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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Julius Mosen.

entquollen und volksthümlich geheißen werden durfte, traf mit des werdenden
Poeten jugendlichen Erfahrungen und den an sie geknüpften Träumen zusammen.

Mosers Vater, dessen Bildung über seine Stellung weit hinausgeragt
haben muß, trug den Zwang und die Enge seiner Verhältnisse nnr mit Un¬
geduld und sandte den begabten ältesten, wie zwei jüngere Söhne auf das Gym¬
nasium nach Planen, um ihnen die Möglichkeit einer bedeutenderen Laufbahn
zu eröffnen. Ueber die Gymnasialtage des Dichters sind wir durch keine nähere
Mittheilung unterrichtet. Die biographische Skizze Reinhard Mosers hebt nur
hervor, daß Julius Mosen damals schon poetische Versuche gemacht und dem
Vater zur Beurtheilung vorgelegt habe. Einsichtig und treffend warnte ihn der
tüchtige Mann vor zu frühem gewaltsamen Hervorrufen der poetischen Stim¬
mung: "Ist der Miner zugefroren, so gehet ja nicht auf das Eis ihn aufzu-
eisen. Ist er aber aufgethaut, so schlürft dann und wann ein Tröpflein aus
seiner Quelle, um eure Geister aufzufrischen; Schöpfet aber um Bragurs und
Baldurs Willen nicht mit Wassereimern daraus. Wer Mißbrauch mit diesem
heiligen Wasser treibt, der muß das Zuviel einst wieder ausweinen."

Da sich Mosen für das Studium der Rechte entschieden hatte, so bezog er
1822 die Universität Jena. Von Haus aus hatte ihm sein Vater hierzu nur
spärliche Beihilfe gewähren können; als dieser vollends im Jahre 1823 starb,
"ward die Fortsetzung der juristischen Studien zweifelhaft", und der Dichter
lernte früh die Noth und den bittersten Ernst des Lebens kennen. Gleichwohl
war er, wenn schon in jugendlich unreifer Weise, eben damals seines poetischen
Talents gewiß geworden, hatte durch dasselbe in den Kreisen seiner studenti¬
schen Freunde Aufmerksamkeit und Erwartungen erregt und sich auch die Theil¬
nahme hervorragender, geistig und gesellschaftlich hochstehender Müuuer erworben.
Zu diesen zählte sein vogtländischer Landsmann der Philolog und Aesthetiker
Ferdinand Hand (in dessen Hause Mosen einige Zeit zubrachte), der Philolog
Göttling, der alte Freund Goethes Knebel, welcher damals in Jena lebte und
sich Empfänglichkeit für jugendliche Bestrebungen bewahrt hatte, Johann Diet¬
rich Gries, der Uebersetzer der Dichtungen Ariosts, Tassos und Calderons. Die
Anregungen, welche Mosen aus diesem lebendigen Verkehr und aus der Lite¬
ratur des Tages empfing, trieben ihn zu größern poetischen Versuchen; bereits
1825 erschien in Jena eine Novelle des jugendlichen Dichters, "Der Gang zum
Brunnen," ein Erstlingswerk, aus welchem die Neuausgabe der Werke die
Stanzen der Widmung und eine kleine Phantasie "Frühlingstraum" mittheilt.
Beide Bruchstücke verrathen, daß eine romantisch-unbestimmte Sehnsucht nach
poetischem Leben das Herz des Jünglings erfüllte. In dieser Sehnsucht mochte
der Plan, Italien zu sehen und große Welteindrücke aufzunehmen, in der Seele
des dürftigen Studenten zuerst Gestalt gewinnen.


Julius Mosen.

entquollen und volksthümlich geheißen werden durfte, traf mit des werdenden
Poeten jugendlichen Erfahrungen und den an sie geknüpften Träumen zusammen.

Mosers Vater, dessen Bildung über seine Stellung weit hinausgeragt
haben muß, trug den Zwang und die Enge seiner Verhältnisse nnr mit Un¬
geduld und sandte den begabten ältesten, wie zwei jüngere Söhne auf das Gym¬
nasium nach Planen, um ihnen die Möglichkeit einer bedeutenderen Laufbahn
zu eröffnen. Ueber die Gymnasialtage des Dichters sind wir durch keine nähere
Mittheilung unterrichtet. Die biographische Skizze Reinhard Mosers hebt nur
hervor, daß Julius Mosen damals schon poetische Versuche gemacht und dem
Vater zur Beurtheilung vorgelegt habe. Einsichtig und treffend warnte ihn der
tüchtige Mann vor zu frühem gewaltsamen Hervorrufen der poetischen Stim¬
mung: „Ist der Miner zugefroren, so gehet ja nicht auf das Eis ihn aufzu-
eisen. Ist er aber aufgethaut, so schlürft dann und wann ein Tröpflein aus
seiner Quelle, um eure Geister aufzufrischen; Schöpfet aber um Bragurs und
Baldurs Willen nicht mit Wassereimern daraus. Wer Mißbrauch mit diesem
heiligen Wasser treibt, der muß das Zuviel einst wieder ausweinen."

Da sich Mosen für das Studium der Rechte entschieden hatte, so bezog er
1822 die Universität Jena. Von Haus aus hatte ihm sein Vater hierzu nur
spärliche Beihilfe gewähren können; als dieser vollends im Jahre 1823 starb,
„ward die Fortsetzung der juristischen Studien zweifelhaft", und der Dichter
lernte früh die Noth und den bittersten Ernst des Lebens kennen. Gleichwohl
war er, wenn schon in jugendlich unreifer Weise, eben damals seines poetischen
Talents gewiß geworden, hatte durch dasselbe in den Kreisen seiner studenti¬
schen Freunde Aufmerksamkeit und Erwartungen erregt und sich auch die Theil¬
nahme hervorragender, geistig und gesellschaftlich hochstehender Müuuer erworben.
Zu diesen zählte sein vogtländischer Landsmann der Philolog und Aesthetiker
Ferdinand Hand (in dessen Hause Mosen einige Zeit zubrachte), der Philolog
Göttling, der alte Freund Goethes Knebel, welcher damals in Jena lebte und
sich Empfänglichkeit für jugendliche Bestrebungen bewahrt hatte, Johann Diet¬
rich Gries, der Uebersetzer der Dichtungen Ariosts, Tassos und Calderons. Die
Anregungen, welche Mosen aus diesem lebendigen Verkehr und aus der Lite¬
ratur des Tages empfing, trieben ihn zu größern poetischen Versuchen; bereits
1825 erschien in Jena eine Novelle des jugendlichen Dichters, „Der Gang zum
Brunnen," ein Erstlingswerk, aus welchem die Neuausgabe der Werke die
Stanzen der Widmung und eine kleine Phantasie „Frühlingstraum" mittheilt.
Beide Bruchstücke verrathen, daß eine romantisch-unbestimmte Sehnsucht nach
poetischem Leben das Herz des Jünglings erfüllte. In dieser Sehnsucht mochte
der Plan, Italien zu sehen und große Welteindrücke aufzunehmen, in der Seele
des dürftigen Studenten zuerst Gestalt gewinnen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/21>, abgerufen am 15.05.2024.