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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Cornelius im Lichte der Gegenwart.

sowohl seiner eignen Meinung, sondern auch den Anschauungen Ausdruck ge¬
geben hatte, welche in Berlin von der großen Majorität der Künstler und auch
von der Mehrzahl der kunstfreundlichen Laien getheilt werden. Noch weiter als
Förster ging Herman Riegel, indem er gegen die Aeußerungen Pietschs in den
"Preußischen Jahrbüchern" einen Artikel unter der Ueberschrift "Ein Gewalt¬
plan (!) gegen Cornelius" losließ. Bei Cornelius von einer "Vergewaltigung"
zu sprechen, der gern jede andere Kunstrichtung, die nicht die seinige war, mit
Gewalt unterdrückt hätte, wenn ihm die Macht dazu gegeben worden wäre!

In meinem Buche "Die Berliner Malerschule" habe ich nach den Quellen,
zum größten Theile sogar nach Cornelius' eignen Aeußerungen, die Gründe
zusammengestellt, weshalb Cornelius in Berlin keinen Boden und keine Popu¬
larität gewinnen konnte. Auch diese ganz objective Darlegung der Thatsachen,
bei welcher ich mich eines jeden kritischen Urtheils enthielt und von Cornelius
selbst in durchaus anerkennenden Ausdrücken sprach, ist mir von hochconserva-
tiver Seite verübelt worden, und man hat mir in Aussicht gestellt, wegen dieses
Attentats mit mir ins Gericht zu gehen. Ich citire diese Kleinigkeit nur, um
zu zeigen, wie groß die Empfindlichkeit in Sachen Cornelius' noch heute ist.
Bei Cornelius handelt es sich nicht mehr um ein Urtheil künstlerischen Ge¬
schmacks, der sich für oder gegen ihn erklären darf, etwa wie der eine Raffael
liebt und Rembrandt nicht, sondern um ein politisch-religiöses Glaubensbekennt¬
niß. Wer nicht vor Cornelius' Künstlergröße anbetend niedersinkt, wird als
Ketzer, Heide, Materialist verdächtigt, verleumdet und geschmäht.

Dieser Fanatismus entspricht durchaus dem Geiste des Gepriesenen. Ich
erkenne seine einsame und erhabene Größe willig an. Cornelius ist ein schöpfe¬
risches Originalgenie, welches man immer neben Dante, Michelangelo und
Milton nennen wird. Er vereinigte geistige Kräfte, wie sie sich nur aller zwei
oder drei Jahrhunderte in einem Menschen beisammen finden. Er war als
Dichter und Philosoph der größten einer. Als Compositeur steht er auch in
der Malerei unerreicht da. Aber diesen hervorragenden Eigenschaften standen
auch nicht minder hervorragende Schwächen gegenüber, gegen welche nur seine
Panegyriker blind sein können. Wir sind bei der Beurtheilung von Cornelius'
persönlichen Eigenschaften in der glücklichen Lage, uns stets auf seine eignen
Aeußerungen beziehen zu können. Auf Künstlerklatsch brauchen wir uns nicht
zu stützen.

Die Familie Buonarotti folgte einem ganz berechtigten Instinkt, als sie
Jahrhunderte lang ihr Hausarchiv der Forschung verschloß. Nachdem jetzt der
vollständige noch vorhandene Briefwechsel Michelangelos zu Tage gekommen,
hat fich das Charakterbild des großen Künstlers sehr zu seinem Nachtheile ver¬
ändert. Aus seiner Correspondenz erfahren wir, daß Michelangelo von einem


Cornelius im Lichte der Gegenwart.

sowohl seiner eignen Meinung, sondern auch den Anschauungen Ausdruck ge¬
geben hatte, welche in Berlin von der großen Majorität der Künstler und auch
von der Mehrzahl der kunstfreundlichen Laien getheilt werden. Noch weiter als
Förster ging Herman Riegel, indem er gegen die Aeußerungen Pietschs in den
„Preußischen Jahrbüchern" einen Artikel unter der Ueberschrift „Ein Gewalt¬
plan (!) gegen Cornelius" losließ. Bei Cornelius von einer „Vergewaltigung"
zu sprechen, der gern jede andere Kunstrichtung, die nicht die seinige war, mit
Gewalt unterdrückt hätte, wenn ihm die Macht dazu gegeben worden wäre!

In meinem Buche „Die Berliner Malerschule" habe ich nach den Quellen,
zum größten Theile sogar nach Cornelius' eignen Aeußerungen, die Gründe
zusammengestellt, weshalb Cornelius in Berlin keinen Boden und keine Popu¬
larität gewinnen konnte. Auch diese ganz objective Darlegung der Thatsachen,
bei welcher ich mich eines jeden kritischen Urtheils enthielt und von Cornelius
selbst in durchaus anerkennenden Ausdrücken sprach, ist mir von hochconserva-
tiver Seite verübelt worden, und man hat mir in Aussicht gestellt, wegen dieses
Attentats mit mir ins Gericht zu gehen. Ich citire diese Kleinigkeit nur, um
zu zeigen, wie groß die Empfindlichkeit in Sachen Cornelius' noch heute ist.
Bei Cornelius handelt es sich nicht mehr um ein Urtheil künstlerischen Ge¬
schmacks, der sich für oder gegen ihn erklären darf, etwa wie der eine Raffael
liebt und Rembrandt nicht, sondern um ein politisch-religiöses Glaubensbekennt¬
niß. Wer nicht vor Cornelius' Künstlergröße anbetend niedersinkt, wird als
Ketzer, Heide, Materialist verdächtigt, verleumdet und geschmäht.

Dieser Fanatismus entspricht durchaus dem Geiste des Gepriesenen. Ich
erkenne seine einsame und erhabene Größe willig an. Cornelius ist ein schöpfe¬
risches Originalgenie, welches man immer neben Dante, Michelangelo und
Milton nennen wird. Er vereinigte geistige Kräfte, wie sie sich nur aller zwei
oder drei Jahrhunderte in einem Menschen beisammen finden. Er war als
Dichter und Philosoph der größten einer. Als Compositeur steht er auch in
der Malerei unerreicht da. Aber diesen hervorragenden Eigenschaften standen
auch nicht minder hervorragende Schwächen gegenüber, gegen welche nur seine
Panegyriker blind sein können. Wir sind bei der Beurtheilung von Cornelius'
persönlichen Eigenschaften in der glücklichen Lage, uns stets auf seine eignen
Aeußerungen beziehen zu können. Auf Künstlerklatsch brauchen wir uns nicht
zu stützen.

Die Familie Buonarotti folgte einem ganz berechtigten Instinkt, als sie
Jahrhunderte lang ihr Hausarchiv der Forschung verschloß. Nachdem jetzt der
vollständige noch vorhandene Briefwechsel Michelangelos zu Tage gekommen,
hat fich das Charakterbild des großen Künstlers sehr zu seinem Nachtheile ver¬
ändert. Aus seiner Correspondenz erfahren wir, daß Michelangelo von einem


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[0042] Cornelius im Lichte der Gegenwart. sowohl seiner eignen Meinung, sondern auch den Anschauungen Ausdruck ge¬ geben hatte, welche in Berlin von der großen Majorität der Künstler und auch von der Mehrzahl der kunstfreundlichen Laien getheilt werden. Noch weiter als Förster ging Herman Riegel, indem er gegen die Aeußerungen Pietschs in den „Preußischen Jahrbüchern" einen Artikel unter der Ueberschrift „Ein Gewalt¬ plan (!) gegen Cornelius" losließ. Bei Cornelius von einer „Vergewaltigung" zu sprechen, der gern jede andere Kunstrichtung, die nicht die seinige war, mit Gewalt unterdrückt hätte, wenn ihm die Macht dazu gegeben worden wäre! In meinem Buche „Die Berliner Malerschule" habe ich nach den Quellen, zum größten Theile sogar nach Cornelius' eignen Aeußerungen, die Gründe zusammengestellt, weshalb Cornelius in Berlin keinen Boden und keine Popu¬ larität gewinnen konnte. Auch diese ganz objective Darlegung der Thatsachen, bei welcher ich mich eines jeden kritischen Urtheils enthielt und von Cornelius selbst in durchaus anerkennenden Ausdrücken sprach, ist mir von hochconserva- tiver Seite verübelt worden, und man hat mir in Aussicht gestellt, wegen dieses Attentats mit mir ins Gericht zu gehen. Ich citire diese Kleinigkeit nur, um zu zeigen, wie groß die Empfindlichkeit in Sachen Cornelius' noch heute ist. Bei Cornelius handelt es sich nicht mehr um ein Urtheil künstlerischen Ge¬ schmacks, der sich für oder gegen ihn erklären darf, etwa wie der eine Raffael liebt und Rembrandt nicht, sondern um ein politisch-religiöses Glaubensbekennt¬ niß. Wer nicht vor Cornelius' Künstlergröße anbetend niedersinkt, wird als Ketzer, Heide, Materialist verdächtigt, verleumdet und geschmäht. Dieser Fanatismus entspricht durchaus dem Geiste des Gepriesenen. Ich erkenne seine einsame und erhabene Größe willig an. Cornelius ist ein schöpfe¬ risches Originalgenie, welches man immer neben Dante, Michelangelo und Milton nennen wird. Er vereinigte geistige Kräfte, wie sie sich nur aller zwei oder drei Jahrhunderte in einem Menschen beisammen finden. Er war als Dichter und Philosoph der größten einer. Als Compositeur steht er auch in der Malerei unerreicht da. Aber diesen hervorragenden Eigenschaften standen auch nicht minder hervorragende Schwächen gegenüber, gegen welche nur seine Panegyriker blind sein können. Wir sind bei der Beurtheilung von Cornelius' persönlichen Eigenschaften in der glücklichen Lage, uns stets auf seine eignen Aeußerungen beziehen zu können. Auf Künstlerklatsch brauchen wir uns nicht zu stützen. Die Familie Buonarotti folgte einem ganz berechtigten Instinkt, als sie Jahrhunderte lang ihr Hausarchiv der Forschung verschloß. Nachdem jetzt der vollständige noch vorhandene Briefwechsel Michelangelos zu Tage gekommen, hat fich das Charakterbild des großen Künstlers sehr zu seinem Nachtheile ver¬ ändert. Aus seiner Correspondenz erfahren wir, daß Michelangelo von einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/42>, abgerufen am 15.05.2024.