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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die Enthüllungen über die russische Politik in Asien.

lente annahmen, die Beziehungen zwischen Rußland und England und die
Stellungen der beiden Mächte in Asien seien ganz und gar verschieden von dem,
was sie, wie wir jetzt sicher wissen, wirklich gewesen sind .... Regierungen be¬
sitzen unzweifelhaft das Recht und die Pflicht, diplomatische Documente nach
Gutdünken ihren Landsleuten mitzutheilen oder vorzuenthalten. Wozu sie aber
nicht berechtigt siud, was sie nicht thun können, ohne die Volksregicrung zu einem
bloßen scheut und einer Posse zu machen, das ist die Ermuthigung ihrer Lands¬
leute zu einer Auffassung der Dinge, welche den documentarischen Beweisen in
den Händen der Minister gänzlich widerspricht. Die frühere und die jetzige Ver¬
waltung mag berechtigt gewesen heilt, die officiellen Beweise für die Thatsache,
daß die russische Regierung die englische vor vier Jahren zu einer Theilung
Asiens eingeladen und sich dafür die Erlaubniß, sich auch ein Stück davon zu
nehmen und in Asien bis zum Hindukusch vorzudringen, ausgebeten hat, nicht
zu veröffentlichen. Wozu sie aber nicht befugt waren, das war die Wieder¬
holung und Sanctionirung der Wiederholung der alten Gemeinplätze über .Russen¬
furcht/ von denen sie wußten, daß sie einen gefährlichen Irrthum einschlossen,
und die in ihrem Schweigen liegende, ja selbst in Worten ausgedrückte Ein¬
stimmung in' den Chor wohlfeiler Scirkasmen, mit denen die Warnungen soge¬
nannter Russophoben empfangen wurden. Es giebt keinerlei Schlüsse aus den
heutigen Enthüllungen, die nicht schon wiederholt in der Gestalt offenbar die
Wahrscheinlichkeit für sich habender Vermuthungen und Betrachtungen dein Lande
vorgetragen worden wären; aber sie kamen von unverantwortlichen Tagesschrift¬
stellern und dergleichen Leuten und wurden sofort mit der falschen Aufschrift
,Panik und .Alarmschlagen' bezeichnet -- einer Aufschrift, von der die Regierung
wußte, daß sie falsch war, die sie aber nicht nur nicht beseitigte, sondern zuweilen
sogar befestigte. Jetzt ist die Wahrheit an den Tag gekommen, vielleicht noch
nicht die ganze, aber genug, um die Freunde Rußlands hier zu Lande zu fragen,
ob sie uoch immer so verliebt in die Politik eines .freundschaftlichen Einver¬
nehmens' mit jener Macht sind wie früher, und wohin nach ihrer Meinung ein
Einvernehmen, wie es mit jenen Vorschlägen (Schuwaloffs) angedeutet wurde,
ein englisches Ministerium verschlagen haben würde, das verrückt genug gewesen
wäre, auf solche Anerbietungen einzugehen."




Die Enthüllungen über die russische Politik in Asien.

lente annahmen, die Beziehungen zwischen Rußland und England und die
Stellungen der beiden Mächte in Asien seien ganz und gar verschieden von dem,
was sie, wie wir jetzt sicher wissen, wirklich gewesen sind .... Regierungen be¬
sitzen unzweifelhaft das Recht und die Pflicht, diplomatische Documente nach
Gutdünken ihren Landsleuten mitzutheilen oder vorzuenthalten. Wozu sie aber
nicht berechtigt siud, was sie nicht thun können, ohne die Volksregicrung zu einem
bloßen scheut und einer Posse zu machen, das ist die Ermuthigung ihrer Lands¬
leute zu einer Auffassung der Dinge, welche den documentarischen Beweisen in
den Händen der Minister gänzlich widerspricht. Die frühere und die jetzige Ver¬
waltung mag berechtigt gewesen heilt, die officiellen Beweise für die Thatsache,
daß die russische Regierung die englische vor vier Jahren zu einer Theilung
Asiens eingeladen und sich dafür die Erlaubniß, sich auch ein Stück davon zu
nehmen und in Asien bis zum Hindukusch vorzudringen, ausgebeten hat, nicht
zu veröffentlichen. Wozu sie aber nicht befugt waren, das war die Wieder¬
holung und Sanctionirung der Wiederholung der alten Gemeinplätze über .Russen¬
furcht/ von denen sie wußten, daß sie einen gefährlichen Irrthum einschlossen,
und die in ihrem Schweigen liegende, ja selbst in Worten ausgedrückte Ein¬
stimmung in' den Chor wohlfeiler Scirkasmen, mit denen die Warnungen soge¬
nannter Russophoben empfangen wurden. Es giebt keinerlei Schlüsse aus den
heutigen Enthüllungen, die nicht schon wiederholt in der Gestalt offenbar die
Wahrscheinlichkeit für sich habender Vermuthungen und Betrachtungen dein Lande
vorgetragen worden wären; aber sie kamen von unverantwortlichen Tagesschrift¬
stellern und dergleichen Leuten und wurden sofort mit der falschen Aufschrift
,Panik und .Alarmschlagen' bezeichnet — einer Aufschrift, von der die Regierung
wußte, daß sie falsch war, die sie aber nicht nur nicht beseitigte, sondern zuweilen
sogar befestigte. Jetzt ist die Wahrheit an den Tag gekommen, vielleicht noch
nicht die ganze, aber genug, um die Freunde Rußlands hier zu Lande zu fragen,
ob sie uoch immer so verliebt in die Politik eines .freundschaftlichen Einver¬
nehmens' mit jener Macht sind wie früher, und wohin nach ihrer Meinung ein
Einvernehmen, wie es mit jenen Vorschlägen (Schuwaloffs) angedeutet wurde,
ein englisches Ministerium verschlagen haben würde, das verrückt genug gewesen
wäre, auf solche Anerbietungen einzugehen."




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[0466] Die Enthüllungen über die russische Politik in Asien. lente annahmen, die Beziehungen zwischen Rußland und England und die Stellungen der beiden Mächte in Asien seien ganz und gar verschieden von dem, was sie, wie wir jetzt sicher wissen, wirklich gewesen sind .... Regierungen be¬ sitzen unzweifelhaft das Recht und die Pflicht, diplomatische Documente nach Gutdünken ihren Landsleuten mitzutheilen oder vorzuenthalten. Wozu sie aber nicht berechtigt siud, was sie nicht thun können, ohne die Volksregicrung zu einem bloßen scheut und einer Posse zu machen, das ist die Ermuthigung ihrer Lands¬ leute zu einer Auffassung der Dinge, welche den documentarischen Beweisen in den Händen der Minister gänzlich widerspricht. Die frühere und die jetzige Ver¬ waltung mag berechtigt gewesen heilt, die officiellen Beweise für die Thatsache, daß die russische Regierung die englische vor vier Jahren zu einer Theilung Asiens eingeladen und sich dafür die Erlaubniß, sich auch ein Stück davon zu nehmen und in Asien bis zum Hindukusch vorzudringen, ausgebeten hat, nicht zu veröffentlichen. Wozu sie aber nicht befugt waren, das war die Wieder¬ holung und Sanctionirung der Wiederholung der alten Gemeinplätze über .Russen¬ furcht/ von denen sie wußten, daß sie einen gefährlichen Irrthum einschlossen, und die in ihrem Schweigen liegende, ja selbst in Worten ausgedrückte Ein¬ stimmung in' den Chor wohlfeiler Scirkasmen, mit denen die Warnungen soge¬ nannter Russophoben empfangen wurden. Es giebt keinerlei Schlüsse aus den heutigen Enthüllungen, die nicht schon wiederholt in der Gestalt offenbar die Wahrscheinlichkeit für sich habender Vermuthungen und Betrachtungen dein Lande vorgetragen worden wären; aber sie kamen von unverantwortlichen Tagesschrift¬ stellern und dergleichen Leuten und wurden sofort mit der falschen Aufschrift ,Panik und .Alarmschlagen' bezeichnet — einer Aufschrift, von der die Regierung wußte, daß sie falsch war, die sie aber nicht nur nicht beseitigte, sondern zuweilen sogar befestigte. Jetzt ist die Wahrheit an den Tag gekommen, vielleicht noch nicht die ganze, aber genug, um die Freunde Rußlands hier zu Lande zu fragen, ob sie uoch immer so verliebt in die Politik eines .freundschaftlichen Einver¬ nehmens' mit jener Macht sind wie früher, und wohin nach ihrer Meinung ein Einvernehmen, wie es mit jenen Vorschlägen (Schuwaloffs) angedeutet wurde, ein englisches Ministerium verschlagen haben würde, das verrückt genug gewesen wäre, auf solche Anerbietungen einzugehen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/466>, abgerufen am 14.05.2024.