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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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dürfe, und man weiß, welche verhängnißvolle Bedeutung für die Entwicklung
unsers Theaters Goethe später diesem Streite beimcis;. "Dieser Streit --
schreibt er in dein Aufsatz über das deutsche Theater (1815) --, der von beiden
Seiten mit vieler Lebhaftigkeit geführt wurde, nöthigte leider die Freunde der
Bühne, diese der höhern Sinnlichkeit eigentlich uur gewidmete Anstalt für eine
sittliche auszugeben, Sie behaupteten, das Theater könne lehren und bessern
und also dem Staat und der Gesellschaft unmittelbar nützen." Lessing hatte
dem ganzen Verlaufe dieser literarischen Fehde schweigend zugesehen; ihm war
damals kurz nach dem Zusammenbruche des Hamburgischen Theaters, der für
ihn auch deu Zusammenbruch einer der schönsten Hoffnungen seines Lebens be¬
deutete, alles, was mit der Bühne zusammenhing, so ekel, daß er es weit von sich
stieß. Nur ganz gelegentlich und flüchtig -- ans eine Anfrage, wie es scheint, von
Mendelssohn -- erwähnt er die Sache in einem Briefe an Nicolai (II.Oel, 1769),
und da ist es denn interessant zu sehe", wie nahe er sich in seinen Anschauungen
mit Goethe berührt. "Die elenden Vertheidiger des Theaters, -- sagt er in
diesem Briefe -- die es mit niler Gewalt z" einer Tngendschule macheu wollen,
thun ihm mehr Schaden als zehn Goeze." Mit einem einfache" Achselzucken
über Lessings platte Theatermvral wird man nach dieser Stelle dem großen
Manne gegenüber nicht mehr auskommen.

Freilich, eins bleibt bestehen: eine "der höhern Sinnlichkeit eigentlich nur
gewidmete Anstalt" hat Lessing niemals im Theater gesehen, und es liegt mir
fern, den Contrast zwischen seiner und Goethes Anschauung irgendwie verringern
zu wollen. Wenn er trotzdem gegen den wohlgemeinten Versuch, aus der Bühne
eine Tugcndschnle zu machen, protestirte, so that er das in einem Sinne, der
sich mit seinein Glauben an die ethische Wirkung des Schauspiels recht wohl
verträgt. "Das Drama -- sagt er im 85. Stück der "Dramaturgie" -- macht
auf eine einzige, bestimmte, aus seiner Fabel fließende Lehre keinen Anspruch;
es geht entweder auf die Leidenschaften, welche der Verlauf und die Glücksver¬
änderungen seiner Fabel anzufachen und zu unterhalten vermögend sind (d. i. nach
Lessing die Tragödie), oder ans das Vergnügen, welches eine wahre und leb¬
hafte Schilderung der Sitten und Charaktere gewährt (Komödie)."'^)

Damit war ganz im Sinne Goethes die verhängnißvolle Meinung zurück¬
gewiesen, als solle der dramatische Dichter bewußt dnrch die Fabel seines Stückes
auf die Besserung seiner Zuschauer oder Leser hinarbeiten. Der moralische End¬
zweck der Tragödie -- und um diese vornehmlich, weniger um die Komödie,
handelte es sich bei Lessing -- blieb aber doch gewahrt.



In gleichem Sinn" iuchcNe sich im 12. und W. Stück.
Lcssiugstudien.

dürfe, und man weiß, welche verhängnißvolle Bedeutung für die Entwicklung
unsers Theaters Goethe später diesem Streite beimcis;. „Dieser Streit —
schreibt er in dein Aufsatz über das deutsche Theater (1815) —, der von beiden
Seiten mit vieler Lebhaftigkeit geführt wurde, nöthigte leider die Freunde der
Bühne, diese der höhern Sinnlichkeit eigentlich uur gewidmete Anstalt für eine
sittliche auszugeben, Sie behaupteten, das Theater könne lehren und bessern
und also dem Staat und der Gesellschaft unmittelbar nützen." Lessing hatte
dem ganzen Verlaufe dieser literarischen Fehde schweigend zugesehen; ihm war
damals kurz nach dem Zusammenbruche des Hamburgischen Theaters, der für
ihn auch deu Zusammenbruch einer der schönsten Hoffnungen seines Lebens be¬
deutete, alles, was mit der Bühne zusammenhing, so ekel, daß er es weit von sich
stieß. Nur ganz gelegentlich und flüchtig — ans eine Anfrage, wie es scheint, von
Mendelssohn — erwähnt er die Sache in einem Briefe an Nicolai (II.Oel, 1769),
und da ist es denn interessant zu sehe«, wie nahe er sich in seinen Anschauungen
mit Goethe berührt. „Die elenden Vertheidiger des Theaters, — sagt er in
diesem Briefe — die es mit niler Gewalt z» einer Tngendschule macheu wollen,
thun ihm mehr Schaden als zehn Goeze." Mit einem einfache» Achselzucken
über Lessings platte Theatermvral wird man nach dieser Stelle dem großen
Manne gegenüber nicht mehr auskommen.

Freilich, eins bleibt bestehen: eine „der höhern Sinnlichkeit eigentlich nur
gewidmete Anstalt" hat Lessing niemals im Theater gesehen, und es liegt mir
fern, den Contrast zwischen seiner und Goethes Anschauung irgendwie verringern
zu wollen. Wenn er trotzdem gegen den wohlgemeinten Versuch, aus der Bühne
eine Tugcndschnle zu machen, protestirte, so that er das in einem Sinne, der
sich mit seinein Glauben an die ethische Wirkung des Schauspiels recht wohl
verträgt. „Das Drama — sagt er im 85. Stück der „Dramaturgie" — macht
auf eine einzige, bestimmte, aus seiner Fabel fließende Lehre keinen Anspruch;
es geht entweder auf die Leidenschaften, welche der Verlauf und die Glücksver¬
änderungen seiner Fabel anzufachen und zu unterhalten vermögend sind (d. i. nach
Lessing die Tragödie), oder ans das Vergnügen, welches eine wahre und leb¬
hafte Schilderung der Sitten und Charaktere gewährt (Komödie)."'^)

Damit war ganz im Sinne Goethes die verhängnißvolle Meinung zurück¬
gewiesen, als solle der dramatische Dichter bewußt dnrch die Fabel seines Stückes
auf die Besserung seiner Zuschauer oder Leser hinarbeiten. Der moralische End¬
zweck der Tragödie — und um diese vornehmlich, weniger um die Komödie,
handelte es sich bei Lessing — blieb aber doch gewahrt.



In gleichem Sinn» iuchcNe sich im 12. und W. Stück.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/244>, abgerufen am 14.05.2024.