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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Las System der altsynagogalen Theologie.

Freigeisterei preisgegebne Menge ausüben mußte, oder ob sie auf die religiösen
Schriften des Judenthums selbst zurückgehen, in welchem Falle die christliche Welt
in der Zeit vor der Emancipation nur durch die Schranken, welche die Juden
auf allen Punkten von der Vermischung mit der Außenwelt trennten, vor ihrem
verderblichen Einflüsse geschützt gewesen wäre.

Eine wirklich zuverlässige Beantwortung dieser Frage kann natürlich nur
dann gegeben werden, wenn man die für das Judenthum maßgebenden religiösen
Schriften selbst vorurtheilsfrei ins Auge faßt und an ihrer Hand ein streng
objectives Bild von dem Wesen des Judenthums zu entwerfen sucht. Die richtige
Beantwortung dieser Frage ist aber nicht bloß von allgemeinem Interesse, um
klar urtheilen und darnach in dem Streite Stellung nehmen zu können, sondern
sie ist direct als eine sittliche Pflicht zu betrachten, weil es die erste Forderung
der Gerechtigkeit ist, daß man vorurtheilsfrei und mit Wahrheitsliebe in den
Kampf gehe, zumal in einen Kampf, in welchem die deutsche Nation gegen niedere
lind unedle Anschauungen sich zu wehren bestrebt ist. Auch hat sie umsomehr sich
in diesem Streite ihrer Aufgabe als Vorkämpferin der Wahrheit und Gerechtig¬
keit werth zu zeigen, weil wir in der Judenfrage zugleich Anklüger und Richter
sind. Um so bedauerlicher ist es, daß die reiche Literatur der Judenfrage weit
davon entfernt ist, ein wahres, durch keine Vorurtheile getrübtes Bild von dem
eigentlichen Wesen des Judenthums zu entwerfen; fast alle diese Schriften trage,:
das Gepräge des Kampfes: sie sind leidenschaftlich und tendenziös und entsprechen,
unbewußt und wohl auch bewußt, nicht der objectiven Wahrheit.

Nun ist vor kurzem ein Buch erschienen, welches zum ersten Male die Mög¬
lichkeit gewährt, sich ein richtiges, von Parteileidenschaft ungetrübtes Bild von
den Grundsätzen und Lehren des alten Judenthums auf Grund seiner ältesten
nachbiblischen Literatur zu entwerfen. Es ist ein rein wissenschaftliches Werk,
"eng irg, ge 8wäio geschrieben, die langsam gereifte Frucht der wissenschaftlichen
Arbeit eines Menschenlebens. Es verdankt seine Entstehung nicht der im Augen¬
blick gefaßten und ausgeführten Absicht, für den Kampf unsrer Tage Angriffs¬
waffen zu schmieden, sondern es ist hervorgegangen aus einer mehr als zwanzig¬
jährigen Beschäftigung mit den ältesten Neligionsurkunden des Judenthums. Was
der Verfasser durchaus unabhängig von ältern Streitschriften bietet, ist ein voll¬
ständig neues, mit großer Ausdauer gesammeltes, rin sichtenden Takte be¬
arbeitetes und mit Liebe zur Sache dargestelltes Material. Auch ist das Werk
des als protestantischer Pfarrer (zu Polsingen in Mittelfranken) 1879 gestorbenen
Verfassers von den Herausgebern nicht deshalb der Oeffentlichkeit übergeben worden,
um in den: gegenwärtigen Streite Stellung zu nehmen, sondern ohne allen Bezug
aus diesen Streit, dessen Ausbruch der Verstorbene gar nicht erlebt hat, vielmehr


Las System der altsynagogalen Theologie.

Freigeisterei preisgegebne Menge ausüben mußte, oder ob sie auf die religiösen
Schriften des Judenthums selbst zurückgehen, in welchem Falle die christliche Welt
in der Zeit vor der Emancipation nur durch die Schranken, welche die Juden
auf allen Punkten von der Vermischung mit der Außenwelt trennten, vor ihrem
verderblichen Einflüsse geschützt gewesen wäre.

Eine wirklich zuverlässige Beantwortung dieser Frage kann natürlich nur
dann gegeben werden, wenn man die für das Judenthum maßgebenden religiösen
Schriften selbst vorurtheilsfrei ins Auge faßt und an ihrer Hand ein streng
objectives Bild von dem Wesen des Judenthums zu entwerfen sucht. Die richtige
Beantwortung dieser Frage ist aber nicht bloß von allgemeinem Interesse, um
klar urtheilen und darnach in dem Streite Stellung nehmen zu können, sondern
sie ist direct als eine sittliche Pflicht zu betrachten, weil es die erste Forderung
der Gerechtigkeit ist, daß man vorurtheilsfrei und mit Wahrheitsliebe in den
Kampf gehe, zumal in einen Kampf, in welchem die deutsche Nation gegen niedere
lind unedle Anschauungen sich zu wehren bestrebt ist. Auch hat sie umsomehr sich
in diesem Streite ihrer Aufgabe als Vorkämpferin der Wahrheit und Gerechtig¬
keit werth zu zeigen, weil wir in der Judenfrage zugleich Anklüger und Richter
sind. Um so bedauerlicher ist es, daß die reiche Literatur der Judenfrage weit
davon entfernt ist, ein wahres, durch keine Vorurtheile getrübtes Bild von dem
eigentlichen Wesen des Judenthums zu entwerfen; fast alle diese Schriften trage,:
das Gepräge des Kampfes: sie sind leidenschaftlich und tendenziös und entsprechen,
unbewußt und wohl auch bewußt, nicht der objectiven Wahrheit.

Nun ist vor kurzem ein Buch erschienen, welches zum ersten Male die Mög¬
lichkeit gewährt, sich ein richtiges, von Parteileidenschaft ungetrübtes Bild von
den Grundsätzen und Lehren des alten Judenthums auf Grund seiner ältesten
nachbiblischen Literatur zu entwerfen. Es ist ein rein wissenschaftliches Werk,
«eng irg, ge 8wäio geschrieben, die langsam gereifte Frucht der wissenschaftlichen
Arbeit eines Menschenlebens. Es verdankt seine Entstehung nicht der im Augen¬
blick gefaßten und ausgeführten Absicht, für den Kampf unsrer Tage Angriffs¬
waffen zu schmieden, sondern es ist hervorgegangen aus einer mehr als zwanzig¬
jährigen Beschäftigung mit den ältesten Neligionsurkunden des Judenthums. Was
der Verfasser durchaus unabhängig von ältern Streitschriften bietet, ist ein voll¬
ständig neues, mit großer Ausdauer gesammeltes, rin sichtenden Takte be¬
arbeitetes und mit Liebe zur Sache dargestelltes Material. Auch ist das Werk
des als protestantischer Pfarrer (zu Polsingen in Mittelfranken) 1879 gestorbenen
Verfassers von den Herausgebern nicht deshalb der Oeffentlichkeit übergeben worden,
um in den: gegenwärtigen Streite Stellung zu nehmen, sondern ohne allen Bezug
aus diesen Streit, dessen Ausbruch der Verstorbene gar nicht erlebt hat, vielmehr


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[0507] Las System der altsynagogalen Theologie. Freigeisterei preisgegebne Menge ausüben mußte, oder ob sie auf die religiösen Schriften des Judenthums selbst zurückgehen, in welchem Falle die christliche Welt in der Zeit vor der Emancipation nur durch die Schranken, welche die Juden auf allen Punkten von der Vermischung mit der Außenwelt trennten, vor ihrem verderblichen Einflüsse geschützt gewesen wäre. Eine wirklich zuverlässige Beantwortung dieser Frage kann natürlich nur dann gegeben werden, wenn man die für das Judenthum maßgebenden religiösen Schriften selbst vorurtheilsfrei ins Auge faßt und an ihrer Hand ein streng objectives Bild von dem Wesen des Judenthums zu entwerfen sucht. Die richtige Beantwortung dieser Frage ist aber nicht bloß von allgemeinem Interesse, um klar urtheilen und darnach in dem Streite Stellung nehmen zu können, sondern sie ist direct als eine sittliche Pflicht zu betrachten, weil es die erste Forderung der Gerechtigkeit ist, daß man vorurtheilsfrei und mit Wahrheitsliebe in den Kampf gehe, zumal in einen Kampf, in welchem die deutsche Nation gegen niedere lind unedle Anschauungen sich zu wehren bestrebt ist. Auch hat sie umsomehr sich in diesem Streite ihrer Aufgabe als Vorkämpferin der Wahrheit und Gerechtig¬ keit werth zu zeigen, weil wir in der Judenfrage zugleich Anklüger und Richter sind. Um so bedauerlicher ist es, daß die reiche Literatur der Judenfrage weit davon entfernt ist, ein wahres, durch keine Vorurtheile getrübtes Bild von dem eigentlichen Wesen des Judenthums zu entwerfen; fast alle diese Schriften trage,: das Gepräge des Kampfes: sie sind leidenschaftlich und tendenziös und entsprechen, unbewußt und wohl auch bewußt, nicht der objectiven Wahrheit. Nun ist vor kurzem ein Buch erschienen, welches zum ersten Male die Mög¬ lichkeit gewährt, sich ein richtiges, von Parteileidenschaft ungetrübtes Bild von den Grundsätzen und Lehren des alten Judenthums auf Grund seiner ältesten nachbiblischen Literatur zu entwerfen. Es ist ein rein wissenschaftliches Werk, «eng irg, ge 8wäio geschrieben, die langsam gereifte Frucht der wissenschaftlichen Arbeit eines Menschenlebens. Es verdankt seine Entstehung nicht der im Augen¬ blick gefaßten und ausgeführten Absicht, für den Kampf unsrer Tage Angriffs¬ waffen zu schmieden, sondern es ist hervorgegangen aus einer mehr als zwanzig¬ jährigen Beschäftigung mit den ältesten Neligionsurkunden des Judenthums. Was der Verfasser durchaus unabhängig von ältern Streitschriften bietet, ist ein voll¬ ständig neues, mit großer Ausdauer gesammeltes, rin sichtenden Takte be¬ arbeitetes und mit Liebe zur Sache dargestelltes Material. Auch ist das Werk des als protestantischer Pfarrer (zu Polsingen in Mittelfranken) 1879 gestorbenen Verfassers von den Herausgebern nicht deshalb der Oeffentlichkeit übergeben worden, um in den: gegenwärtigen Streite Stellung zu nehmen, sondern ohne allen Bezug aus diesen Streit, dessen Ausbruch der Verstorbene gar nicht erlebt hat, vielmehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/507>, abgerufen am 04.06.2024.