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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die griechische Frage,

dessen fort, und mich die Türkei traf in Albanien und Thessalien militärische
Vorbereitungen zur Abwehr eines von Süden her erfolgenden Angriffs,

Der Gegenvorschlag einer Conferenz der in Konstantinopel beglaubigten Not-
schafter, mit dem die Pforte den SchicdSgerichtsvorschlag beantwortet hatte, wurde
von den Mächten angenommen. Doch begannen die betreffenden Verhandlungen,
da der deutsche Botschafter abwesend war, erst in der zweiten Woche des März,
und ihr Verlauf ist bis jetzt ein sehr langsamer gewesen, auch verlautete über
die etwaigen Erfolge derselben nichts, was Vertrauen verdiente. Wahrscheinlich
ist nur, daß die Pforte sich zu etwas weitergehenden Concessionen an Griechenland
als den in der Note vom 8. October v. I, enthaltnen bereit erklärt, und sicher
ist, daß sie zu ihren Vertretern bei den Unterhandlungen mit den Botschaftern
der enropäischen Großmächte Server Pascha und Ali Nizami Pascha ernannt
hat. Jener ist ein Diplomat, der für England abgeneigt und den Russen zu¬
gethan gilt, dieser ein General, der zu den aufgeklärten Türken gehört und der
beste Generalstabsoffizicr der Pforte sein soll. So ist eine neue Instanz geschaffen,
während die Botschafter lieber direct mit dem türkischen Minister des Auswärtigen
verhandelt hätten. Mau darf nun gespannt sein, ob in Konstantinopel die Fest¬
stellung einer annehmbaren Grenze besser gelingen wird als auf der Berliner
Jnliconferenz des vergangnen Jahres. Die Hoffnung ans eine friedliche Lösung
würde wesentlich steigen, wenn es sich bestätigen sollte, daß Deutschland bei dem
Vermittlungsversuche die Führung übernommen; denn während England in Kon¬
stantinopel mit wohlbegründeten Mißtrauen angesehen wird, ist das Wort unsrer
Regierung dort von großem Gewicht, und es wäre nicht sehr überraschend, wenn
die Pforte durch Vorstellungen des Grafen Hatzfeld zum Einlenken bewogen würde.
Haben wirklich alle Mächte ein so ernstes Interesse an der Erhaltung des Friedens,
wie sie zu haben behaupten, so kaun es auch keine unübersteiglichen Schwierigkeiten
geben, die Form zu finden, in welcher den Streitenden die Einigkeit Europas
wirksam zu Gemüthe geführt werden kann. In diesem Falle würde sicher auch
der Erfolg der Mediation nicht ausbleiben, wogegen die bloße Form der Ein-
müthigkeit wenig leisten würde, wenn eine oder die andre Großmacht fortführe,
die Griechen unter der Hand zum Kriege anzuspornen. Der Schicdsgcrichts-
vorschlng Barthölemy Se. Hilaires wäre vielleicht besser aufgenommen worden,
wenn mau in Athen nicht geglaubt hatte, Gambetta sei gegen ihn, und wenn
England nicht im stillen die Griechen aufregte. Noch am 1. Januar erklärte
Lord Grenville dem französischen Botschafter, er theile die Ansicht BartlMmy
Se. Hilaires über die Bedeutung des Beschlusses der Berliner Conferenz, und
der englische Gesandte in Athen sei angewiesen, diese Bedeutung nicht abzuschwächen.
Während also Frankreich, Deutschland und Oesterreich-Ungarn aufs bestimmteste


Die griechische Frage,

dessen fort, und mich die Türkei traf in Albanien und Thessalien militärische
Vorbereitungen zur Abwehr eines von Süden her erfolgenden Angriffs,

Der Gegenvorschlag einer Conferenz der in Konstantinopel beglaubigten Not-
schafter, mit dem die Pforte den SchicdSgerichtsvorschlag beantwortet hatte, wurde
von den Mächten angenommen. Doch begannen die betreffenden Verhandlungen,
da der deutsche Botschafter abwesend war, erst in der zweiten Woche des März,
und ihr Verlauf ist bis jetzt ein sehr langsamer gewesen, auch verlautete über
die etwaigen Erfolge derselben nichts, was Vertrauen verdiente. Wahrscheinlich
ist nur, daß die Pforte sich zu etwas weitergehenden Concessionen an Griechenland
als den in der Note vom 8. October v. I, enthaltnen bereit erklärt, und sicher
ist, daß sie zu ihren Vertretern bei den Unterhandlungen mit den Botschaftern
der enropäischen Großmächte Server Pascha und Ali Nizami Pascha ernannt
hat. Jener ist ein Diplomat, der für England abgeneigt und den Russen zu¬
gethan gilt, dieser ein General, der zu den aufgeklärten Türken gehört und der
beste Generalstabsoffizicr der Pforte sein soll. So ist eine neue Instanz geschaffen,
während die Botschafter lieber direct mit dem türkischen Minister des Auswärtigen
verhandelt hätten. Mau darf nun gespannt sein, ob in Konstantinopel die Fest¬
stellung einer annehmbaren Grenze besser gelingen wird als auf der Berliner
Jnliconferenz des vergangnen Jahres. Die Hoffnung ans eine friedliche Lösung
würde wesentlich steigen, wenn es sich bestätigen sollte, daß Deutschland bei dem
Vermittlungsversuche die Führung übernommen; denn während England in Kon¬
stantinopel mit wohlbegründeten Mißtrauen angesehen wird, ist das Wort unsrer
Regierung dort von großem Gewicht, und es wäre nicht sehr überraschend, wenn
die Pforte durch Vorstellungen des Grafen Hatzfeld zum Einlenken bewogen würde.
Haben wirklich alle Mächte ein so ernstes Interesse an der Erhaltung des Friedens,
wie sie zu haben behaupten, so kaun es auch keine unübersteiglichen Schwierigkeiten
geben, die Form zu finden, in welcher den Streitenden die Einigkeit Europas
wirksam zu Gemüthe geführt werden kann. In diesem Falle würde sicher auch
der Erfolg der Mediation nicht ausbleiben, wogegen die bloße Form der Ein-
müthigkeit wenig leisten würde, wenn eine oder die andre Großmacht fortführe,
die Griechen unter der Hand zum Kriege anzuspornen. Der Schicdsgcrichts-
vorschlng Barthölemy Se. Hilaires wäre vielleicht besser aufgenommen worden,
wenn mau in Athen nicht geglaubt hatte, Gambetta sei gegen ihn, und wenn
England nicht im stillen die Griechen aufregte. Noch am 1. Januar erklärte
Lord Grenville dem französischen Botschafter, er theile die Ansicht BartlMmy
Se. Hilaires über die Bedeutung des Beschlusses der Berliner Conferenz, und
der englische Gesandte in Athen sei angewiesen, diese Bedeutung nicht abzuschwächen.
Während also Frankreich, Deutschland und Oesterreich-Ungarn aufs bestimmteste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/555>, abgerufen am 31.05.2024.