Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Cornelius im Lichte der Gegenwart.

thuenden Harmonie zu verbinden, werde sicherlich von tiefgehendem Einfluß
auf die heranwachsende Künstlergeneration sein, die gerade die Komposition
mehr als billig vernachlässige. Demgegenüber wurde jedoch geltend gemacht,
daß Cornelius als Zeichner den aufstrebenden Kunstjüngern keineswegs zu
empfehlen sei und daß sich durch sein gewaltiges, mächtig anreizendes Bei¬
spiel leicht eine gefährliche Manierirtheit in der Zeichnung einbürgern könne.

Es ist dieses ein wunder Punkt, der aber nicht umgangen werden kann,
wenn es sich darum handelt, die Gründe festzustellen, weshalb Cornelius unter
der Mehrzahl der lebenden Künstler eines so geringen Ansehens genießt. Man
findet oft die Behauptung, daß die productive Kraft bei Cornelius bis zu seinem
letzten Athemzuge ungebrochen gewesen sei. Mag sein. Seine technischen Fähig¬
keiten waren jedoch in den letzten Jahrzehnten unzweifelhaft in der Abnahme
begriffen. Die Cartons für den Campo Santo, die er theils in Berlin, theils
in Rom angefertigt hat, zeigen zum Theil bedenkliche Schwächen in der Zeich¬
nung. Ich bediene mich dabei noch eines ganz milden Ausdrucks im Vergleich
zu denen, die in Künstlerkreisen über Cornelius als Zeichner colportirt werden.
Ich will den rücksichtslosen Tadlern, bei denen ein gut Theil Neid mit unter¬
laufen mag, nicht das Wort reden, aber ich kann auch nicht verschweigen, daß
ihre Angriffe nicht ungerechtfertigt sind.

Diese Flüchtigkeiten in der Zeichnung erklären sich leicht aus der Methode,
die Cornelius befolgte. "Wenn Sie etwas zeichnen, sagte er zu Löste, immer
dabei ans Auswendiglernen denken! Wenn Sie einen Akt zeichnen, thun Sie's
höchstens in der Größe von vielleicht einem Fuß, mit scharfem, hartem Blei,
nie mit dem Wischer! So haben es Michelangelo und Raffael gemacht, und
ich habe danach die kolossalsten Figuren ausführen können. Haben Sie einen
Akt fertig, zeichnen Sie ihn noch einmal aus dem Kopf ... Die Akademiker
pflegen bloß die Handfertigkeit der Nachahmung, aber nie diese Kraft des Ge¬
dächtnisses. Daher sind die armen Künstler nachher aufs Modell angewiesen,
weil sie nicht genug Stoff im Kopfe haben ... Mit dem Gebrauche des
Modells habe ichs immer so gehalten. Selten zeichne ich den ganzen Körper,
ich zeichne die Bewegung aus meiner Idee, wie nach meiner Ansicht
die Natur es in ihrer Spontaneität machen würde (nicht jedes Modell ist
freie Natur); dann zeichne ich die einzelnen Glieder nach dem Modell, ge¬
brauche diese dann aber so, daß man es nicht ahnt." Diese Methode des Aus¬
wendiglernens erwies sich nicht immer als ganz zuverlässig. Oft ließ Cornelius
sein Gedächtniß im Stich, und es kamen Bildungen zu Stande, die mit der
Natur gar nichts mehr zu thun haben. Cornelius schuf sich allmählich eine
Welt von Idealmenschen, die nach ganz andern Bedingungen zu leben und sich
zu bewegen schienen, als diejenigen sind, an die wir uns gewöhnt haben. Seine


Cornelius im Lichte der Gegenwart.

thuenden Harmonie zu verbinden, werde sicherlich von tiefgehendem Einfluß
auf die heranwachsende Künstlergeneration sein, die gerade die Komposition
mehr als billig vernachlässige. Demgegenüber wurde jedoch geltend gemacht,
daß Cornelius als Zeichner den aufstrebenden Kunstjüngern keineswegs zu
empfehlen sei und daß sich durch sein gewaltiges, mächtig anreizendes Bei¬
spiel leicht eine gefährliche Manierirtheit in der Zeichnung einbürgern könne.

Es ist dieses ein wunder Punkt, der aber nicht umgangen werden kann,
wenn es sich darum handelt, die Gründe festzustellen, weshalb Cornelius unter
der Mehrzahl der lebenden Künstler eines so geringen Ansehens genießt. Man
findet oft die Behauptung, daß die productive Kraft bei Cornelius bis zu seinem
letzten Athemzuge ungebrochen gewesen sei. Mag sein. Seine technischen Fähig¬
keiten waren jedoch in den letzten Jahrzehnten unzweifelhaft in der Abnahme
begriffen. Die Cartons für den Campo Santo, die er theils in Berlin, theils
in Rom angefertigt hat, zeigen zum Theil bedenkliche Schwächen in der Zeich¬
nung. Ich bediene mich dabei noch eines ganz milden Ausdrucks im Vergleich
zu denen, die in Künstlerkreisen über Cornelius als Zeichner colportirt werden.
Ich will den rücksichtslosen Tadlern, bei denen ein gut Theil Neid mit unter¬
laufen mag, nicht das Wort reden, aber ich kann auch nicht verschweigen, daß
ihre Angriffe nicht ungerechtfertigt sind.

Diese Flüchtigkeiten in der Zeichnung erklären sich leicht aus der Methode,
die Cornelius befolgte. „Wenn Sie etwas zeichnen, sagte er zu Löste, immer
dabei ans Auswendiglernen denken! Wenn Sie einen Akt zeichnen, thun Sie's
höchstens in der Größe von vielleicht einem Fuß, mit scharfem, hartem Blei,
nie mit dem Wischer! So haben es Michelangelo und Raffael gemacht, und
ich habe danach die kolossalsten Figuren ausführen können. Haben Sie einen
Akt fertig, zeichnen Sie ihn noch einmal aus dem Kopf ... Die Akademiker
pflegen bloß die Handfertigkeit der Nachahmung, aber nie diese Kraft des Ge¬
dächtnisses. Daher sind die armen Künstler nachher aufs Modell angewiesen,
weil sie nicht genug Stoff im Kopfe haben ... Mit dem Gebrauche des
Modells habe ichs immer so gehalten. Selten zeichne ich den ganzen Körper,
ich zeichne die Bewegung aus meiner Idee, wie nach meiner Ansicht
die Natur es in ihrer Spontaneität machen würde (nicht jedes Modell ist
freie Natur); dann zeichne ich die einzelnen Glieder nach dem Modell, ge¬
brauche diese dann aber so, daß man es nicht ahnt." Diese Methode des Aus¬
wendiglernens erwies sich nicht immer als ganz zuverlässig. Oft ließ Cornelius
sein Gedächtniß im Stich, und es kamen Bildungen zu Stande, die mit der
Natur gar nichts mehr zu thun haben. Cornelius schuf sich allmählich eine
Welt von Idealmenschen, die nach ganz andern Bedingungen zu leben und sich
zu bewegen schienen, als diejenigen sind, an die wir uns gewöhnt haben. Seine


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0048" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149032"/>
          <fw type="header" place="top"> Cornelius im Lichte der Gegenwart.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_102" prev="#ID_101"> thuenden Harmonie zu verbinden, werde sicherlich von tiefgehendem Einfluß<lb/>
auf die heranwachsende Künstlergeneration sein, die gerade die Komposition<lb/>
mehr als billig vernachlässige. Demgegenüber wurde jedoch geltend gemacht,<lb/>
daß Cornelius als Zeichner den aufstrebenden Kunstjüngern keineswegs zu<lb/>
empfehlen sei und daß sich durch sein gewaltiges, mächtig anreizendes Bei¬<lb/>
spiel leicht eine gefährliche Manierirtheit in der Zeichnung einbürgern könne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_103"> Es ist dieses ein wunder Punkt, der aber nicht umgangen werden kann,<lb/>
wenn es sich darum handelt, die Gründe festzustellen, weshalb Cornelius unter<lb/>
der Mehrzahl der lebenden Künstler eines so geringen Ansehens genießt. Man<lb/>
findet oft die Behauptung, daß die productive Kraft bei Cornelius bis zu seinem<lb/>
letzten Athemzuge ungebrochen gewesen sei. Mag sein. Seine technischen Fähig¬<lb/>
keiten waren jedoch in den letzten Jahrzehnten unzweifelhaft in der Abnahme<lb/>
begriffen. Die Cartons für den Campo Santo, die er theils in Berlin, theils<lb/>
in Rom angefertigt hat, zeigen zum Theil bedenkliche Schwächen in der Zeich¬<lb/>
nung. Ich bediene mich dabei noch eines ganz milden Ausdrucks im Vergleich<lb/>
zu denen, die in Künstlerkreisen über Cornelius als Zeichner colportirt werden.<lb/>
Ich will den rücksichtslosen Tadlern, bei denen ein gut Theil Neid mit unter¬<lb/>
laufen mag, nicht das Wort reden, aber ich kann auch nicht verschweigen, daß<lb/>
ihre Angriffe nicht ungerechtfertigt sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_104" next="#ID_105"> Diese Flüchtigkeiten in der Zeichnung erklären sich leicht aus der Methode,<lb/>
die Cornelius befolgte. &#x201E;Wenn Sie etwas zeichnen, sagte er zu Löste, immer<lb/>
dabei ans Auswendiglernen denken! Wenn Sie einen Akt zeichnen, thun Sie's<lb/>
höchstens in der Größe von vielleicht einem Fuß, mit scharfem, hartem Blei,<lb/>
nie mit dem Wischer! So haben es Michelangelo und Raffael gemacht, und<lb/>
ich habe danach die kolossalsten Figuren ausführen können. Haben Sie einen<lb/>
Akt fertig, zeichnen Sie ihn noch einmal aus dem Kopf ... Die Akademiker<lb/>
pflegen bloß die Handfertigkeit der Nachahmung, aber nie diese Kraft des Ge¬<lb/>
dächtnisses. Daher sind die armen Künstler nachher aufs Modell angewiesen,<lb/>
weil sie nicht genug Stoff im Kopfe haben ... Mit dem Gebrauche des<lb/>
Modells habe ichs immer so gehalten. Selten zeichne ich den ganzen Körper,<lb/>
ich zeichne die Bewegung aus meiner Idee, wie nach meiner Ansicht<lb/>
die Natur es in ihrer Spontaneität machen würde (nicht jedes Modell ist<lb/>
freie Natur); dann zeichne ich die einzelnen Glieder nach dem Modell, ge¬<lb/>
brauche diese dann aber so, daß man es nicht ahnt." Diese Methode des Aus¬<lb/>
wendiglernens erwies sich nicht immer als ganz zuverlässig. Oft ließ Cornelius<lb/>
sein Gedächtniß im Stich, und es kamen Bildungen zu Stande, die mit der<lb/>
Natur gar nichts mehr zu thun haben. Cornelius schuf sich allmählich eine<lb/>
Welt von Idealmenschen, die nach ganz andern Bedingungen zu leben und sich<lb/>
zu bewegen schienen, als diejenigen sind, an die wir uns gewöhnt haben. Seine</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0048] Cornelius im Lichte der Gegenwart. thuenden Harmonie zu verbinden, werde sicherlich von tiefgehendem Einfluß auf die heranwachsende Künstlergeneration sein, die gerade die Komposition mehr als billig vernachlässige. Demgegenüber wurde jedoch geltend gemacht, daß Cornelius als Zeichner den aufstrebenden Kunstjüngern keineswegs zu empfehlen sei und daß sich durch sein gewaltiges, mächtig anreizendes Bei¬ spiel leicht eine gefährliche Manierirtheit in der Zeichnung einbürgern könne. Es ist dieses ein wunder Punkt, der aber nicht umgangen werden kann, wenn es sich darum handelt, die Gründe festzustellen, weshalb Cornelius unter der Mehrzahl der lebenden Künstler eines so geringen Ansehens genießt. Man findet oft die Behauptung, daß die productive Kraft bei Cornelius bis zu seinem letzten Athemzuge ungebrochen gewesen sei. Mag sein. Seine technischen Fähig¬ keiten waren jedoch in den letzten Jahrzehnten unzweifelhaft in der Abnahme begriffen. Die Cartons für den Campo Santo, die er theils in Berlin, theils in Rom angefertigt hat, zeigen zum Theil bedenkliche Schwächen in der Zeich¬ nung. Ich bediene mich dabei noch eines ganz milden Ausdrucks im Vergleich zu denen, die in Künstlerkreisen über Cornelius als Zeichner colportirt werden. Ich will den rücksichtslosen Tadlern, bei denen ein gut Theil Neid mit unter¬ laufen mag, nicht das Wort reden, aber ich kann auch nicht verschweigen, daß ihre Angriffe nicht ungerechtfertigt sind. Diese Flüchtigkeiten in der Zeichnung erklären sich leicht aus der Methode, die Cornelius befolgte. „Wenn Sie etwas zeichnen, sagte er zu Löste, immer dabei ans Auswendiglernen denken! Wenn Sie einen Akt zeichnen, thun Sie's höchstens in der Größe von vielleicht einem Fuß, mit scharfem, hartem Blei, nie mit dem Wischer! So haben es Michelangelo und Raffael gemacht, und ich habe danach die kolossalsten Figuren ausführen können. Haben Sie einen Akt fertig, zeichnen Sie ihn noch einmal aus dem Kopf ... Die Akademiker pflegen bloß die Handfertigkeit der Nachahmung, aber nie diese Kraft des Ge¬ dächtnisses. Daher sind die armen Künstler nachher aufs Modell angewiesen, weil sie nicht genug Stoff im Kopfe haben ... Mit dem Gebrauche des Modells habe ichs immer so gehalten. Selten zeichne ich den ganzen Körper, ich zeichne die Bewegung aus meiner Idee, wie nach meiner Ansicht die Natur es in ihrer Spontaneität machen würde (nicht jedes Modell ist freie Natur); dann zeichne ich die einzelnen Glieder nach dem Modell, ge¬ brauche diese dann aber so, daß man es nicht ahnt." Diese Methode des Aus¬ wendiglernens erwies sich nicht immer als ganz zuverlässig. Oft ließ Cornelius sein Gedächtniß im Stich, und es kamen Bildungen zu Stande, die mit der Natur gar nichts mehr zu thun haben. Cornelius schuf sich allmählich eine Welt von Idealmenschen, die nach ganz andern Bedingungen zu leben und sich zu bewegen schienen, als diejenigen sind, an die wir uns gewöhnt haben. Seine

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/48
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/48>, abgerufen am 15.05.2024.