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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Schliemanns Trojanische Sammlung.

Töpferwaare nicht Ringe und Füße, sondern unten abgeflachten Boden zeigt.
Für den forschenden Liebhaber ist es nun äußerst interessant zu sehen, wie die
gefäßbildende Kunst in ihrem Fortschritt von Osten nach Westen immer freier
mit den von der Natur gegebnen Formen umspringt und einen stetig wachsenden
Reichthum mannichfaltiger Formen schafft, wie das älteste Indien nach den
im Nil Gerri gefundnen Gefäßen zu schließen, die jetzt ganz außer Gebrauch
sind, sein eignes Kunstprineip hat, das die Formen aus ganz andern Linien zu¬
sammengesetzt zeigt, als alle übrigen der Welt, wie denn Indien überhaupt eine
Welt für sich gewesen zu sein scheint. Die in den Trümmern des alten Ninive
gefundnen Gefäße, verglichen mit den ältesten der Länder am stillen Ocean,
zeigen einen immensen Fortschritt, und manche davon kommen der classischen
Schönheit der griechischen schon sehr nahe, näher, als es die schönsten der rein¬
ägyptischen thun. Zwischen den assyrischen und den ägyptischen einerseits und den
vollendeten griechischen Formen andrerseits stehen dann die als archaisch bezeich¬
neten, die man aber, da sie in den Trümmern phönizischer und griechischer Cultur
gefunden sind, z. B. in Cypern, wo sich das Griechenthum auf das phönizische
Wesen Pfropfte, auch als phönizische ansprechen kann.

Bei all den Unterschieden aber, die der Keramik der einzelnen genannten
Nationen anhaften und die theils aus der Natur ihres Landes und ihrer vor¬
herrschenden Materialien, theils aus ihrer Lebensweise und ihren besondern Be¬
dürfnissen zu erklären sind, die aber groß genug sind, um für die Keramik jeder
Nation einen sehr bestimmt ausgeprägten Charakter zu constituiren, ist es nun
doch auch wieder interessant, die Uebereinstimmung zu beobachten, mit der gewisse
Formen von allen in gleicher Weise festgehalten und gepflegt worden sind, so
z. B. die Form einer seitwärts plattgedrückten runden Flasche, ähnlich unsern
runden Jagdflaschen.

Der Fortschritt, der in der Ausbildung einer Gefäßfvrm zu schönerer Ge¬
stalt und besserer Brauchbarkeit gemacht wird, indem sie von einem Volke zum
andern wandert, beruht oft auf scheinbar ganz geringen Aenderungen, ans einer
neuen Proportion des Fußes zum Obertheil, auf der geringern oder größern
Biegung des Halses oder des Aufgusses, auf der einfachern oder künstlichem Ge¬
stalt des Deckels, auf der Zahl und den: Ansatz der Henkel. Der einfache eiförmige
Becher z. B, dem ein Henkel angesetzt ist, welcher den Rand des Obertheils
nicht überragt, was die ältere asiatische Form ist, gewinnt dadurch, daß der
phönizische oder griechische Künstler den oder die Henkel in einer gewissen Pro¬
portion über den Rand erhöht, ein völlig anderes, ein weit gefälligeres Aussehn,
in welchem er sich bis auf unsre Zeit erhalten hat. Was die classische griechische
Kunst anlangt, so kann man sagen, daß ihr alle Bestandtheile zur Composition


Schliemanns Trojanische Sammlung.

Töpferwaare nicht Ringe und Füße, sondern unten abgeflachten Boden zeigt.
Für den forschenden Liebhaber ist es nun äußerst interessant zu sehen, wie die
gefäßbildende Kunst in ihrem Fortschritt von Osten nach Westen immer freier
mit den von der Natur gegebnen Formen umspringt und einen stetig wachsenden
Reichthum mannichfaltiger Formen schafft, wie das älteste Indien nach den
im Nil Gerri gefundnen Gefäßen zu schließen, die jetzt ganz außer Gebrauch
sind, sein eignes Kunstprineip hat, das die Formen aus ganz andern Linien zu¬
sammengesetzt zeigt, als alle übrigen der Welt, wie denn Indien überhaupt eine
Welt für sich gewesen zu sein scheint. Die in den Trümmern des alten Ninive
gefundnen Gefäße, verglichen mit den ältesten der Länder am stillen Ocean,
zeigen einen immensen Fortschritt, und manche davon kommen der classischen
Schönheit der griechischen schon sehr nahe, näher, als es die schönsten der rein¬
ägyptischen thun. Zwischen den assyrischen und den ägyptischen einerseits und den
vollendeten griechischen Formen andrerseits stehen dann die als archaisch bezeich¬
neten, die man aber, da sie in den Trümmern phönizischer und griechischer Cultur
gefunden sind, z. B. in Cypern, wo sich das Griechenthum auf das phönizische
Wesen Pfropfte, auch als phönizische ansprechen kann.

Bei all den Unterschieden aber, die der Keramik der einzelnen genannten
Nationen anhaften und die theils aus der Natur ihres Landes und ihrer vor¬
herrschenden Materialien, theils aus ihrer Lebensweise und ihren besondern Be¬
dürfnissen zu erklären sind, die aber groß genug sind, um für die Keramik jeder
Nation einen sehr bestimmt ausgeprägten Charakter zu constituiren, ist es nun
doch auch wieder interessant, die Uebereinstimmung zu beobachten, mit der gewisse
Formen von allen in gleicher Weise festgehalten und gepflegt worden sind, so
z. B. die Form einer seitwärts plattgedrückten runden Flasche, ähnlich unsern
runden Jagdflaschen.

Der Fortschritt, der in der Ausbildung einer Gefäßfvrm zu schönerer Ge¬
stalt und besserer Brauchbarkeit gemacht wird, indem sie von einem Volke zum
andern wandert, beruht oft auf scheinbar ganz geringen Aenderungen, ans einer
neuen Proportion des Fußes zum Obertheil, auf der geringern oder größern
Biegung des Halses oder des Aufgusses, auf der einfachern oder künstlichem Ge¬
stalt des Deckels, auf der Zahl und den: Ansatz der Henkel. Der einfache eiförmige
Becher z. B, dem ein Henkel angesetzt ist, welcher den Rand des Obertheils
nicht überragt, was die ältere asiatische Form ist, gewinnt dadurch, daß der
phönizische oder griechische Künstler den oder die Henkel in einer gewissen Pro¬
portion über den Rand erhöht, ein völlig anderes, ein weit gefälligeres Aussehn,
in welchem er sich bis auf unsre Zeit erhalten hat. Was die classische griechische
Kunst anlangt, so kann man sagen, daß ihr alle Bestandtheile zur Composition


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[0398] Schliemanns Trojanische Sammlung. Töpferwaare nicht Ringe und Füße, sondern unten abgeflachten Boden zeigt. Für den forschenden Liebhaber ist es nun äußerst interessant zu sehen, wie die gefäßbildende Kunst in ihrem Fortschritt von Osten nach Westen immer freier mit den von der Natur gegebnen Formen umspringt und einen stetig wachsenden Reichthum mannichfaltiger Formen schafft, wie das älteste Indien nach den im Nil Gerri gefundnen Gefäßen zu schließen, die jetzt ganz außer Gebrauch sind, sein eignes Kunstprineip hat, das die Formen aus ganz andern Linien zu¬ sammengesetzt zeigt, als alle übrigen der Welt, wie denn Indien überhaupt eine Welt für sich gewesen zu sein scheint. Die in den Trümmern des alten Ninive gefundnen Gefäße, verglichen mit den ältesten der Länder am stillen Ocean, zeigen einen immensen Fortschritt, und manche davon kommen der classischen Schönheit der griechischen schon sehr nahe, näher, als es die schönsten der rein¬ ägyptischen thun. Zwischen den assyrischen und den ägyptischen einerseits und den vollendeten griechischen Formen andrerseits stehen dann die als archaisch bezeich¬ neten, die man aber, da sie in den Trümmern phönizischer und griechischer Cultur gefunden sind, z. B. in Cypern, wo sich das Griechenthum auf das phönizische Wesen Pfropfte, auch als phönizische ansprechen kann. Bei all den Unterschieden aber, die der Keramik der einzelnen genannten Nationen anhaften und die theils aus der Natur ihres Landes und ihrer vor¬ herrschenden Materialien, theils aus ihrer Lebensweise und ihren besondern Be¬ dürfnissen zu erklären sind, die aber groß genug sind, um für die Keramik jeder Nation einen sehr bestimmt ausgeprägten Charakter zu constituiren, ist es nun doch auch wieder interessant, die Uebereinstimmung zu beobachten, mit der gewisse Formen von allen in gleicher Weise festgehalten und gepflegt worden sind, so z. B. die Form einer seitwärts plattgedrückten runden Flasche, ähnlich unsern runden Jagdflaschen. Der Fortschritt, der in der Ausbildung einer Gefäßfvrm zu schönerer Ge¬ stalt und besserer Brauchbarkeit gemacht wird, indem sie von einem Volke zum andern wandert, beruht oft auf scheinbar ganz geringen Aenderungen, ans einer neuen Proportion des Fußes zum Obertheil, auf der geringern oder größern Biegung des Halses oder des Aufgusses, auf der einfachern oder künstlichem Ge¬ stalt des Deckels, auf der Zahl und den: Ansatz der Henkel. Der einfache eiförmige Becher z. B, dem ein Henkel angesetzt ist, welcher den Rand des Obertheils nicht überragt, was die ältere asiatische Form ist, gewinnt dadurch, daß der phönizische oder griechische Künstler den oder die Henkel in einer gewissen Pro¬ portion über den Rand erhöht, ein völlig anderes, ein weit gefälligeres Aussehn, in welchem er sich bis auf unsre Zeit erhalten hat. Was die classische griechische Kunst anlangt, so kann man sagen, daß ihr alle Bestandtheile zur Composition

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/398>, abgerufen am 30.05.2024.