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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Schliemanns Trojanische Sammlung,

ihrer schönen Gefäße von Asien her vorbereitet waren, und daß sie nur durch
eine neuartige und von der Anschauung eines schönern Ganzen inspirirte Com¬
bination der gegebnen Theile die classischen Formen geschaffen hat, die sich gegen
die asiatischen Formen, wozu auch die ägyptischen gehören, ausnehmen wie ein
Volk von Göttern gegen ein Volk von Bauern. Den Formen der griechischen
Vasen, Kruge, Becher u. s, w. liegt die Anschauung der schönen Menschengestalt
zu Grunde. Damit war aber ein ungeheurer Unterschied in der Form constituirt,
zu welchem noch derjenige hinzutrat, der in der kunstvollen Verzierung und Be¬
malung der für den Luxus bestimmten Gefäße beruhte.

Welche Stellung nimmt nun die barbarische oder trojanische, von Schliemann
aus den Trümmern mehrerer auf- und übereinander gebauten Städte ausgegrabene
Sammlung von Gefäßen zwischen den übrigen vorderasiatischen, der assyrischen,
ägyptischen, phönizischen und vorclassisch-griechischen ein? Dürfen wir nach den
von uns in London mit gewissenhaftem Bemühen angestellten Betrachtungen
und Vergleichungen über diesen Punkt ein kurzes Urtheil formuliren. so würden
wir sagen: Die barbarischen Gefäße repräsentiren mit einer Vollständigkeit, wie
es keine andern thun, sämmtliche Gefäßformen asiatischen Ursprungs, mit Aus¬
nahme allein der ganz eigenartigen, die in dem südlichen Gebirgslande von Vorder¬
indien gefunden worden sind, und deren bemerkenswertheste Eigenthümlichkeit
darin besteht, daß sie aus eingebauchtcn statt aus ausgebauchten Linien com-
Pvnirt sind. Die einzigen Formen, die der trojanischen Sammlung fehlen, sind
solche, die der ganz speciellen Natur andrer Länder angehören, z. B. die
hohen und schlanken Wasserkrüge vom Nilthal, die thönernen Särge der Assyrer,
die aus gradlinigen Flächen gebildeten, ursprünglich aus Holz gefertigten, später
in Thon nachgeahmten Gefäße des alten China n. a. in. Die Troja-Samm¬
lung zeigt mithin eine Art von eolluviss ^öntium, wodurch sie historisch
"Wischer die Nationen der asiatischen Ebenen und die Völkchen der griechischen
Inseln. Küstenebenen und Bergflüchen gestellt erscheint, so daß die Griechen nur
'" Troja oder im Trojanerlande die Augen aufzumachen brauchten, um alles,
was Asien an keramischer Kunst hervorgebracht hatte, auf einem Haufen bei¬
sammen zu finden. Damit ist die nicht hoch genug anzuschlagende Bedeutung
der Schlieinannschen Sammlung für die Culturgeschichte angedeutet. Diese
einzige Stellung, welche die Nordwestecke von Kleinasien in Bezug auf einen
hochwichtigen Theil der menschlichen Gerätschaften einnahm, beschränkte sich
nicht auf diese; es liegen Andeutungen genug vor. daß sie sich auf das ganze
Culturleben erstreckte.

Die deutsche Wissenschaft - das ist mit Fug und Recht zu sagen -- wird
aus der Autopsie der trojanischen Alterthümer in Berlin die fruchtbarsten An-


Schliemanns Trojanische Sammlung,

ihrer schönen Gefäße von Asien her vorbereitet waren, und daß sie nur durch
eine neuartige und von der Anschauung eines schönern Ganzen inspirirte Com¬
bination der gegebnen Theile die classischen Formen geschaffen hat, die sich gegen
die asiatischen Formen, wozu auch die ägyptischen gehören, ausnehmen wie ein
Volk von Göttern gegen ein Volk von Bauern. Den Formen der griechischen
Vasen, Kruge, Becher u. s, w. liegt die Anschauung der schönen Menschengestalt
zu Grunde. Damit war aber ein ungeheurer Unterschied in der Form constituirt,
zu welchem noch derjenige hinzutrat, der in der kunstvollen Verzierung und Be¬
malung der für den Luxus bestimmten Gefäße beruhte.

Welche Stellung nimmt nun die barbarische oder trojanische, von Schliemann
aus den Trümmern mehrerer auf- und übereinander gebauten Städte ausgegrabene
Sammlung von Gefäßen zwischen den übrigen vorderasiatischen, der assyrischen,
ägyptischen, phönizischen und vorclassisch-griechischen ein? Dürfen wir nach den
von uns in London mit gewissenhaftem Bemühen angestellten Betrachtungen
und Vergleichungen über diesen Punkt ein kurzes Urtheil formuliren. so würden
wir sagen: Die barbarischen Gefäße repräsentiren mit einer Vollständigkeit, wie
es keine andern thun, sämmtliche Gefäßformen asiatischen Ursprungs, mit Aus¬
nahme allein der ganz eigenartigen, die in dem südlichen Gebirgslande von Vorder¬
indien gefunden worden sind, und deren bemerkenswertheste Eigenthümlichkeit
darin besteht, daß sie aus eingebauchtcn statt aus ausgebauchten Linien com-
Pvnirt sind. Die einzigen Formen, die der trojanischen Sammlung fehlen, sind
solche, die der ganz speciellen Natur andrer Länder angehören, z. B. die
hohen und schlanken Wasserkrüge vom Nilthal, die thönernen Särge der Assyrer,
die aus gradlinigen Flächen gebildeten, ursprünglich aus Holz gefertigten, später
in Thon nachgeahmten Gefäße des alten China n. a. in. Die Troja-Samm¬
lung zeigt mithin eine Art von eolluviss ^öntium, wodurch sie historisch
»Wischer die Nationen der asiatischen Ebenen und die Völkchen der griechischen
Inseln. Küstenebenen und Bergflüchen gestellt erscheint, so daß die Griechen nur
'» Troja oder im Trojanerlande die Augen aufzumachen brauchten, um alles,
was Asien an keramischer Kunst hervorgebracht hatte, auf einem Haufen bei¬
sammen zu finden. Damit ist die nicht hoch genug anzuschlagende Bedeutung
der Schlieinannschen Sammlung für die Culturgeschichte angedeutet. Diese
einzige Stellung, welche die Nordwestecke von Kleinasien in Bezug auf einen
hochwichtigen Theil der menschlichen Gerätschaften einnahm, beschränkte sich
nicht auf diese; es liegen Andeutungen genug vor. daß sie sich auf das ganze
Culturleben erstreckte.

Die deutsche Wissenschaft - das ist mit Fug und Recht zu sagen — wird
aus der Autopsie der trojanischen Alterthümer in Berlin die fruchtbarsten An-


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[0399] Schliemanns Trojanische Sammlung, ihrer schönen Gefäße von Asien her vorbereitet waren, und daß sie nur durch eine neuartige und von der Anschauung eines schönern Ganzen inspirirte Com¬ bination der gegebnen Theile die classischen Formen geschaffen hat, die sich gegen die asiatischen Formen, wozu auch die ägyptischen gehören, ausnehmen wie ein Volk von Göttern gegen ein Volk von Bauern. Den Formen der griechischen Vasen, Kruge, Becher u. s, w. liegt die Anschauung der schönen Menschengestalt zu Grunde. Damit war aber ein ungeheurer Unterschied in der Form constituirt, zu welchem noch derjenige hinzutrat, der in der kunstvollen Verzierung und Be¬ malung der für den Luxus bestimmten Gefäße beruhte. Welche Stellung nimmt nun die barbarische oder trojanische, von Schliemann aus den Trümmern mehrerer auf- und übereinander gebauten Städte ausgegrabene Sammlung von Gefäßen zwischen den übrigen vorderasiatischen, der assyrischen, ägyptischen, phönizischen und vorclassisch-griechischen ein? Dürfen wir nach den von uns in London mit gewissenhaftem Bemühen angestellten Betrachtungen und Vergleichungen über diesen Punkt ein kurzes Urtheil formuliren. so würden wir sagen: Die barbarischen Gefäße repräsentiren mit einer Vollständigkeit, wie es keine andern thun, sämmtliche Gefäßformen asiatischen Ursprungs, mit Aus¬ nahme allein der ganz eigenartigen, die in dem südlichen Gebirgslande von Vorder¬ indien gefunden worden sind, und deren bemerkenswertheste Eigenthümlichkeit darin besteht, daß sie aus eingebauchtcn statt aus ausgebauchten Linien com- Pvnirt sind. Die einzigen Formen, die der trojanischen Sammlung fehlen, sind solche, die der ganz speciellen Natur andrer Länder angehören, z. B. die hohen und schlanken Wasserkrüge vom Nilthal, die thönernen Särge der Assyrer, die aus gradlinigen Flächen gebildeten, ursprünglich aus Holz gefertigten, später in Thon nachgeahmten Gefäße des alten China n. a. in. Die Troja-Samm¬ lung zeigt mithin eine Art von eolluviss ^öntium, wodurch sie historisch »Wischer die Nationen der asiatischen Ebenen und die Völkchen der griechischen Inseln. Küstenebenen und Bergflüchen gestellt erscheint, so daß die Griechen nur '» Troja oder im Trojanerlande die Augen aufzumachen brauchten, um alles, was Asien an keramischer Kunst hervorgebracht hatte, auf einem Haufen bei¬ sammen zu finden. Damit ist die nicht hoch genug anzuschlagende Bedeutung der Schlieinannschen Sammlung für die Culturgeschichte angedeutet. Diese einzige Stellung, welche die Nordwestecke von Kleinasien in Bezug auf einen hochwichtigen Theil der menschlichen Gerätschaften einnahm, beschränkte sich nicht auf diese; es liegen Andeutungen genug vor. daß sie sich auf das ganze Culturleben erstreckte. Die deutsche Wissenschaft - das ist mit Fug und Recht zu sagen — wird aus der Autopsie der trojanischen Alterthümer in Berlin die fruchtbarsten An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/399>, abgerufen am 14.05.2024.