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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Julius Mosen,

des Stoffes zu seiner epischen Dichtung "Ritter Wahn." Mosen selbst berichtete
über deren Entstehung in einem spätern Briefe an Ludwig Tieck: "Wie ich mit
meinem Freunde Dr. Kluge von Perugia nach Arezzo reiste, lockte uns die
Wiß- und Neubegierde von Cumoccia hinauf nach Cortona. Dort war eben
Jahrmarkt, und alles ging bunt durcheinander. Als wir über den Marktplatz
gingen, sahen wir, wie es in Italien so häufig geschieht, eine Meuge Menschen
um einen Mandolinenspieler herumstehen. Wir hörten ihm zu, und etliche
Strophen gefielen mir so, daß ich die ganze Mähr gern gewußt hätte. Ich
nahm mir den Mann mit in den Gasthof und ließ mir die ottavs riiris in die
Feder dictieren. Ich ward von dieser Volkssage so innerlich bewegt, daß der
Gedanke mir keine Ruhe mehr ließ, diesen schönen Stoff zu benutzen und aus¬
zuarbeiten." Mosers Rückreise ward sonach in der glücklichsten Stimmung an¬
getreten, die es für den Schaffenden giebt: erfüllt von poetischen Vorstellungen
und im Vorgefühl baldiger gestaltender Arbeit. Es scheint, daß der Dichter
sich zunächst nach seiner Heimat begab und zwischen den beschneiten vogtländi-
schen Tannenwäldern im Winter von 1826 zu 1827 das Werk vollendete,
welches sür jeden Urtheilsscihigen sein echt poetisches, ebenso frisches als aus¬
giebiges Talent außer Zweifel stellte.

Es liegt nahe, daß der jugendliche Dichter damals von raschen Ehren und
Siegen auf der künstlerischen Laufbahn träumte, umsomehr als er von den
Früchten seiner poetischen Arbeit auch eine Besserung und Förderung seiner
äußern Lage hoffen mußte. Der frühe Römerzuz, so bedeutsam für die ganze
innere Entwicklung Mosers, hatte doch seine Nechtsstudien unterbrochen, für ihre
Wiederaufnahme fand er sich bei der Lage seiner Familie fast mittellos. Aber
statt der Förderung erfuhr er zunächst nur herbe Enttäuschungen. Es gelang
ihm weder einen zahlenden noch überhaupt einen Verleger sür sein vortreffliches,
inhaltreiches und formschönes Gedicht zu finden. Man braucht hierin nur das
allgemeine Schicksal namenloser junger Poeten wiederzuerkennen. Man darf
aber auch in der Gleichgiltigkeit gegen den poetischen "Cavaliere senso" eine
Wirkung des Umschwungs sehen, welcher sich gerade in den letzten Jahren vor
der Julirevolution vorzubereiten begann. In der ästhetischen Theorie herrschte
durchaus noch die Kunstanschauung der Romantiker vor, daneben stand eine
meist schwächliche Nachbildungslust in Geltung, welche lediglich gerühmte clas¬
sische Dichtungen als Muster erachtete und nie aus dem Leben schöpfte. Und
doch begann thatsächlich das Publicum andere Bedürfnisse zu empfinden: was
irgend den Reiz des Pikanten und einigermaßen Gewagten hatte, was wie
Bornes Kritiken, Heines Reisebilder und ein Theil von Heines Jugendgedichten
mit höllischen Flümmchen spielte, was wie Fürst Pücklers erste "Briefe eines
Verstorbenen" einen neuen Ton wenigstens anschlug, ward mit einer gewissen


Julius Mosen,

des Stoffes zu seiner epischen Dichtung „Ritter Wahn.» Mosen selbst berichtete
über deren Entstehung in einem spätern Briefe an Ludwig Tieck: „Wie ich mit
meinem Freunde Dr. Kluge von Perugia nach Arezzo reiste, lockte uns die
Wiß- und Neubegierde von Cumoccia hinauf nach Cortona. Dort war eben
Jahrmarkt, und alles ging bunt durcheinander. Als wir über den Marktplatz
gingen, sahen wir, wie es in Italien so häufig geschieht, eine Meuge Menschen
um einen Mandolinenspieler herumstehen. Wir hörten ihm zu, und etliche
Strophen gefielen mir so, daß ich die ganze Mähr gern gewußt hätte. Ich
nahm mir den Mann mit in den Gasthof und ließ mir die ottavs riiris in die
Feder dictieren. Ich ward von dieser Volkssage so innerlich bewegt, daß der
Gedanke mir keine Ruhe mehr ließ, diesen schönen Stoff zu benutzen und aus¬
zuarbeiten." Mosers Rückreise ward sonach in der glücklichsten Stimmung an¬
getreten, die es für den Schaffenden giebt: erfüllt von poetischen Vorstellungen
und im Vorgefühl baldiger gestaltender Arbeit. Es scheint, daß der Dichter
sich zunächst nach seiner Heimat begab und zwischen den beschneiten vogtländi-
schen Tannenwäldern im Winter von 1826 zu 1827 das Werk vollendete,
welches sür jeden Urtheilsscihigen sein echt poetisches, ebenso frisches als aus¬
giebiges Talent außer Zweifel stellte.

Es liegt nahe, daß der jugendliche Dichter damals von raschen Ehren und
Siegen auf der künstlerischen Laufbahn träumte, umsomehr als er von den
Früchten seiner poetischen Arbeit auch eine Besserung und Förderung seiner
äußern Lage hoffen mußte. Der frühe Römerzuz, so bedeutsam für die ganze
innere Entwicklung Mosers, hatte doch seine Nechtsstudien unterbrochen, für ihre
Wiederaufnahme fand er sich bei der Lage seiner Familie fast mittellos. Aber
statt der Förderung erfuhr er zunächst nur herbe Enttäuschungen. Es gelang
ihm weder einen zahlenden noch überhaupt einen Verleger sür sein vortreffliches,
inhaltreiches und formschönes Gedicht zu finden. Man braucht hierin nur das
allgemeine Schicksal namenloser junger Poeten wiederzuerkennen. Man darf
aber auch in der Gleichgiltigkeit gegen den poetischen „Cavaliere senso" eine
Wirkung des Umschwungs sehen, welcher sich gerade in den letzten Jahren vor
der Julirevolution vorzubereiten begann. In der ästhetischen Theorie herrschte
durchaus noch die Kunstanschauung der Romantiker vor, daneben stand eine
meist schwächliche Nachbildungslust in Geltung, welche lediglich gerühmte clas¬
sische Dichtungen als Muster erachtete und nie aus dem Leben schöpfte. Und
doch begann thatsächlich das Publicum andere Bedürfnisse zu empfinden: was
irgend den Reiz des Pikanten und einigermaßen Gewagten hatte, was wie
Bornes Kritiken, Heines Reisebilder und ein Theil von Heines Jugendgedichten
mit höllischen Flümmchen spielte, was wie Fürst Pücklers erste „Briefe eines
Verstorbenen" einen neuen Ton wenigstens anschlug, ward mit einer gewissen


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[0023] Julius Mosen, des Stoffes zu seiner epischen Dichtung „Ritter Wahn.» Mosen selbst berichtete über deren Entstehung in einem spätern Briefe an Ludwig Tieck: „Wie ich mit meinem Freunde Dr. Kluge von Perugia nach Arezzo reiste, lockte uns die Wiß- und Neubegierde von Cumoccia hinauf nach Cortona. Dort war eben Jahrmarkt, und alles ging bunt durcheinander. Als wir über den Marktplatz gingen, sahen wir, wie es in Italien so häufig geschieht, eine Meuge Menschen um einen Mandolinenspieler herumstehen. Wir hörten ihm zu, und etliche Strophen gefielen mir so, daß ich die ganze Mähr gern gewußt hätte. Ich nahm mir den Mann mit in den Gasthof und ließ mir die ottavs riiris in die Feder dictieren. Ich ward von dieser Volkssage so innerlich bewegt, daß der Gedanke mir keine Ruhe mehr ließ, diesen schönen Stoff zu benutzen und aus¬ zuarbeiten." Mosers Rückreise ward sonach in der glücklichsten Stimmung an¬ getreten, die es für den Schaffenden giebt: erfüllt von poetischen Vorstellungen und im Vorgefühl baldiger gestaltender Arbeit. Es scheint, daß der Dichter sich zunächst nach seiner Heimat begab und zwischen den beschneiten vogtländi- schen Tannenwäldern im Winter von 1826 zu 1827 das Werk vollendete, welches sür jeden Urtheilsscihigen sein echt poetisches, ebenso frisches als aus¬ giebiges Talent außer Zweifel stellte. Es liegt nahe, daß der jugendliche Dichter damals von raschen Ehren und Siegen auf der künstlerischen Laufbahn träumte, umsomehr als er von den Früchten seiner poetischen Arbeit auch eine Besserung und Förderung seiner äußern Lage hoffen mußte. Der frühe Römerzuz, so bedeutsam für die ganze innere Entwicklung Mosers, hatte doch seine Nechtsstudien unterbrochen, für ihre Wiederaufnahme fand er sich bei der Lage seiner Familie fast mittellos. Aber statt der Förderung erfuhr er zunächst nur herbe Enttäuschungen. Es gelang ihm weder einen zahlenden noch überhaupt einen Verleger sür sein vortreffliches, inhaltreiches und formschönes Gedicht zu finden. Man braucht hierin nur das allgemeine Schicksal namenloser junger Poeten wiederzuerkennen. Man darf aber auch in der Gleichgiltigkeit gegen den poetischen „Cavaliere senso" eine Wirkung des Umschwungs sehen, welcher sich gerade in den letzten Jahren vor der Julirevolution vorzubereiten begann. In der ästhetischen Theorie herrschte durchaus noch die Kunstanschauung der Romantiker vor, daneben stand eine meist schwächliche Nachbildungslust in Geltung, welche lediglich gerühmte clas¬ sische Dichtungen als Muster erachtete und nie aus dem Leben schöpfte. Und doch begann thatsächlich das Publicum andere Bedürfnisse zu empfinden: was irgend den Reiz des Pikanten und einigermaßen Gewagten hatte, was wie Bornes Kritiken, Heines Reisebilder und ein Theil von Heines Jugendgedichten mit höllischen Flümmchen spielte, was wie Fürst Pücklers erste „Briefe eines Verstorbenen" einen neuen Ton wenigstens anschlug, ward mit einer gewissen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/23>, abgerufen am 15.05.2024.