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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Dio gnechischo Fnige.

erklären, sie hätten nur vermittelt und gerathen, behauptet England das Gegen¬
theil und bestärkt die Grieche,? in dein Irrthum, ans der Konferenz sei ihnen
ein Rechtsanspruch erwachsen. Man sieht, der Haß Gladstones gegen die Türkei
bedroht die Ruhe Europas noch murer, und es ist nicht zu verwundern, wenn,
wie die "Köln. Zeit." Ende Januar berichtete, englische Staatsmänner dreist
erklären, im Fall eines Krieges würde die Flotte Englands wenigstens den Piräus
gegen die türkischen Panzerschiffe vertheidigen. Ob die Griechen klug thun, sich
darauf zu verlasse", bleibe dahin gestellt. Klüger waren die Türken, die zwar
den Schicdsgerichtsvorschlag ablehnten, aber dadurch Nachgiebigkeit bewiesen, daß
sie sich zu einer Botschaftereoiiferenz bereit zeigten. Dies hätte keinen Zweck gehabt,
wenn man türkischerseits nicht größre Zugeständnisse hätte bewilligen wollen als
früher. Ihr letztes Rundschreiben hat allenthalben wegen seines Tantes, seiner
maßvollen Sprache und seiner staatsmännischen Auffassung der Lage Anerkennung
und Beifall gefunden. Diplomatisch hat also die Pforte vor den Griechen einen
erheblichen Vorsprung.

Nach diesem kurzen geschichtlichen Ueberblick stellen wir die verschiednen Auf¬
fassungen, die unsre Frage bei Griechenland -- dem England und vielleicht auch
Italien im stillen beipflichten -- bei der Pforte und Frankreich -- mit dem
Deutschland und Oesterreich-Ungarn im wesentlichen übereinstimmen -- findet, zu
einer Vergleichung zusammen.

Das gegenwärtige griechische Cabinet betrachtet die Gebiete, deren Abtretung
die Berliner Julieonferenz der Pforte empfohlen hat, als nicht mehr im recht¬
mäßigen Besitze des Sultans, ja sie leugnet, daß sie jemals dessen rechtmäßiges
Eigenthum gewesen. Der Minister Kommundurvs sagt in einem officiellen Schreiben
an den französischen Gesandten in Athen:

"Es ist ohne Zweifel das erste Mal, daß in einem diplomatischen Actenstücke
(die Note BarthAemys vom December v. I. ist gemeint) eine europäische Gro߬
macht der Türkei ein legitimes Eigenthumsrecht auf die Gebiete ihrer europäischen
Besitzungen zuerkannt hat. Es ist das eine ganz neue Theorie, gegen welche mau
sich gar nicht genug auflehnen kann im Namen der ewigen Gerechtigkeit, gegen die
eine vierhundertjährige Occupation, eine in ihrem Wesen vrecäre Occupation, die
niemals den Charakter rechtlichen Besitzes haben konnte, nicht überwiegen kann. Ist
jemand der Gedanke gekommen, daß der Berliner Vertrag, indem er neue Territorien
für Serbien, Montenegro und Rumänien bestimmte, indem er das Fürstenthum
Bulgarien sowie Ostrumelien schuf, nicht beabsichtigt hätte, hieraus obligatorische Be¬
dingungen für die Türkei zu machen? Gehörten der Türkei diese Territorien nicht
ans Grund desselben Rechtstitels wie Thessalien und Epirus? Woher soll der Unter¬
schied kommen, den man aufstellen will? Die Depesche vom 15. December constatirt,
daß als Anmerkung der durch Griechenland während der Kriege von 1376 bis 1873
gezeigten klugen Müßigung dasselbe zur Theilnahme am Berliner Congresse zuge¬
lassen worden sei. Sollte das der ganze Vortheil sein, den Griechenland dafür zu


Dio gnechischo Fnige.

erklären, sie hätten nur vermittelt und gerathen, behauptet England das Gegen¬
theil und bestärkt die Grieche,? in dein Irrthum, ans der Konferenz sei ihnen
ein Rechtsanspruch erwachsen. Man sieht, der Haß Gladstones gegen die Türkei
bedroht die Ruhe Europas noch murer, und es ist nicht zu verwundern, wenn,
wie die „Köln. Zeit." Ende Januar berichtete, englische Staatsmänner dreist
erklären, im Fall eines Krieges würde die Flotte Englands wenigstens den Piräus
gegen die türkischen Panzerschiffe vertheidigen. Ob die Griechen klug thun, sich
darauf zu verlasse», bleibe dahin gestellt. Klüger waren die Türken, die zwar
den Schicdsgerichtsvorschlag ablehnten, aber dadurch Nachgiebigkeit bewiesen, daß
sie sich zu einer Botschaftereoiiferenz bereit zeigten. Dies hätte keinen Zweck gehabt,
wenn man türkischerseits nicht größre Zugeständnisse hätte bewilligen wollen als
früher. Ihr letztes Rundschreiben hat allenthalben wegen seines Tantes, seiner
maßvollen Sprache und seiner staatsmännischen Auffassung der Lage Anerkennung
und Beifall gefunden. Diplomatisch hat also die Pforte vor den Griechen einen
erheblichen Vorsprung.

Nach diesem kurzen geschichtlichen Ueberblick stellen wir die verschiednen Auf¬
fassungen, die unsre Frage bei Griechenland — dem England und vielleicht auch
Italien im stillen beipflichten — bei der Pforte und Frankreich — mit dem
Deutschland und Oesterreich-Ungarn im wesentlichen übereinstimmen — findet, zu
einer Vergleichung zusammen.

Das gegenwärtige griechische Cabinet betrachtet die Gebiete, deren Abtretung
die Berliner Julieonferenz der Pforte empfohlen hat, als nicht mehr im recht¬
mäßigen Besitze des Sultans, ja sie leugnet, daß sie jemals dessen rechtmäßiges
Eigenthum gewesen. Der Minister Kommundurvs sagt in einem officiellen Schreiben
an den französischen Gesandten in Athen:

„Es ist ohne Zweifel das erste Mal, daß in einem diplomatischen Actenstücke
(die Note BarthAemys vom December v. I. ist gemeint) eine europäische Gro߬
macht der Türkei ein legitimes Eigenthumsrecht auf die Gebiete ihrer europäischen
Besitzungen zuerkannt hat. Es ist das eine ganz neue Theorie, gegen welche mau
sich gar nicht genug auflehnen kann im Namen der ewigen Gerechtigkeit, gegen die
eine vierhundertjährige Occupation, eine in ihrem Wesen vrecäre Occupation, die
niemals den Charakter rechtlichen Besitzes haben konnte, nicht überwiegen kann. Ist
jemand der Gedanke gekommen, daß der Berliner Vertrag, indem er neue Territorien
für Serbien, Montenegro und Rumänien bestimmte, indem er das Fürstenthum
Bulgarien sowie Ostrumelien schuf, nicht beabsichtigt hätte, hieraus obligatorische Be¬
dingungen für die Türkei zu machen? Gehörten der Türkei diese Territorien nicht
ans Grund desselben Rechtstitels wie Thessalien und Epirus? Woher soll der Unter¬
schied kommen, den man aufstellen will? Die Depesche vom 15. December constatirt,
daß als Anmerkung der durch Griechenland während der Kriege von 1376 bis 1873
gezeigten klugen Müßigung dasselbe zur Theilnahme am Berliner Congresse zuge¬
lassen worden sei. Sollte das der ganze Vortheil sein, den Griechenland dafür zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/556>, abgerufen am 29.05.2024.