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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Cornelius im Lichte der Gegenwart.

Einfluß auf den Entwicklungsgang seiner vaterländischen Kunst gewonnen hat.
Er wird sich fragen, weshalb der Entwicklungsgang dieser Kunst in directe
Opposition zu ihm getreten ist. Sein Erstaunen über die befremdlichen That¬
sachen wird wachsen, wenn er zunächst die Literatur um Rath fragt. Kein
Künstler ist bei seinen Lebzeiten und kurz nach seinem Tode durch die Schrift
in gleichem Maße verherrlicht worden wie Cornelius. Riegel, Förster, Grimm
und viele andere haben in panegyrischen Schilderungen des Mannes und seiner
Werke mit einander gewetteifert. Wer es wagte, "mit Bewunderung zu zweifeln,
mit Zweifel zu bewundern," wurde verketzert, verhöhnt und schließlich nieder¬
geschrieen. Kugler hätte beinahe sein ganzes Ansehn als Kunstrichter eingebüßt,
als er sich einmal erlaubte, über Cornelius drucken zu lassen, was in Berlin
von Mund zu Munde ging.

Ueberlassen wir nun den armen Hyperboräer seinem Schicksal. Er wird
durch die Corneliusliteratur noch stutziger und verwirrter werden als in der
Nationalgalerie beim Anschauen des empirischen Materials. Suchen wir auf
anderm Wege die Gründe zu ermitteln, weshalb Cornelius stets so unpopulär
gewesen ist, weshalb er keinen Einfluß auf die Kunst seiner Zeit gewinnen
konnte, und weshalb die Gegenwart sich vollständig von ihm abgewendet hat.
Ich werde mich bei dieser Untersuchung selbstverständlich auf die objective Zu¬
sammenstellung von Thatsachen beschränken, da es auch heute noch sehr ge¬
fährlich ist, an der Jnfallibilität des Meisters herumzudeuteln. Denn in
München sitzt Dr. Ernst Förster, der Geschichtsschreiber der neuern deutschen
Kunst, welche mit Cornelius anfängt und mit Cornelius aufhört, und eifer¬
süchtig wacht der Kunstveteran über dem Ruhme seines theuern Meisters, jeden
mit echt bajuvarischer Grobheit niederdonnernd, der sich unterfängt, auch nur
das leiseste Wörtlein gegen seinen Heros vorzubringen. Erst neulich mußte
das zu seinem Schaden Ludwig Pietsch erfahren, der im Juli 1879 in der
"Deutschen Rundschau" in einem Artikel über die Nationalgalerie ganz beiläufig
folgendes verlauten ließ: "Mir scheint es kaum zweifelhaft, daß der Pietät und
der Verehrung für den gewaltigen Meister damit vollkommen genug gethan wäre
und die Erkenntniß seiner eigenthümlichen Kunst, Art und Größe dadurch nichts
verlieren würde, wenn seine Schöpfungen hier, statt in diesen riesigen, doch vor
der Vergänglichkeit kaum dauernd zu bewahrenden Original-Cartons, in vollendet
ausgeführten Facsimile-Heliogravüren bescheideneren Maßstabs in der National¬
galerie ausgestellt würden. Der Gedanke, die Composition und die Zeichnung
kämen ja in denselben ganz ebenso zur Geltung als in den Kohlenbildern
dieser ungeheuren Papierflächen." Ob dieses Frevels ergrimmte Förster ganz
gewaltig und ergoß die Schale seines Zornes in der Augsburger "Allgemeinen
Zeitung" über das Haupt des Berliner Kritikers, der mit jenen Worten nicht


Grenzboten I. 18S1, 6
Cornelius im Lichte der Gegenwart.

Einfluß auf den Entwicklungsgang seiner vaterländischen Kunst gewonnen hat.
Er wird sich fragen, weshalb der Entwicklungsgang dieser Kunst in directe
Opposition zu ihm getreten ist. Sein Erstaunen über die befremdlichen That¬
sachen wird wachsen, wenn er zunächst die Literatur um Rath fragt. Kein
Künstler ist bei seinen Lebzeiten und kurz nach seinem Tode durch die Schrift
in gleichem Maße verherrlicht worden wie Cornelius. Riegel, Förster, Grimm
und viele andere haben in panegyrischen Schilderungen des Mannes und seiner
Werke mit einander gewetteifert. Wer es wagte, „mit Bewunderung zu zweifeln,
mit Zweifel zu bewundern," wurde verketzert, verhöhnt und schließlich nieder¬
geschrieen. Kugler hätte beinahe sein ganzes Ansehn als Kunstrichter eingebüßt,
als er sich einmal erlaubte, über Cornelius drucken zu lassen, was in Berlin
von Mund zu Munde ging.

Ueberlassen wir nun den armen Hyperboräer seinem Schicksal. Er wird
durch die Corneliusliteratur noch stutziger und verwirrter werden als in der
Nationalgalerie beim Anschauen des empirischen Materials. Suchen wir auf
anderm Wege die Gründe zu ermitteln, weshalb Cornelius stets so unpopulär
gewesen ist, weshalb er keinen Einfluß auf die Kunst seiner Zeit gewinnen
konnte, und weshalb die Gegenwart sich vollständig von ihm abgewendet hat.
Ich werde mich bei dieser Untersuchung selbstverständlich auf die objective Zu¬
sammenstellung von Thatsachen beschränken, da es auch heute noch sehr ge¬
fährlich ist, an der Jnfallibilität des Meisters herumzudeuteln. Denn in
München sitzt Dr. Ernst Förster, der Geschichtsschreiber der neuern deutschen
Kunst, welche mit Cornelius anfängt und mit Cornelius aufhört, und eifer¬
süchtig wacht der Kunstveteran über dem Ruhme seines theuern Meisters, jeden
mit echt bajuvarischer Grobheit niederdonnernd, der sich unterfängt, auch nur
das leiseste Wörtlein gegen seinen Heros vorzubringen. Erst neulich mußte
das zu seinem Schaden Ludwig Pietsch erfahren, der im Juli 1879 in der
„Deutschen Rundschau" in einem Artikel über die Nationalgalerie ganz beiläufig
folgendes verlauten ließ: „Mir scheint es kaum zweifelhaft, daß der Pietät und
der Verehrung für den gewaltigen Meister damit vollkommen genug gethan wäre
und die Erkenntniß seiner eigenthümlichen Kunst, Art und Größe dadurch nichts
verlieren würde, wenn seine Schöpfungen hier, statt in diesen riesigen, doch vor
der Vergänglichkeit kaum dauernd zu bewahrenden Original-Cartons, in vollendet
ausgeführten Facsimile-Heliogravüren bescheideneren Maßstabs in der National¬
galerie ausgestellt würden. Der Gedanke, die Composition und die Zeichnung
kämen ja in denselben ganz ebenso zur Geltung als in den Kohlenbildern
dieser ungeheuren Papierflächen." Ob dieses Frevels ergrimmte Förster ganz
gewaltig und ergoß die Schale seines Zornes in der Augsburger „Allgemeinen
Zeitung" über das Haupt des Berliner Kritikers, der mit jenen Worten nicht


Grenzboten I. 18S1, 6
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[0041] Cornelius im Lichte der Gegenwart. Einfluß auf den Entwicklungsgang seiner vaterländischen Kunst gewonnen hat. Er wird sich fragen, weshalb der Entwicklungsgang dieser Kunst in directe Opposition zu ihm getreten ist. Sein Erstaunen über die befremdlichen That¬ sachen wird wachsen, wenn er zunächst die Literatur um Rath fragt. Kein Künstler ist bei seinen Lebzeiten und kurz nach seinem Tode durch die Schrift in gleichem Maße verherrlicht worden wie Cornelius. Riegel, Förster, Grimm und viele andere haben in panegyrischen Schilderungen des Mannes und seiner Werke mit einander gewetteifert. Wer es wagte, „mit Bewunderung zu zweifeln, mit Zweifel zu bewundern," wurde verketzert, verhöhnt und schließlich nieder¬ geschrieen. Kugler hätte beinahe sein ganzes Ansehn als Kunstrichter eingebüßt, als er sich einmal erlaubte, über Cornelius drucken zu lassen, was in Berlin von Mund zu Munde ging. Ueberlassen wir nun den armen Hyperboräer seinem Schicksal. Er wird durch die Corneliusliteratur noch stutziger und verwirrter werden als in der Nationalgalerie beim Anschauen des empirischen Materials. Suchen wir auf anderm Wege die Gründe zu ermitteln, weshalb Cornelius stets so unpopulär gewesen ist, weshalb er keinen Einfluß auf die Kunst seiner Zeit gewinnen konnte, und weshalb die Gegenwart sich vollständig von ihm abgewendet hat. Ich werde mich bei dieser Untersuchung selbstverständlich auf die objective Zu¬ sammenstellung von Thatsachen beschränken, da es auch heute noch sehr ge¬ fährlich ist, an der Jnfallibilität des Meisters herumzudeuteln. Denn in München sitzt Dr. Ernst Förster, der Geschichtsschreiber der neuern deutschen Kunst, welche mit Cornelius anfängt und mit Cornelius aufhört, und eifer¬ süchtig wacht der Kunstveteran über dem Ruhme seines theuern Meisters, jeden mit echt bajuvarischer Grobheit niederdonnernd, der sich unterfängt, auch nur das leiseste Wörtlein gegen seinen Heros vorzubringen. Erst neulich mußte das zu seinem Schaden Ludwig Pietsch erfahren, der im Juli 1879 in der „Deutschen Rundschau" in einem Artikel über die Nationalgalerie ganz beiläufig folgendes verlauten ließ: „Mir scheint es kaum zweifelhaft, daß der Pietät und der Verehrung für den gewaltigen Meister damit vollkommen genug gethan wäre und die Erkenntniß seiner eigenthümlichen Kunst, Art und Größe dadurch nichts verlieren würde, wenn seine Schöpfungen hier, statt in diesen riesigen, doch vor der Vergänglichkeit kaum dauernd zu bewahrenden Original-Cartons, in vollendet ausgeführten Facsimile-Heliogravüren bescheideneren Maßstabs in der National¬ galerie ausgestellt würden. Der Gedanke, die Composition und die Zeichnung kämen ja in denselben ganz ebenso zur Geltung als in den Kohlenbildern dieser ungeheuren Papierflächen." Ob dieses Frevels ergrimmte Förster ganz gewaltig und ergoß die Schale seines Zornes in der Augsburger „Allgemeinen Zeitung" über das Haupt des Berliner Kritikers, der mit jenen Worten nicht Grenzboten I. 18S1, 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/41>, abgerufen am 15.05.2024.