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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Sächsische Reactionsgeliiste,

meist nicht mehr viel Liebe, sondern höchstens ein wenig Hochachtung für das
weitre, dus deutsche Vaterland übrig. Sie loben wohl das Reich so im all¬
gemeinen und in der Doctrin, aber im speciellen und in der Praxis wünsche"
sie, daß es ihnen möglichst weit vom Leibe bleibe. Sie wollen vor allein das
Reich und seine Einrichtungen uicht wirklich populär werden lassen. Das theure
Militär, die drückenden Steuern, die unbequeme" Strafgesetze, ja alle solche noth¬
wendige, aber zuweilen recht lästig fallende Dinge, die kann und soll das Reich
gern auf seine Schulter" nehmen. Aber andre Einrichtungen, deren wohlthätige
Seite sich leichter allgemein fühlbar macht, wie Verkehrserlcichterungcu, Volks¬
wirthschaftsrath, ArbeiterversichcrungSwesen n. tgi., nein, diese Sachen sind zu
schön, als daß sie das Volk vom Reiche empfangen dürfte, und wenn sie zehn¬
mal aus der Initiative des Kanzlers und des Reiches hervorgehen, so darf dieses
die Einrichtung doch nicht selbst in die Hand nehmen, sondern muß sie den Par-
tieularstanten als deren eigne Sache überlassen. Diese Institutionen als Neichs-
anstalten wären ja geeignet, das Reich beim Volke als einen Wohlthäter beliebt
zu machen, und eine solche Liebe gönnen diese Leute eben dem Reiche nicht. Sie
schwärmen für Staatsbahnen in Sachsen und laufen sie schleunigst zu über¬
triebnen Preise an, nur damit das Reich sie nicht vorwegkaufe; aber wen" in
Preußen der Staat die Privatbahnen erwirbt, so schreien sie über Staatssocialis-
mus, der eine blühende Privatindustrie vernichte. Wenn der Kanzler einen Reichs-
volkswirthschaftSrath berufen will, so fürchten sie eine Beeinträchtigung des An¬
sehens des Bundesraths und Parlaments, und wenn er eine Reichsversicheruugs-
anstalt gründen will, so halten sie nicht das Reich, sondern allein das "Land"
für competent zu solchen Einrichtungen. Aehnlich wird es mit dem Monopol gehn ;
man nudae wohl gern die reichlichen Einkünfte ans demselben, wenn man nur nicht
Reichs- sondern Landes-Cigarrcnverschleißc errichten könnte. So aber ist dus
Tabaksmonopol ein viel bedenklicheres Giftbanmexperimeut als die Verstaat¬
lichung der Privatbahnen. Ja wenn man nnr uicht in Preußen in allen Dingen
so weit hinter den Errungenschaften des übrigen Deutschlands zurück wäre und
i" Berlin noch über das constitutionelle ABC sich stritte! Ans der Unfertig-
keit der preußischen Budget- und Stcuerzustäude folgt für das nichtpreußische
Deutschland die Gefahr, daß es mit neuen indirecten Steuern heimgesucht werden
soll. "Wir müssen für die Fehler unsrer nordischen .Brüder' mit ans unserm
Seckel büßen!"

Zu den uulautcrsteu, aber geläufigsten Handgriffen der "Dresdner Nach¬
richten" gehört es, die augesehnen Mäuner der nationalen Parteien durch ehren¬
rührige Ohreubläsereieu und verleumderische Verdächtigungen zu garottiren.
LMmmaro imäaotvr! Sie applaudiren z. B. den Rempeleien Ludwigs, und


Gmizbvton I. 1881. 43
Sächsische Reactionsgeliiste,

meist nicht mehr viel Liebe, sondern höchstens ein wenig Hochachtung für das
weitre, dus deutsche Vaterland übrig. Sie loben wohl das Reich so im all¬
gemeinen und in der Doctrin, aber im speciellen und in der Praxis wünsche»
sie, daß es ihnen möglichst weit vom Leibe bleibe. Sie wollen vor allein das
Reich und seine Einrichtungen uicht wirklich populär werden lassen. Das theure
Militär, die drückenden Steuern, die unbequeme» Strafgesetze, ja alle solche noth¬
wendige, aber zuweilen recht lästig fallende Dinge, die kann und soll das Reich
gern auf seine Schulter» nehmen. Aber andre Einrichtungen, deren wohlthätige
Seite sich leichter allgemein fühlbar macht, wie Verkehrserlcichterungcu, Volks¬
wirthschaftsrath, ArbeiterversichcrungSwesen n. tgi., nein, diese Sachen sind zu
schön, als daß sie das Volk vom Reiche empfangen dürfte, und wenn sie zehn¬
mal aus der Initiative des Kanzlers und des Reiches hervorgehen, so darf dieses
die Einrichtung doch nicht selbst in die Hand nehmen, sondern muß sie den Par-
tieularstanten als deren eigne Sache überlassen. Diese Institutionen als Neichs-
anstalten wären ja geeignet, das Reich beim Volke als einen Wohlthäter beliebt
zu machen, und eine solche Liebe gönnen diese Leute eben dem Reiche nicht. Sie
schwärmen für Staatsbahnen in Sachsen und laufen sie schleunigst zu über¬
triebnen Preise an, nur damit das Reich sie nicht vorwegkaufe; aber wen» in
Preußen der Staat die Privatbahnen erwirbt, so schreien sie über Staatssocialis-
mus, der eine blühende Privatindustrie vernichte. Wenn der Kanzler einen Reichs-
volkswirthschaftSrath berufen will, so fürchten sie eine Beeinträchtigung des An¬
sehens des Bundesraths und Parlaments, und wenn er eine Reichsversicheruugs-
anstalt gründen will, so halten sie nicht das Reich, sondern allein das „Land"
für competent zu solchen Einrichtungen. Aehnlich wird es mit dem Monopol gehn ;
man nudae wohl gern die reichlichen Einkünfte ans demselben, wenn man nur nicht
Reichs- sondern Landes-Cigarrcnverschleißc errichten könnte. So aber ist dus
Tabaksmonopol ein viel bedenklicheres Giftbanmexperimeut als die Verstaat¬
lichung der Privatbahnen. Ja wenn man nnr uicht in Preußen in allen Dingen
so weit hinter den Errungenschaften des übrigen Deutschlands zurück wäre und
i» Berlin noch über das constitutionelle ABC sich stritte! Ans der Unfertig-
keit der preußischen Budget- und Stcuerzustäude folgt für das nichtpreußische
Deutschland die Gefahr, daß es mit neuen indirecten Steuern heimgesucht werden
soll. „Wir müssen für die Fehler unsrer nordischen .Brüder' mit ans unserm
Seckel büßen!"

Zu den uulautcrsteu, aber geläufigsten Handgriffen der „Dresdner Nach¬
richten" gehört es, die augesehnen Mäuner der nationalen Parteien durch ehren¬
rührige Ohreubläsereieu und verleumderische Verdächtigungen zu garottiren.
LMmmaro imäaotvr! Sie applaudiren z. B. den Rempeleien Ludwigs, und


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[0365] Sächsische Reactionsgeliiste, meist nicht mehr viel Liebe, sondern höchstens ein wenig Hochachtung für das weitre, dus deutsche Vaterland übrig. Sie loben wohl das Reich so im all¬ gemeinen und in der Doctrin, aber im speciellen und in der Praxis wünsche» sie, daß es ihnen möglichst weit vom Leibe bleibe. Sie wollen vor allein das Reich und seine Einrichtungen uicht wirklich populär werden lassen. Das theure Militär, die drückenden Steuern, die unbequeme» Strafgesetze, ja alle solche noth¬ wendige, aber zuweilen recht lästig fallende Dinge, die kann und soll das Reich gern auf seine Schulter» nehmen. Aber andre Einrichtungen, deren wohlthätige Seite sich leichter allgemein fühlbar macht, wie Verkehrserlcichterungcu, Volks¬ wirthschaftsrath, ArbeiterversichcrungSwesen n. tgi., nein, diese Sachen sind zu schön, als daß sie das Volk vom Reiche empfangen dürfte, und wenn sie zehn¬ mal aus der Initiative des Kanzlers und des Reiches hervorgehen, so darf dieses die Einrichtung doch nicht selbst in die Hand nehmen, sondern muß sie den Par- tieularstanten als deren eigne Sache überlassen. Diese Institutionen als Neichs- anstalten wären ja geeignet, das Reich beim Volke als einen Wohlthäter beliebt zu machen, und eine solche Liebe gönnen diese Leute eben dem Reiche nicht. Sie schwärmen für Staatsbahnen in Sachsen und laufen sie schleunigst zu über¬ triebnen Preise an, nur damit das Reich sie nicht vorwegkaufe; aber wen» in Preußen der Staat die Privatbahnen erwirbt, so schreien sie über Staatssocialis- mus, der eine blühende Privatindustrie vernichte. Wenn der Kanzler einen Reichs- volkswirthschaftSrath berufen will, so fürchten sie eine Beeinträchtigung des An¬ sehens des Bundesraths und Parlaments, und wenn er eine Reichsversicheruugs- anstalt gründen will, so halten sie nicht das Reich, sondern allein das „Land" für competent zu solchen Einrichtungen. Aehnlich wird es mit dem Monopol gehn ; man nudae wohl gern die reichlichen Einkünfte ans demselben, wenn man nur nicht Reichs- sondern Landes-Cigarrcnverschleißc errichten könnte. So aber ist dus Tabaksmonopol ein viel bedenklicheres Giftbanmexperimeut als die Verstaat¬ lichung der Privatbahnen. Ja wenn man nnr uicht in Preußen in allen Dingen so weit hinter den Errungenschaften des übrigen Deutschlands zurück wäre und i» Berlin noch über das constitutionelle ABC sich stritte! Ans der Unfertig- keit der preußischen Budget- und Stcuerzustäude folgt für das nichtpreußische Deutschland die Gefahr, daß es mit neuen indirecten Steuern heimgesucht werden soll. „Wir müssen für die Fehler unsrer nordischen .Brüder' mit ans unserm Seckel büßen!" Zu den uulautcrsteu, aber geläufigsten Handgriffen der „Dresdner Nach¬ richten" gehört es, die augesehnen Mäuner der nationalen Parteien durch ehren¬ rührige Ohreubläsereieu und verleumderische Verdächtigungen zu garottiren. LMmmaro imäaotvr! Sie applaudiren z. B. den Rempeleien Ludwigs, und Gmizbvton I. 1881. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/365>, abgerufen am 31.05.2024.