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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Julius Mosen.

in seiner spätern Periode. Wohl empfinden wir auch in diesem Drama den
Mangel lebendigen.Interesses an der harten Energie und Realität der in dem
Drama von Küstrin mithandelnden Menschen, wir athmen nicht voll die müde,
schneidige Luft des preußischen Kriegerstaates unter Friedrich Wilhelm I- und
empfinden den Conflict zwischen Vater und Sohn, die beide mit dem Fürsten¬
bewußtsein ausgerüstet sind, uicht in seiner vollen tödtlichen Schärfe. Aber die
Kenntniß der historischen Thatsachen und das ganze halb grelle, halb düstere
Colorit jener Tage bei Seite gesetzt, die Handlung und der Hintergrund, den
Mosen seinen, "Sohn des Fürsten" giebt, erscheinen doch möglich und wirken,
von der unvermeidlichen abspringenden Tendenzrhetorik abgesehen, in ihren
eignen Voraussetzungen poetisch und Theilnahme erweckend.

Wir müssen das, was Mosen unter den angedeuteten Umständen bleiben¬
den Gehalts gab, um so höher anschlagen, als es der Sinn jener Tage mit
sich brachte, ihn in seinem Irrthume leidenschaftlich zu bestärken. Sein histo¬
rischer Roman "Der Congreß von Verona", eine Dichtung, in der das Verdienst
reicher Erfindung, zum Theil hochpoetischer Situationen und einzelner lebendi¬
ger Charaktere für viel unverarbeiteten Stoff und manche starke Geschmack¬
losigkeiten der Tendenz entschädigen konnte, wurde geradezu als epochemachend
und zwar epochemachend auf seine wesenlosesten und unlebendigsten Momente
hin gepriesen. "Der Roman unsrer Zeit sucht sich einen andern Boden zu er¬
ringen. Es ist genug geliebt und gelitten worden. Aber die Poesie hat ent¬
schieden Feierabend gemacht mit dem Tagewerke des Besingens und Vorstellens
der Liebesaffairen" -- so rief angesichts dieses Romanes ein Kritiker, wie Adolf
Stahr aus und mußte am Eude doch wieder zugeben, daß die Liebesepisvde des
Griechen Achilleus und der schönen Jsabella das Gelungenste und Ergreifendste des
Romans sei. schroff und ohne Berücksichtigung des unaustilgbaren poetischen
Triebes in einem noch lebendigen Volke und einer unerstarrten Sprache hatte
kurz zuvor Gervinus erklärt, der Wettkampf der Kunst unter den Deutschen
sei vollendet und es gelte hinfort nur politischen Zielen zuzustreben. Was
Wunder, daß sich die lebendigen Talente in ihrer Art mit dem Verbiet abzu¬
finden suchten!

Das Drama "Der Sohn des Fürsten" brachte eine letzte Lebenswendung
für Julius Mosen. Er hatte in Dresden Wurzel gefaßt, aber es war ihn?
nicht gelungen, eine Lebensstellung und äußere Lebensaufgabe zu erringen, die
mit seiner innern besser in Einklang stand als seine Advoeatur, der er pflicht¬
getreu, aber wie es scheint ohne juristischen Enthusiasmus oblag. Daß er sich
nach diesem Einklange sehnte, geht aus der Raschheit hervor, mit der er im
Jahre 1844 einem Rufe des kunstsinnnigen Großherzogs Paul Friedrich von
Oldenburg, als "Dramaturg" am Oldenburgischen Hoftheater nach seiner Residenz


Julius Mosen.

in seiner spätern Periode. Wohl empfinden wir auch in diesem Drama den
Mangel lebendigen.Interesses an der harten Energie und Realität der in dem
Drama von Küstrin mithandelnden Menschen, wir athmen nicht voll die müde,
schneidige Luft des preußischen Kriegerstaates unter Friedrich Wilhelm I- und
empfinden den Conflict zwischen Vater und Sohn, die beide mit dem Fürsten¬
bewußtsein ausgerüstet sind, uicht in seiner vollen tödtlichen Schärfe. Aber die
Kenntniß der historischen Thatsachen und das ganze halb grelle, halb düstere
Colorit jener Tage bei Seite gesetzt, die Handlung und der Hintergrund, den
Mosen seinen, „Sohn des Fürsten" giebt, erscheinen doch möglich und wirken,
von der unvermeidlichen abspringenden Tendenzrhetorik abgesehen, in ihren
eignen Voraussetzungen poetisch und Theilnahme erweckend.

Wir müssen das, was Mosen unter den angedeuteten Umständen bleiben¬
den Gehalts gab, um so höher anschlagen, als es der Sinn jener Tage mit
sich brachte, ihn in seinem Irrthume leidenschaftlich zu bestärken. Sein histo¬
rischer Roman „Der Congreß von Verona", eine Dichtung, in der das Verdienst
reicher Erfindung, zum Theil hochpoetischer Situationen und einzelner lebendi¬
ger Charaktere für viel unverarbeiteten Stoff und manche starke Geschmack¬
losigkeiten der Tendenz entschädigen konnte, wurde geradezu als epochemachend
und zwar epochemachend auf seine wesenlosesten und unlebendigsten Momente
hin gepriesen. „Der Roman unsrer Zeit sucht sich einen andern Boden zu er¬
ringen. Es ist genug geliebt und gelitten worden. Aber die Poesie hat ent¬
schieden Feierabend gemacht mit dem Tagewerke des Besingens und Vorstellens
der Liebesaffairen" — so rief angesichts dieses Romanes ein Kritiker, wie Adolf
Stahr aus und mußte am Eude doch wieder zugeben, daß die Liebesepisvde des
Griechen Achilleus und der schönen Jsabella das Gelungenste und Ergreifendste des
Romans sei. schroff und ohne Berücksichtigung des unaustilgbaren poetischen
Triebes in einem noch lebendigen Volke und einer unerstarrten Sprache hatte
kurz zuvor Gervinus erklärt, der Wettkampf der Kunst unter den Deutschen
sei vollendet und es gelte hinfort nur politischen Zielen zuzustreben. Was
Wunder, daß sich die lebendigen Talente in ihrer Art mit dem Verbiet abzu¬
finden suchten!

Das Drama „Der Sohn des Fürsten" brachte eine letzte Lebenswendung
für Julius Mosen. Er hatte in Dresden Wurzel gefaßt, aber es war ihn?
nicht gelungen, eine Lebensstellung und äußere Lebensaufgabe zu erringen, die
mit seiner innern besser in Einklang stand als seine Advoeatur, der er pflicht¬
getreu, aber wie es scheint ohne juristischen Enthusiasmus oblag. Daß er sich
nach diesem Einklange sehnte, geht aus der Raschheit hervor, mit der er im
Jahre 1844 einem Rufe des kunstsinnnigen Großherzogs Paul Friedrich von
Oldenburg, als „Dramaturg" am Oldenburgischen Hoftheater nach seiner Residenz


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[0037] Julius Mosen. in seiner spätern Periode. Wohl empfinden wir auch in diesem Drama den Mangel lebendigen.Interesses an der harten Energie und Realität der in dem Drama von Küstrin mithandelnden Menschen, wir athmen nicht voll die müde, schneidige Luft des preußischen Kriegerstaates unter Friedrich Wilhelm I- und empfinden den Conflict zwischen Vater und Sohn, die beide mit dem Fürsten¬ bewußtsein ausgerüstet sind, uicht in seiner vollen tödtlichen Schärfe. Aber die Kenntniß der historischen Thatsachen und das ganze halb grelle, halb düstere Colorit jener Tage bei Seite gesetzt, die Handlung und der Hintergrund, den Mosen seinen, „Sohn des Fürsten" giebt, erscheinen doch möglich und wirken, von der unvermeidlichen abspringenden Tendenzrhetorik abgesehen, in ihren eignen Voraussetzungen poetisch und Theilnahme erweckend. Wir müssen das, was Mosen unter den angedeuteten Umständen bleiben¬ den Gehalts gab, um so höher anschlagen, als es der Sinn jener Tage mit sich brachte, ihn in seinem Irrthume leidenschaftlich zu bestärken. Sein histo¬ rischer Roman „Der Congreß von Verona", eine Dichtung, in der das Verdienst reicher Erfindung, zum Theil hochpoetischer Situationen und einzelner lebendi¬ ger Charaktere für viel unverarbeiteten Stoff und manche starke Geschmack¬ losigkeiten der Tendenz entschädigen konnte, wurde geradezu als epochemachend und zwar epochemachend auf seine wesenlosesten und unlebendigsten Momente hin gepriesen. „Der Roman unsrer Zeit sucht sich einen andern Boden zu er¬ ringen. Es ist genug geliebt und gelitten worden. Aber die Poesie hat ent¬ schieden Feierabend gemacht mit dem Tagewerke des Besingens und Vorstellens der Liebesaffairen" — so rief angesichts dieses Romanes ein Kritiker, wie Adolf Stahr aus und mußte am Eude doch wieder zugeben, daß die Liebesepisvde des Griechen Achilleus und der schönen Jsabella das Gelungenste und Ergreifendste des Romans sei. schroff und ohne Berücksichtigung des unaustilgbaren poetischen Triebes in einem noch lebendigen Volke und einer unerstarrten Sprache hatte kurz zuvor Gervinus erklärt, der Wettkampf der Kunst unter den Deutschen sei vollendet und es gelte hinfort nur politischen Zielen zuzustreben. Was Wunder, daß sich die lebendigen Talente in ihrer Art mit dem Verbiet abzu¬ finden suchten! Das Drama „Der Sohn des Fürsten" brachte eine letzte Lebenswendung für Julius Mosen. Er hatte in Dresden Wurzel gefaßt, aber es war ihn? nicht gelungen, eine Lebensstellung und äußere Lebensaufgabe zu erringen, die mit seiner innern besser in Einklang stand als seine Advoeatur, der er pflicht¬ getreu, aber wie es scheint ohne juristischen Enthusiasmus oblag. Daß er sich nach diesem Einklange sehnte, geht aus der Raschheit hervor, mit der er im Jahre 1844 einem Rufe des kunstsinnnigen Großherzogs Paul Friedrich von Oldenburg, als „Dramaturg" am Oldenburgischen Hoftheater nach seiner Residenz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/37>, abgerufen am 15.05.2024.