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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Zur logischen Frage.

wordene Pessimismus der Lehren Schopenhauers und Hartmanns etwas anderes
als der Ausdruck davon, daß es überhaupt gar keine wahre und echte wissen¬
schaftliche Philosophie mehr geben könne? Denn wenn die Welt schlecht und
ein verpfuschtes Machwerk irgend eines fabelhaften und eingebildeten metaphy¬
sischen Urprincips ist, so ist es weder möglich, noch kann es auch nur der Mühe
lohnen, sie in ihrer innern Vernunft und Ordnung denkend begreifen zu wollen.
Dieses letztere war dasjenige, was Hegel wollte oder zu erreichen versuchte. Das
war doch mindestens ein großartiges und würdiges Programm der Philosophie!
Es ist eine ganz müssige und unwissenschaftlich gestellte Frage, ob die Welt als
Ganzes genommen gut oder schlecht sei, oder gar, wie die jetzige modische Lehr¬
formel lautet, die Bilanz zwischen dem Guten und dem Schlechten in der Welt
ziehen zu wollen. Der echte wissenschaftliche Denker sucht das Wirkliche in seiner
innern Ordnung zu begreifen, so weit er es vermag. Das aber ist immer ein
ernstes, anhaltendes und mühsames Ringen. In dieser Weise hat unter allen
Umständen Hegel gearbeitet und gestrebt. Der jetzige Pessimismus aber wirft
einfach die Flinte ins Korn, indem er in feigem Schimpfen auf die Schulphilo¬
sophie es verschmäht, den ernsten Kampf mit den wahren und echten Problemen
der Welt aufzunehmen.

Die ganze Entwicklung der deutschen Philosophie von Kant an steht auch
in einem bestimmten wesentlichen Zusammenhange mit dem Fortschritt und
mit den Wandlungen im Lebensschicksale der Nation. Wir sind eine lange
Zeit hindurch Träumer und Idealisten gewesen auf dem Gebiete der Wissenschaft
ebenso wie auf dem der nationalen Politik. Unser ganzer geistiger oder intellee-
tualer Idealismus aber hatte seine Wurzel zunächst in der Abwesenheit eines
echten und gesunden Realismus in dem äußern politischen Leben der Nation.
In dem reich gegliederten Garten des frühern deutscheu StaatencvmplexeS sproßten
überall die mannichfaltigsten Blüthen und Früchte des eigenartigen geistigen
Bildungsstrebens empor. Die geistige Bildung empfing nicht wie etwa sonst
von der mächtigen Hand des Staates oder der Monarchie einen bestimmten gleich¬
mäßigen Charakter oder Typus. Sie ist im weitesten und strengsten Sinne
nur ein Product des ureigensten Geistes und Lebens des Volkes selbst gewesen.
In der Philosophie hat nur Hegel und seine Lehre das eigenthümliche Schicksal
gehabt, eine Zeit lang vom preußischen Staat officiell gepflegt und in seinen Schutz
genommen worden zu sein Die spätere Abwendung der Gunst der öffentlichen
Meinung vou Hegel mag zum Theil mit durch diese künstliche Bevorzugung her¬
beigeführt worden sein. Es sind überhaupt in unserm nationalen Leben Dinge
vorgekommen, wie sie sonst in allem gewöhnlichen oder regelmäßigen Völkerleben
nicht vorzukommen Pflegen und wie sie allein in der ganz besondern Eigenthum-


Zur logischen Frage.

wordene Pessimismus der Lehren Schopenhauers und Hartmanns etwas anderes
als der Ausdruck davon, daß es überhaupt gar keine wahre und echte wissen¬
schaftliche Philosophie mehr geben könne? Denn wenn die Welt schlecht und
ein verpfuschtes Machwerk irgend eines fabelhaften und eingebildeten metaphy¬
sischen Urprincips ist, so ist es weder möglich, noch kann es auch nur der Mühe
lohnen, sie in ihrer innern Vernunft und Ordnung denkend begreifen zu wollen.
Dieses letztere war dasjenige, was Hegel wollte oder zu erreichen versuchte. Das
war doch mindestens ein großartiges und würdiges Programm der Philosophie!
Es ist eine ganz müssige und unwissenschaftlich gestellte Frage, ob die Welt als
Ganzes genommen gut oder schlecht sei, oder gar, wie die jetzige modische Lehr¬
formel lautet, die Bilanz zwischen dem Guten und dem Schlechten in der Welt
ziehen zu wollen. Der echte wissenschaftliche Denker sucht das Wirkliche in seiner
innern Ordnung zu begreifen, so weit er es vermag. Das aber ist immer ein
ernstes, anhaltendes und mühsames Ringen. In dieser Weise hat unter allen
Umständen Hegel gearbeitet und gestrebt. Der jetzige Pessimismus aber wirft
einfach die Flinte ins Korn, indem er in feigem Schimpfen auf die Schulphilo¬
sophie es verschmäht, den ernsten Kampf mit den wahren und echten Problemen
der Welt aufzunehmen.

Die ganze Entwicklung der deutschen Philosophie von Kant an steht auch
in einem bestimmten wesentlichen Zusammenhange mit dem Fortschritt und
mit den Wandlungen im Lebensschicksale der Nation. Wir sind eine lange
Zeit hindurch Träumer und Idealisten gewesen auf dem Gebiete der Wissenschaft
ebenso wie auf dem der nationalen Politik. Unser ganzer geistiger oder intellee-
tualer Idealismus aber hatte seine Wurzel zunächst in der Abwesenheit eines
echten und gesunden Realismus in dem äußern politischen Leben der Nation.
In dem reich gegliederten Garten des frühern deutscheu StaatencvmplexeS sproßten
überall die mannichfaltigsten Blüthen und Früchte des eigenartigen geistigen
Bildungsstrebens empor. Die geistige Bildung empfing nicht wie etwa sonst
von der mächtigen Hand des Staates oder der Monarchie einen bestimmten gleich¬
mäßigen Charakter oder Typus. Sie ist im weitesten und strengsten Sinne
nur ein Product des ureigensten Geistes und Lebens des Volkes selbst gewesen.
In der Philosophie hat nur Hegel und seine Lehre das eigenthümliche Schicksal
gehabt, eine Zeit lang vom preußischen Staat officiell gepflegt und in seinen Schutz
genommen worden zu sein Die spätere Abwendung der Gunst der öffentlichen
Meinung vou Hegel mag zum Theil mit durch diese künstliche Bevorzugung her¬
beigeführt worden sein. Es sind überhaupt in unserm nationalen Leben Dinge
vorgekommen, wie sie sonst in allem gewöhnlichen oder regelmäßigen Völkerleben
nicht vorzukommen Pflegen und wie sie allein in der ganz besondern Eigenthum-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/382>, abgerufen am 29.05.2024.