¬
phie, die sie abschließt, ein hinreichend deutliches Bild der besondern Anlagen,
Antriebe, literarischen und politischen Zeiteiuwirkungeu gewähren, unter denen
der Dichter des Liedes von „Andreas Hofer" erwachsen ist. Mosers eigene
frische „Erinnerungen" reichen über die Knabentage nicht hinaus, und ihre Fort¬
setzung ist durch die tückische Krankheit, welche seine letzten zweiundzwanzig
Lebensjahre trübte, verhindert worden. Moseus Sohn aber, der die Neuher¬
ausgabe der Werke pietätvoll geleitet hat, mochte weder zum Panegyriker noch
zum Kritiker der Entwicklung des Vaters werden. So bleibt das detaillierte
farbenvolle Lebensbild, welches Mosen verdient hat, noch auszuführen.

Soweit die „Erinnerungen" gediehen sind, geben sie ein interessantes Stück
Jugendleben und bezeugen anch ihrerseits den seinen Natursinn und die leben¬
dige, frische Beobachtungsgabe des Dichters. Julius Mosen war am 8. Juli
1803 als der Sohn des Dorfschullehrers Johann Gottlob Mosen zu Marieuei
im sächsischen Vogtlande geboren. Sein Heimatdorf liegt mitten zwischen den
kleinen vogtländischen Städten Schöneck, Markneukirchen, Adorf und Oelsuitz.
„Mit meinen Landsleuten," erzählen die Erinnerungen, „habe ich immer die An¬
hänglichkeit an die heimatliche Erde des Vogtlandes gemeinsam gehabt. Wie
es Menschen giebt, von welchen man, hat man sie einmal liebgewonnen, nie
wieder lassen kann, so geht es uns auch mit Ortschaften und Gegenden. Es
sind gewöhnlich solche, in denen sich eine bestimmte Gemüthsstimmung ausdrückt.
Zu diesen gehört das vogtländische Hügelland an der Abdachung des sächsischen
Erzgebirges mit seinen Waldeinsamkeiten, in welche gar schmale Wiesenthäler,
oft nur wie grüne Streifen, mit hier und dort weit, gar weit auseinander lie¬
genden kleinen verirrten Häusern sich hineinverlieren und stundenweit den Blick
nach sich ziehen, als müßte dort weit hinten in der Ferne unter den harztro¬
pfenden Tannen, dort wo die Berge terrassenartig in dunkler Bläue emporsteigen,
irgend ein Geheimniß verborgen sein, das uns an sich lockt und sich uns gern
enthüllen möchte." Der melancholisch-träumerische Charakter dieses Waldhügel¬
landes hat auf die Entwicklung und Grundstimmung Mosers entschiedenen Ein¬
fluß geübt: die Natnrseligkeit und Waldromantik, welche in seiner Lyrik so
schlicht-schöne und ergreifende Laute findet, stammt aus den heimatlichen Forsten
und Thalgründen. Unter den Menschen, die seine Jugend umgaben, fanden
sich, wie damals in jedem abgeschiedenen Winkel Deutschlands, wunderliche
Originale mit starker Lebenslust; Mosers eigner Großvater, der Kirchschnllehrer
von Arnoldsgrün, scheint eines der seltsamsten und wunderlichsten gewesen zu
sein. Die Eindrücke aus dieser kleinen Welt machten Mosen für die besondere
Richtung der romantischen Poesie empfänglich: was an dieser wahr, echt, leben-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/20>, abgerufen am 15.05.2024.